Kapitel 5

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Callum

Drei Tage würde Callum noch durchhalten müssen. Das war nichts im Vergleich zu der Zeit, die er schon geschafft hatte. Das würde er schaffen, auf alle Fälle. Die Zeit würde er Tarren geben können.

Was er aber nicht tun könnte, wäre es sich einzig und alleine auf ihn zu verlassen. Er musste selber etwas tun und sich Vorräte besorgen. Nicht nur für die Reise - auch für die nächsten drei Tage. Was nützt es ihm, wenn Tarren alles Notwendige besorgen konnte, er aber bis dahin verhungert war?

Wie als Antwort darauf rumorte Callums Magen und er spürte einen stechenden Schmerz. Er hatte über die Aufbruchseuphorie ganz den Hunger vergessen, der seit Tagen an ihm nagte. Das war das erste Mal seit ... seit Ewig. Ein kleines Schmunzeln konnte Callum nicht unterdrücken. Er hatte den Hunger besiegt, ihn nicht die Überhand gewinnen lassen.

Tief in Callum machte sich ein Gefühl breit, dass er eine unsichtbare Linie überschritten hatte und jetzt alles besser werden würde. Er war doch nicht so schwach, wie er noch vor ein paar Stunden geglaubt hatte. Er konnte raus aus diesem Elend. Er konnte es tatsächlich schaffen.

Was ihn anschließend am Hof der Kaiserin erwartete, er hatte keine Ahnung, aber darüber konnte er sich seinen Kopf zerbrechen, sobald es soweit war.

Deshalb: Schritt für Schritt.

Viel länger wollte er sein Glück aber nicht mehr herausfordern, das wichtigste war jetzt Essen. Das hatte Priorität. Callum trat aus der Tür hinaus auf die Steine, die den Weg zur Haustür markierten. Hinter ihm viel sie knarrend zu. Er blickte zur Seite. Hier und da liefen ein paar Menschen umher, gegenüber der Kieselstraße saßen seine Nachbarn auf zwei schiefen Stühlen auf ihrer heruntergekommenen Veranda.

Callum schaute Richtung Dorfmitte und ging los, versuchte dabei jedes kleinste Detail in sich aufzusaugen, um sich ja keine Chance entgehen zu lassen an Essen zu gelangen. Irgendwie musste man hier etwas finden. Die Frage war nur wo. Und wie man dann daran kam.

In seine Gedanken vertieft rannte Callum fast ein kleines Kind über den Haufen. Bevor es hinfallen konnte, packte er es an seinen kleinen dünnen Ärmchen, wobei dem Jungen etwas kleines Rundes aus der Hand fiel. Mit großen braunen Augen blickte der kleine Junge Callum an, wie als wäre er in voller Erwartung eine von ihm gepfeffert zu bekommen.

»Tut mir Leid, ich hab dich gar nicht gesehen«, sagte Callum und ließ seine Arme wieder los.

Die Augen in dem verdreckten Gesicht des Jungen standen weit aufgerissen und die braunen Haaren hingen ihm verstrubbelt in der Stirn, als er sich ohne auch nur einen Ton von sich zu geben bückte und den Gegenstand wieder aufhob - schwer darum bemüht, die Sicht von Callum mit seiner anderen Hand vom dem Gegenstand abzuschirmen. Kein Gegenstand.

Eine Katoffelknolle.

An Callums Ausdruck wurde dem kleinen Jungen klar, dass er die Kartoffel entdeckt hatte, was ihn ängstlich ein paar Schritte zurückweichen ließ, während er die Arme hinter seinem Rücken verschränkte und so die Kartoffel versteckte. Der Blick des Kindes flog nur für eine Millisekunde in die Richtung eines alten Mannes, der einen dicken Sack in den Händen hielt. Einen Sack, bis oben hin vollgestopft mit Kartoffeln.

Callum fügte eins und eins zusammen. »Keine Angst, ich gehöre nicht zu dem Mann«, sagte er zu ihm und hockte sich hin, um ihn zu beruhigen. Einerseits tat der Junge ihm Leid, andererseits erkannte er sich selber in ihm wieder. Er war vielleicht dreizehn Jahre, höchstens. »Wo sind denn deine Eltern, Kleiner?«

Dem Kind - das noch immer keinen Ton gesagt hatte - dämmerte, dass Callum ihn weder erwischt hatte, noch dass er vorhatte ihn zu verprügeln. Auf dem Absatz machte er kehrt und rannte wie von einer Hornisse gestochen davon, so schnell seine dürren Beinchen ihn tragen konnten.

Wooden Shadows - Callum Cadena Chronicles #1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt