Mein Laptop ist auf Videoanruf mit meiner besten Freundin geschaltet, während ich mich für ihre Abschiedsfeier in meinem Zimmer fertig mache. Sie muss laut reden, weil ich sie sonst auf Grund des Regenkonzerts auf den Fenstern nicht verstehe.
»...Jedenfalls ist er am Tisch mit unseren Eltern noch verschlossener als wenn ich mit ihm alleine bin«, erzähle ich Amanda von meinem Bruder. Dabei öffne ich den Schrank und suche mir Kellnerkleidung heraus.
»Obwohl er sich gestern mal geäußert hat, als Max'-« Ich stocke und schnappe nach Luft.
»Was? Was ist mit Max?«
»Nichts.« Bis jetzt habe ich ihr nichts von Wills Besuch erzählt. Mir selbst kommt es unreal vor, dann kann ich es nicht jemand anderem als Realität verkaufen.
»Das heißt, du sagst es mir später?«
»Das heißt, ich sage es dir später.«
_
»Ich bin los!«, rufe ich um halbfünf durch das Haus, bevor ich Teds Regenschirm über mir aufspanne und zum Auto laufe. Gewöhnlich würde mir der Regen nichts ausmachen, ich ließe ihn bereitwillig über mich rinnen. Heute trage ich aber Mariannes Nadelstreifenhose und die dunkelrote Weste, die sie zu ihrer Konfirmation geschenkt bekam. Außerdem brauchte ich eine ganze Stunde, meine Haare zu locken. Trotz der Ladungen Haarspray riskiere ich keine Wolkendusche.
Opas alter Ford Escort ist aus der Ferne und durch das Wetter auf dem Parkplatz sichtbar. Opa lackierte ihn neu weiß, bevor er ihn mir zu meinem achtzehnten Geburtstag überließ.
Ich steige ein und hoffe wie jedes Mal wenn ich die Tür auf der Fahrerseite schließe, dass das Auto nicht auseinanderfällt. Sobald ich den Schlüssel im Zündschloss stecken habe, dudelt klassische Musik aus den Lautsprechern. Wenn ich es nicht bald schaffe Opas Musikkassette, die seit Jahren im Autoradio feststeckt und keine Anstalten macht irgendwann mal sich zu lösen, herauszuholen, mutiere ich noch zu einer verrückten, fluchenden Fahrerin mit durchgängig grimmigem Gesichtsausdruck. Ich mag klassische Musik durchaus, doch sie durchgängig auf jeder Fahrt hören zu müssen, ist eine Tortur. Besonders wenn man mit betrunkenen Freunden von einer Party kommt und alle vorhaben, im Auto weiterzufeiern, bis sie dann bemerken, dass sich ihnen nicht die Möglichkeit bietet, auf fetzige Chartsumzuschalten und das nächste Mal lieber bei anderen mitfahren.
Die Klänge von Geigen und Klavier, gemischt mit dem Regentrommeln auf der Windschutzscheibe und dem eifrigen Scheibenwischer schaffen eine wohlige Atmosphäre. Beinahe bringt sie mich dazu, Will und die Geschehnisse gestern Abend ganz aus meinem Kopf zu streichen, für eine Weile. Doch das tue ich schon den ganzen Tag. Wäre da nicht das Kribbeln in mir, das ich spüre, wenn ich an gestern denke, könnte ich glatt behaupten, Will und alles drum herum wären bloß Fantasien in meinem Kopf gewesen. Es hat sich aber zu echt angefühlt, seine Berührungen auf meiner Haut und der tiefe Blick durch seine so wunderbar grauen Augen.
Stopp Drewlynn, ermahne ich mich selbst. Ich sehe starr auf die Straßen, angespannt wie immer seit Max' Fahrradunfall. Jedem LKW, der an mir vorbei braust, versuche ich mit meinem Blick zu verbrennen. Die Schlagzeile vor meinem inneren Auge auf: Tragischer Unfall: 19-Jähriger Radfahrer kommt ums Leben.
Etwas in mir ist in dieser Sekunde wieder aufgerissen worden. Ich kann nichts dagegen tun: der Rest des Artikels baut sich auf: Am Donnerstag, dem 27. September 2015 verunglückte ein 19-Jähriger Radfahrer tödlich. In Villyshaven brachte ein LKW den jungen Mann zu Fall. Er verstarb in der Nacht zu Freitag.
Aus meinen Lungen ist jegliche Luft entwichen, plötzlich engt mich das Auto ein wie ein Käfig. »Ich will hier raus!«, brülle ich und schlage verzweifelt gegen das Armaturenbrett. Auf einmal kommt der Wagen ins Schlittern, die Reifen quietschen grauenvoll in meinen Ohren. Ich verliere die Kontrolle über das Lenkrad, alles vermischt sich zu einem Wirrwarr aus Farben und ich spüre schmerzhaft, wie sich der Gurt in meine Haut schneidet.
DU LIEST GERADE
September Rain
Teen Fiction"Because sometimes, 'forever' only means one infinity." Drew und Max teilten bis zu seinem tödlichen Unfall eine kleine Unendlichkeit. Als diese dann das plötzliche Ende fand, hatte Drew jegliche Hoffnung in das Schicksal verloren. Doch nach einem h...