K a p i t e l • 12 •

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Endlich gesellt sich auch Joshua zu uns. Er lächelt kurz in die Runde, zückt dann sein Handy und scrollt darauf einige Minuten lang, bis er es gedankenverloren bei Seite legt. In genau dem Moment ertönt der letzte Ton der Schulband. Dann wird Jazzmusik durch die Boxen gespielt und das Licht wird gedimmt.

Das Essen vergeht mit vielen Erinnerungen, die meine Eltern und ich erzählen, zum Bedauern Joshuas. Nach seiner Windelgeschichte blicket er sich fünf Mal um, dass ja keiner zuhörte. »Hört auf jetzt«, flehte er uns an.

Mittlerweile fühlt sich die Stimmung in der Halle aufgelockert an. Vielleicht durch das Tanzen oder die Discokugellichter, die als Kreise langsam über den Boden und die Wände wandern in dem sonst abgedunkelten Veranstaltungsraum. Leider bat mich Joshua um keinen Tanz. Er verschwand direkt nach dem Essen und ließ sich bis jetzt nicht blicken. Ted und Marianne sitzen an verschiedenen Tischen – sonst tanzen sie auf jeder Veranstaltung am meisten, intensivsten und längsten. Vielleicht haben sie sich gestritten - in den letzten Wochen lag häufig Spannung in der Luft.

So kommt es, dass ich alleine vor der Tanzfläche stehe. Ich mache einen Schritt auf die Damentoilette zu, doch da piepst mir jemand zwei Finger in den Rücken.

»Jeremiah!«, protestiere ich. Fast hätte ich wegen ihm meinen Sekt verschüttet. Er dreht mich zu sich um.

»Wollen wir tanzen?« Normalerweise würde man nun lächeln, wenn man solch eine Frage stellt. Nicht Jeremay. Er ist von einem ausgesprochen seltsamen Humor gesegnet, wo er nichts ernst meint, was er sagt und trotz dessen nie lacht. Deswegen mögen ihn manche Leute bei der ersten Begegnung nicht, weil sie seine Art Humor nicht verstehen. Zu diesen Leuten zählte ich, als wir uns kennenlernten. Bald sah ich aber die Vorteile: bei Jeremay muss man nicht gezwungen lächeln wegen eines Witzes, den man eigentlich nicht lustig fand. Bei ihm ist nichts gestellt, weswegen es möglich ist, sich mit ihm viel schneller in tiefgründige Gespräche zu begeben.

»Lynn?« Es dauert einen Moment, bis ich bemerke, dass ich gemeint bin. So werde ich nur von ihm genannt und das ist eben schon eine Weile her.

»Hm«, mache ich, trinke einen Schluck Sekt und trete zum Takt der Musik von einem Fu0 auf den anderen.

»Was?«, fahre ich ihn lachend an.

»Ich fragte, ob du tanzen willst.«

»Oh.« Einem Impuls folgend trete ich einen Schritt zurück. »Nein danke, gerade nicht.« Hastig setze ich wieder einen Fuß vor den anderen um meiner Bewegung einen Sinn zu geben. Es glich einem Schutzimpuls, welches mein Körper mir sandte. Wie auf Amandas Party, als ich dachte, Will bäte mich um einen Tanz.

»Gerade nicht?« Seine Augenbrauen befinden sich etwa drei Zentimeter höher als sonst. Ich seufze. Natürlich glaubt Jeremay meinen Worten nicht.

»Hör zu«, sage ich. Ich will es einfach nur hinter mich bringen. »Es sind Dinge passiert. Nichts schönes, nichts, womit ich mich heute beschäftigen will. So... I beg you.« Flehend blicke ich in seine Augen, spüre, wie meine weit aufgerissen sind. Seit ich Max kenne wechsele ich in Situationen, in denen ich nicht weiter weiß und unsicher bin ins Englische. Max sprach oft Englisch mit mir. Unter anderem weil ich ihm wahrscheinlich viel zu oft sagte, wie süß sein irischer Akzent in dieser Sprache klang.

»Lass uns an die frische Luft gehen«, schlägt Jeremay vor, ohne ein weiteres Wort über mein Verhalten zu verlieren. Das ist, was ich an ihm wertschätze.

Er hakt sich bei mir unter, wir verlassen das Gebäude und lehnen uns an einen Zaun, der uns davor bewahrt, meterweit hinunter auf rasende Autos zu fallen. Nichts außer einzelne rote und orangefarbene Lichter erhellen die Dunkelheit. Wind streift und lässt unsere beiden Haare fliegen.

September RainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt