1 - Ein unerwarteter Besucher

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Überarbeitet am 12.08.2021

Jeden Morgen war es wie ein Wunder, die Augen aufschlagen zu können, das eigene Herz schlagen zu hören, zu atmen, ohne Blut zu schmecken. Aufwachen war für mich ein heiliges Ritual. Ich hatte alles verloren, jede einzelne der zahlreichen Walküren war gestorben, gemeinsam mit ihnen meine Freundin Brunnhilde, doch ich war am Leben. Jeden Morgen dankte ich Odin aufs Neue dafür. Jeden Morgen dachte ich auch dankbar an meinen Pegasus Ando, der den Kampf ebenfalls überlebt hatte. Wo er jetzt war, wusste ich nicht, aber ich hoffte, dass es ihm gut ging.
Auf dem Weg zur Küche lief ich am Fenster vorbei und sah nach draußen. Es war noch dunkel, und New York erstreckte sich in seiner ganzen leuchtenden Pracht vor mir.
Midgard war schon eine seltsame Welt. Pferdelose Kutschen, Feuerwaffen, Elektrizität - Dinge, die ich in Asgard nie gehabt und nie gebraucht hatte, wobei zumindest ersteres eine gute Idee war, da ich in all den Jahrhunderten, die ich hier verbracht hatte, noch kein Pferd als zweckmäßiges Transportmittel zu Gesicht bekommen hatte. Zugegeben, eine Großstadt wie New York schien mir auch nicht der richtige Platz, um Pferde zu halten.
Seufzend drückte ich einige Knöpfe an der Kaffeemaschine, heute sollte er stark sein, ich hatte schlecht geschlafen. Dann trat ich mit der vollen Tasse wieder zurück ans Fenster und beobachtete die Menschen, die trotz der nächtlichen Uhrzeit unten am Flussufer herumwuselten, von dem mein Haus nur durch den Riverside Drive getrennt wurde.
Fast 1500 Jahre meines Lebens hatte ich wegen Hela verpasst. 1500 Jahre hatte ich bewusstlos in der Erde verbuddelt gelegen, jeder hatte mich für tot gehalten. Die letzten 30 Jahre war ich in einem Museum ausgestellt gewesen.
"Dieser Körper wurde vor eineinhalb Tausend Jahren von Einheimischen in Norwegen gefunden. Obwohl er schon so lange gelagert wird, ist er kein bisschen verfallen."
Das waren die ersten Worte gewesen, die ich hörte, als ich vor drei Jahren aufwachte. Seltsamerweise hatte ich jedes Wort verstanden und sprach selbst Englisch, als hätte ich nie eine andere Sprache gelernt.
Ich hatte mich schnell befreit, aber nicht schnell genug, denn an der Tür des Museums wurde ich aufgehalten.
"Guten Morgen, die Dame", begrüßte mich ein dunkelhäutiger Mann trocken. Seine Kleidung war komplett schwarz, aber am auffälligsten war die Tatsache, dass er eine Augenklappe trug.
"Ich bin Nick Fury von S.H.I.E.L.D und ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten."

Und so kam es, dass ich zum S.H.I.E.L.D-Agent ausgebildet wurde. Schwertkampf und unbewaffneter Nahkampf, das waren meine Stärken, obwohl ich auch gut mit Schusswaffen umgehen konnte. Trotzdem zog ich meinen Dragonfang jeder anderen Waffe vor.
Agent Swan, so kannten mich alle, da ich vorgab, mich nicht an meinen Nachnamen erinnern zu können. Ich verstand mich mit den meisten Agents relativ gut, blieb aber immer ein wenig für mich; in meiner freien Zeit las ich Bücher über die nordische Mythologie, suchte nach Informationen die mir weiterhelfen konnten. Schließlich hatte ich mehr als ein Jahrtausend aufzuholen, in dem alles hätte passieren konnte. Ich fand es interessant, dass die Menschen so viel über meine Spezies wussten, auch wenn viele Dinge in der Mythologie Lügen waren. Da half mir Mjölnir sehr weiter, denn als der etwa ein Jahr nach meiner Rekrutierung in New Mexico landete, lernte ich Thor kennen. Ich hatte nicht mit ihm gesprochen, ihn nur kurz gesehen, aber ich hatte sein Gespräch mit seinem Bruder belauscht, als er von uns festgenommen worden war. So hatte ich von der Existenz der beiden erfahren.

Fast zwei Jahre waren inzwischen wieder vergangen, in denen ich nicht viel tun musste. Große Ereignisse wie das Auftauchen von Thor hatte es nicht mehr gegeben, und so erledigte ich eher kleine Missionen.
Vor ein paar Wochen war ich in das Team berufen worden, das Doktor Selvigs Arbeit mit dem Tesserakt überwachte. Ich wechselte mich mit Barton ab, und heute hatte er die Nachtschicht übernommen.
Als ich im Labor eintraf, fand ich ein einziges Chaos vor. Agents und Wissenschaftler wuselten durcheinander, der Alarm pulsierte ununterbrochen. Phil übersah mich fast und nur mein beherzter Sprung zur Seite verhinderte einen Zusammenstoß.
"Coulson, was ist passiert?", fragte ich den Agent stirnrunzelnd, während ich ihm eilig folgte.
Er schüttelte den Kopf.
"Gleich. Fury und Hill landen gerade, dann erkläre ich es allen gemeinsam."
Wir traten auf den Landeplatz, wo Fury gerade hinter Maria Hill aus dem Hubschrauber kletterte.
"Wie schlimm ist es?", fragte er ohne Begrüßung, Hill sagte gar nichts.
"Das ist das Problem, Sir, wir wissen es nicht."
Kommentarlos ging Fury an Coulson vorbei zum Aufzug und drückte einige Knöpfe, während wir zustiegen.
"Vor vier Stunden hat Doktor Selvigs einen Energiestoß im Tesserakt gemessen", erläuterte Coulson.
"Die NASA hat Selvig keine Testphase erlaubt", unterbrach Fury ihn stirnrunzelnd.
"Das war kein Test. Er war nicht mal im Raum. Es war ein spontanes Ereignis."
"Er hat sich selbst aktiviert?", fragte Hill neben mir.
"Wie ist der Energiewert jetzt?", wollte Fury wissen.
"Er steigt. Wir evakuieren, weil Selvig es nicht abschalten kann."
"Wie lange dauert das?"
"In einer halben Stunde ist der Bereich geräumt."
"Das muss schneller gehen."
Coulson nickte und drehte auf dem Absatz um, um dem Befehl nachzugehen. Ich folgte weiter Fury und Hill.
"Sir, die Evakuierung ist wahrscheinlich sinnlos", setzte Hill an.
"Sollen etwa alle wieder schlafen gehen?", fragte Fury sarkastisch.
"Wenn wir die Energie des Tesseraktes nicht kontrollieren können, ist wahrscheinlich kein Sicherheitsabstand groß genug."
Fury ging nicht weiter darauf ein.
"Sorgen Sie dafür, dass die Prototypen der Phase zwei weggebracht werden."
Es folgte ein kurzes Geplänkel der beiden, das ich nicht richtig mitbekam, da ich schon weiter gelaufen war. Der Tesserakt leuchtete heller als sonst, und ich gesellte mich kurz zu den Wissenschaftlern, die die Energiewerte überwachten. Das Ding spielte wahrlich verrückt.
Als Barton Fury Bericht erstattete, war ich wieder bei ihnen.
"Manipuliert wurde nichts von dieser Seite, Sir", schloss er.
"Von dieser Seite?"
Zum ersten Mal seit ich ihn kannte wirkte Fury kurz verwundert.
"Ja, der Würfel ist ein Tor zur anderen Seite des Universums, richtig? Ein Tor ist für beide Seiten offen."
Noch bevor jemand etwas entgegnen konnte, entlud sich die Energie des Tesseraktes in einem gewaltigen Lichtstrahl, an dessen Ende ein Portal entstand. Mit einer weiteren Energiewelle schloss sich dieses sogleich wieder und gab den Blick auf eine am Boden kauernde Person frei, die sich langsam aufrichtete. Die Agents traten mit gezogenen Waffen vorsichtig näher, ich blieb bei Fury und Barton stehen, die den Neuankömmling nur musterten, warteten, ob er angreifen würde.
Die Erscheinung war trotz der längeren schwarzen Haare männlich und trug ein langes Gewand, in dem grün dominierte. Ein Lächeln zierte das Gesicht des Mannes, und er trug eine Art Zepter, das in einer Spitze endete. Irgendwie kam er mir bekannt vor, sehr bekannt, aber ich konnte nicht sagen, woher.
"Sir, bitte legen Sie den Speer weg!" Furys Stimme durchbrach das Schweigen und beendete damit den seltsamen Moment, in dem alle den Mann anstarrten.
Der Schwarzhaarige betrachtete seine Waffe einen Moment, bevor er plötzlich einen Energiestoß damit abfeuerte, der ein paar Agents das Fliegen lehrte. Barton schubste Fury gerade noch rechtzeitig weg, ich warf mich in die entgegengesetzte Richtung. Der Angreifer sprang inzwischen vorwärts, die Feuerwaffen der Agents schienen ihn kaum zu berühren. Ein kurzer Kampf brach los, den er eindeutig für sich entschied. Barton richtete sich gerade mühsam wieder auf, als der Irre mit dem Zepter ihn am Arm packte.
"Du hast ein tapferes Herz", stellte er fest, dann tippte er mit der Speerspitze an Bartons Brust. Dessen Augen leuchteten blau auf, und dann steckte er die Waffe wieder weg, die er gerade ziehen wollte. Völlig willenlos stand er jetzt dort, als würde er auf einen Befehl warten.
Fury nutzte die Ablenkung um den Tesserakt in einen Koffer zu packen, während der unerwünschte Besucher noch einen Agent einer Gehirnwäsche unterzog.
"Bitte nicht", sagte er plötzlich, und Fury blieb ertappt stehen.
"Das brauch ich noch."
Diese Stimme kannte ich. Ganz sicher sogar. Ich schloss die Augen.
"Das hier muss nicht noch schlimmer werden", sagte Fury ruhig.
"Natürlich muss es das. Für weniger komm ich von zu weit her."
Ein Moment Stille, ich konnte die Spannung im Raum spüren.
"Ich bin Loki. Von Asgard."
Ich riss die Augen auf und fuhr herum.
"Und ein glorreiches Ansinnen ist meine Bürde."
"Loki!"
Selvig schien beinahe erfreut, diesen Namen zu hören.
"Bruder von Thor!"
Ich stand immer noch wie erstarrt da und sah unverwandt den Schwarzhaarigen an. Die Walküre in mir wurde wieder wach.
Meine Aufgabe war es, die Königsfamilie zu schützen. Das hatte ich einst geschworen und mit meinem Blut besiegelt. Und ich hatte diesen Schwur noch nie gebrochen, also würde ich es auch jetzt nicht tun.
"Euer Majestät."
Ich neigte den Kopf, legte die Faust ans Herz und sank auf ein Knie.
Loki sah mich fast schon wohlwollend an. Er schien etwas sagen zu wollen.
"Wir haben keinen Disput mit eurem Volk."
Damit meldete Fury sich wieder zu Wort, mich nicht beachtend.
"Es kann keinen Streit zwischen Ameise und Stiefel geben", stellte Loki hochmütig fest.
"Hast du denn vor, uns zu zertrampeln?"
Loki ging nicht darauf ein.
"Ich komme mit froher Kunde, von einer Welt, die frei ist."
"Frei wovon?"
"Von der Freiheit."
Selbst ich sah ein, dass Loki einfach nur wahnsinnig wirkte, aber ich hatte eben eine Pflicht zu tun. Deswegen erhob ich mich und stellte mich zu Barton, während Loki weitersprach.
"Freiheit ist die große Lüge des Lebens, und tragt ihr erst diese Wahrheit in euren Herzen, erkennt ihr, was Frieden ist."
Während er das sagte, hielt er sein Zepter auf Selvigs Brust und versklavte ihn somit ebenfalls.
"Ja, du sagst Frieden", sagte Fury. "Ich hab nur das Gefühl, du meinst das Gegenteil."
"Sir, Director Fury spielt auf Zeit. Es wird gleich ein dreißig Meter hoher Fels auf uns runterstürzen. Er will uns begraben." Bartons Worte waren kühl, aber informativ. Fury schien innerlich zu lächeln.
"Wie die alten Pharaonen", bestätigte er Bartons Aussage.
"Er hat Recht, das Portal stürzt in sich zusammen. Uns bleiben vielleicht noch zwei Minuten, bis es kritisch wird", warnte Selvig und verleitete Loki damit endlich zum Handeln.
"Nun, denn", sagte er kurz. Barton zog seine Waffe und schoss auf Fury, der umgerissen wurde.
Loki, Selvig, der andere Agent und ich liefen los, Barton griff noch den Koffer mit dem Tesserakt, bevor er uns folgte.
In der Garage trafen wir auf Hill.
"Wir brauchen diese Fahrzeuge", erklärte Clint kurz angebunden und besetzte einen Pick-up.
"Wer ist das?", fragte Hill misstrauisch, als sie Loki erblickte.
"Haben die mir nicht gesagt."
Loki hockte sich auf die Ladefläche, ich setzte mich daneben, die Hand an meiner Waffe, da ich fürchtete, dass Hill Lunte gerochen hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Barton seinen Revolver gegriffen hatte.
"Hill!"
Das kam aus Hills Funkgerät. Fury lebte also.
"Hören Sie mich? Barton wurde umgedreht!"
Augenblicklich hatte ich meine Waffe gezogen, aber der erste Schuss kam von Barton selbst. Hill ging gerade noch rechtzeitig in Deckung, der Bogenschütze sprang ins Auto und raste los.
Hill schoss uns hinterher, traf aber nicht - dachte ich, bis ich einen stechenden Schmerz im Bauch spürte.
Loki sah mich von der Seite an, ich gab keinen Ton von mir.
Nein, gar keinen. Ich merkte nur noch, wie mir schwarz vor Augen wurde.

So, ich dachte mir, schieb ich Kapitel eins gleich hinterher! Wie fandet ihr es bisher? (Konstruktive!) Kritik ist immer gern gesehen, auch auf Rechtschreibfehler dürft ihr mich gerne aufmerksam machen, falls ich etwas übersehen habe.
Lasst auch gerne einen Stern da, ich würde mich riesig freuen!

Eure Lee <3

Secret Savior ||| LokiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt