K a p i t e l • 5 •

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»Drew!«, höre ich ihn von unten, als ich im ersten Flur angelange. Wie unter Strom nehme ich die zweite Treppe ins Dachgeschoss. Ich steuere nach rechts auf meine Tür zu und fühle schon den Stoff meines Bettlakens, in dem ich mich vergraben und weinen werde – doch etwas hält mich auf: Ich stoße mit jemandem zusammen. Der penetrante Geruch von After Shave steigt in meine Nase. Ich muss nicht aufsehen; die Person vor mir befindet sich auf meiner Augenhöhe. Joshua.

»Ey, pass gefälligst auf!«, wütet er und klingt am Ende ab. Er mustert mich und zieht die Augenbrauen zusammen. Für einen Moment denke ich tatsächlich, er empfände etwas wie Mitleid für mich und nähme mich in den Arm. Aber da habe ich mich wohl geschnitten.

Joshua schnaubt, fragt aber trotzdem: »Was ist?« Ich schüttele nur den Kopf. »Sag schon.« Ich merke, dass es ihm unangenehm ist, dass er neugierig ist. Er würde es gerne verstecken.

»Das interessiert dich sowieso nicht«, presse ich unter Tränen hervor.

»Woher willst du das wissen, wenn du es mir nicht sagst?«

»Ach, tu nicht so als würdest du mir jemals zuhören!« Wütend werfe ich die Hände in die Luft.

»Was meinst du?« In Joshuas Blick spiegelt sich Verwirrung. Ich kann es nicht glauben. Er fragt, was ich meine?

Nun schnaube ich. »Das kann nicht dein Ernst sein.« Ich schüttele erneut den Kopf und stoße ihn mit einer Hand von mir weg. »Geh doch zu deinen scheiß Jungs, die du als deine Freunde betitelst und geh Scheiße mit ihnen saufen! Mach dich doch kaputt, es macht mir nichts aus, weil ich dirnichts ausmache.«

»Was laberst du da?«

»Ich laberedie Wahrheit.« Wie ein Fluss strömt es aus meinen Augenwinkeln. Inzwischen fließen sie mitunter wegen Joshua. Es macht mich schon seit Monaten traurig, schon seit er sich verändert hat wünsche ich mir meinen alten kleinen Bruder zurück. Ich verachte seine Verschlossenheit, seine Ablehnung mir gegenüber, seine Alkoholprobleme, ja, ich hasse sogar seine Stimme, weil sie nicht mehr das sagt, was Joshua tief in sich drin wirklich denkt. Sie sagt nur noch das, was die Fassade, die er aufgebaut hat ihm erlaubt zu sagen.

Verzweiflung löst meine Wut ab. »Sei wie früher«, murmele ich. »Sei wie früher, Joshi.«

Er stöhnt. »Warum machst du aus allem so ein Drama? Hör-« Er stockt. Ich sehe, wie sich sein Gesichtsausdruck verändert. Seine Augen sind auf einen Punkt über mir gerichtet. Ohne mich umzudrehen, weiß ich, wer hinter mir steht. Wärme hat sich in mir ausgebreitet, diesmal aber will ich sie nicht spüren. Ich will mich nicht von ihm angezogen fühlen, ich will nicht dass ich will, dass ich mich zu ihm umdrehe und in sein umwerfendes Gesicht schaue.

»Was ist los, Drewlynn?«, verlangt Will zu wissen.

»Joshua, erklär du es ihm, wenn du ja so gut über mich Bescheid weißt.« Ich schiebe mich an ihm vorbei in mein Zimmer. In der Eile und der Aufregung, in der ich die Lehne meines Schreibtischstuhls unter die Türklinke klemme, beginnt mein Herz schnell gegen meine Brust zu hämmern.

»Was ist mit ihr?«, tönt Wills Stimme aus dem Flur.

»Was weiß ich«, ächtet mein Bruder. Ich höre sein Misstrauen heraus.

»Besser redest du jetzt nicht mit ihr«, rät Joshua. »Sie ist nur noch launisch.«

»Ich bin Will Morganson, der Bruder von Max. Lass mich zu ihr.« Joshua hat ihm doch nicht den Weg versperrt? Das würde gar nicht zu ihm passen. Viel mehr entspräche es seiner Art, ließe er Will stehen und ginge in sein Zimmer.

Die Frage beantwortet sich mir, als an der Tür gerüttelt wird und ich durch den Schreck einen Meter nach hinten springe. »Drew? Bist du da, Drewlynn?« Bei den sanften Tönen seiner Stimme treten mir weitere Tränen in die Augen. Kann ich nicht aufhören, zu weinen? Mich plagt bereits ein tief sitzender Kopfschmerz.

September RainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt