Kapitel 5

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Mitten in der Nacht schrecke ich auf. Nur ein Albtraum, trotzdem bin ich davon komplett fertig und von Schweiß gebadet. Ich lege meinen Kopf nieder und versuche wieder einzuschlafen. Einige Minuten liege ich mit offenen Augen auf meinem Kissen.
Ein zweites Mal setze ich mich auf. Es steht fest- ein weiteres mal werde ich diese Nacht nicht einschlafen.
Trotzdem möchte ich nicht aufstehen. Also bleibe ich so liegen und denke nach: ,,Ob es Levi leichter fällt, als mir? Er macht immer so einen gelassenen Eindruck auf mich. Vielleicht hat er sich auch nur deshalb freiwillig gemeldet, weil er weiss, dass er locker gewinnen kann? Ich will das jetzt wissen."
Ich beschließe, hinüber in Levi's Zimmer zu gehen. Nur um schnell nachzusehen, ob er schläft. Ich schleiche zur Tür und öffne sie vorsichtig. Gleich gegenüber von meinem Raum, befindet sich Levi's. Ich tappe auf Zehenspitzen hinüber und lege mein Ohr an die Tür. Nichts. Langsam drücke ich die Klinke herunter und stelle einen Fuß in das Zimmer. ,,Levi?",flüstere ich. Keine Antwort. Ich vermute, dass er schläft, doch ich bin mir nicht sicher. Ich schleiche zu seinem Bett hinüber. ,,Suchst du etwas?", höre ich aus der hinteren Ecke des Zimmers. Ruckartig drehe ich mich um und erblicke Levi in einer Ecke des Zimmers neben dem wandlangen Fenster. ,,Ich.. ehm..",mehr bekomme ich nicht hervor. Die ganze Situation ist mir ziemlich peinlich. Was denkt er jetzt wohl von mir? ,,Du kannst nicht schlafen, richtig?", fragt er mich. ,,Ja, dir geht es anscheinend ähnlich.", antworte ich. ,,Wie soll man hier auch nur ein Auge zu bekommen?", meint Levi und lehnt seinen Kopf an die Fensterscheibe. ,,Was wolltest du mir heute morgen eigentlich mitteilen?",frage ich. Levi sieht weiterhin aus dem Fenster, bis er beginnt zu reden: ,,Was denkst du, weshalb ich mich für deinen Bruder gemeldet habe?", sagt er. ,,Weil du nicht wolltest, dass er stirbt?",beende ich seinen Satz. ,,Nein, eigentlich nicht.", spricht er leise. Ich überlege, was sonst ein Grund wäre, sich freiwillig für die Hungerspiele zu melden. Er ist nicht mit meinem Bruder befreundet, das wüsste ich. ,,Komm schon, welchen Grund könnte ich wohl haben, dass ich mich an der Stelle deines Bruders melde?",fügt er hinzu. ,,Sag es mir doch einfach.", gebe ich lachend zurück und gehe zu ihm hinüber. Ich setze mich ihm gegenüber an das Fenster. ,,Sieh dir die Leute an. Wie sie feiern. Grauenhaft.", meint Levi. Was soll das denn jetzt? Warum lenkt er nun vom Thema ab? ,,Du wolltest mir etwas erzählen.",erinnere ich ihn. ,,Weisst du, dass mir das vielleicht schwer fällt?", antwortet er. ,,Was denn? Sag es mir doch einfach.", entgegne ich. ,,Komm mit.", sagt er plötzlich und steht auf. Ich blicke ihn verwirrt an. ,,Wohin willst du?", frage ich. ,,Komm einfach mit. Vertrau' mir.", meint Levi. Es fällt mir immer ziemlich schwer, Leuten in so schneller Zeit zu vertrauen, doch bei Levi ist das irgendwie anders. Er kommt mir vor, wie ein alter Bekannter. Ich stehe auf und folge ihm. Weit entfernt er sich nicht, denn er läuft schnurstracks in mein Zimmer. ,,Was willst du hier?", frage ich ihn. Doch ich bekomme keine Antwort. Schnell geht er hinüber zu meinem Nachtschrank und reißt die Schublade auf. Mit einer Fernbedienung in der Hand kommt er zurück. Levi bleibt in mitten des Zimmers stehen. ,,Komm her.", fordert Levi. Ich zögere, doch letztendlich stelle ich mich neben ihn. Er hält die Fernbedienung auf mein Fenster gerichtet. Mit einem Tipp mit dem Finger, erscheint an der Fensterscheibe plötzlich ein Wald. Nicht ganz, eine Projektion eines Waldes. Mit einer weiteren Berührung verändert sich das Bild und nun ist es ein weites Feld. Es sieht ziemlich real aus. So als könnte man direkt hinein laufen. ,,,Levi, das ist ja ganz schön, aber was willst du mir zeigen?", erfrage ich. Er gibt mir wieder keine Antwort. Das Bild ändert sich beim dritten Tippen erneut. Diesmal ist es.. der Strand.. aus meinem Distrikt. Es sieht unfassbar echt aus. Als könnte ich jetzt sofort in das klare Wasser rennen oder den feinen Sand über meine Haut rieseln lassen. ,,Du vermisst deine Heimat, richtig?", meint Levi. ,,Natürlich, du etwa nicht?", antworte ich. ,,Es gibt niemanden dort, der mir die Freude an der Heimat gibt. Keinen Grund länger dort zu bleiben.", entgegnet er. ,,Was meinst du damit?", will ich von ihm wissen. ,,Ich meine damit, dass mich von nun an nichts mehr dort hält.", erklärt er. ,,Von nun an?", wiederhole ich. ,,Begreifst du nicht?", sagt er etwas lauter. ,,Nein, nicht wirklich.", gebe ich als Antwort.  Er sieht mich leicht bedrückt an. Ich weiss nicht recht, ob er jetzt genervt von mir ist, weil ich nicht verstehe, was genau er mir mitteilen möchte. Ich stehe dicht neben ihm und sehe weiterhin auf den Strand.
Plötzlich merke ich, dass Levi immer näher kommen zu scheint. Ich sehe in seine Richtung. Nun ist er ungewöhnlich nah an meinem Gesicht. ,,Ich mag dich wirklich sehr.", meint er.
Jetzt begreife ich, dass wollte er mir die ganze Zeit mitteilen.
Im Moment ist mir das etwas zu viel, doch da er sich ja in meinem Zimmer befindet, kann ich ja schlecht rausrennen. Trotzdem bleibt mir nichts anderes übrig. Ich möchte mich aus dieser Situation befreien. Das erste was mir in der Kopf schiesst, tue ich auch. Und in dem Fall war das nunmal: Aus dem Zimmer rennen und sich in seinem Raum einschließen.
Und da sitze ich nun, in seinem Raum, an seine Tür gelehnt. Im Moment kommen mir so viele Gedanken durch den Kopf: Warum hat er das nicht eher gesagt? Warum macht er daraus so ein großes Geheimniss? Bin ich also allein dafür verantwortlich, dass er sich freiwillig gemeldet hat? Das wird mir alles zu viel. Ich brauche darauf erste eine Nacht zum Nachdenken. Ich erhebe mich und lege mich in Levi's Bett. Meine Gedanken spielen komplett verrückt: ,,Was erwartet er jetzt von mir? Ich kann ihm doch nie wieder unter die Augen treten, nachdem was eben passiert ist. Ob er das gerade bereut oder sich eher freut, dass er es endlich hinter sich hat und kein großes Geheimniss mehr draus machen muss. So hätte ich ihn nicht eingeschätzt. Was hab ich nur getan? Ich hätte mit ihm reden sollen. Ihn fragen sollen, wie er sich fühlt. Warum ist mir das nicht eingefallen?" Ich mache mir unendliche Vorwürfe. Das hätte anders ausgehen sollen.

Die 90. Hungerspiele- Rückkehr eines OdairsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt