2. Kapitel: Die Baader-Befreiung (Teil 2)

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(14. Mai 1970)
(Sicht: Ulrike Meinhof)

Nervös blickte ich mich (noch allein) im Lesesaal um. Jeden Moment würde es losgehen. Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, schwang die große, hölzerne Flügeltür auf und ich seufzte fast. Andreas! Diese Staatsdiener von Polizisten führten ihn an Handschellen in den Raum. Ich schluckte meine Wut herunter und lächelte das falsche Lächeln, was ich in den letzten 2 Jahren gelernt hatte.

„Herr Baader!“, meinte ich mit einem leichten Nicken.
„Frau Meinhof!“, meinte er ebenso.
Ich lächelte wieder, beugte mich herunter und nahm einige Zeitschriften aus meiner Aktentasche. „Ich habe diese Zeitschriften mitgebracht. Schauen wir sie uns doch zuerst mal an.“, ich holte ein paar Blätter hervor, sowie einen Kuli,„...und machen uns Notizen, für die gemeinsame Arbeit.“
„Ja, wie früher, alte Freundin!“ Alte Freundin? Wie früher? Ich war jünger als er! Und außerdem kannten wir uns gerade mal ein Jahr richtig. Also was für alte Zeiten? Außerdem war ich offiziell wegen eines Buches, bei dem er mir helfen sollte hier.
Er grinste, als er meine Reaktion sah, nahm sich eine Zeitung und begann zu lesen. Mir fielen die scharfen Blicke der Justizbeamten auf! Sie wirkten jetzt schon misstrauisch. Hoffentlich würde es mit der Zeit vergehen.

Ich führte falsche Interviews, was irgendwie lustig war und ich musste mich zusammenreißen, um dabei nicht zu grinsen. Ein Buch über Kinder, die im Heim aufgewachsen waren, dass ich nicht lachte. Es war wirklich seltsam, dass mir der Staat so etwas glaubte. Immerhin hatten sie mich doch beobachten lassen! Dachten sie nicht ich hätte Besseres zu tun, als das? Schließlich unterhielten Andreas und ich uns über die Artikel, machten Notizen und wie immer, war dieser Junge wirklich bewundernswert, aber ich durfte mich jetzt nicht ablenken lassen, nicht mal von philosophischen Diskussionen. Immerhin mussten wir ihn hier raus holen. Was ganz und gar nicht einfach war! Ich könnte es mir nicht verzeihen, würde ich diese politische Aktion vergeigen. Auch, weil er der Freund meiner besten Freundin war, aber das war nur Nebensache.

Ich blickte gerade vom Zettel auf meine Uhr, welche mir sagte, dass wir noch 10 Minuten bis um 11 hatten, als plötzlich der Institutsangestellte, welcher Georg Linke hieß, auf stand und dem Raum verließ... Das lief nicht nach Plan! Ich versuchte mir den Schrecken nicht ansehen zu lassen, aber zu mindestens Andreas schien etwas gemerkt zu haben.
Er flüsterte schnell und unauffällig:„Ihr plant Das hier. Irgendwas läuft schief, oder?“
Ein kurzer ängstlicher Blick musste als Antwort reichen, denn die beiden Männer, die ihn hergebracht hatten, betrachteten uns immer noch misstrauisch.

Genau in diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubender Knall und mehrere Schüsse folgten. Wir sollten die Waffen doch nur im Ausnahmefall verwenden! Sie waren doch nur zum abschrecken gedacht!! Was war nur passiert? Dann stürmten auch schon Irene, Ingrid und Hans-Jürgen den Raum.

„Hände hoch, oder wir schießen“, rief Irene. Aber der maskierte Hans-Jürgen war wohl doch der am bedrohlichsten Aussehende der drei. Sie packten die beiden Männer um sie nach draußen zu bringen, aber wie aus dem Nichts entstand ein Handgemenge und sie wehrten sich gegen die Mädchen. Einige Schüsse ertönten und der eine Justizbeamte hielt sich mit schmerzverzehrtem Gesicht seine Schulter. Er war angeschossen! Der andere humpelte, vermutlich war sein Bein getroffen. Oh nein, es lief nicht nach Plan!
„Komm!“, meinte Ingrid, packte Andreas am Arm und zog ihn aus dem Lesesaal. Ich konnte doch jetzt nicht mehr hier bleiben! Ich konnte sie doch nicht allein gehen lassen! Es war eine einfache spontane Entscheidung, aber sie würde mein ganzes Leben völlig verändern. Ich stand auf und atmete kurz durch. Es war so weit.

„Wartet!“, rief ich und folgte ihnen aus dem Lesesaal. Ich blieb wie erstarrt stehen, als ich eine riesige Blutlache auf dem Boden der Diele sah. Der Institutsangestellte! Er war unschuldig gewesen, nur ein einfacher Angestellter! Mein Atem verschnellerte sich. Er war am Arm angeschossen... Aber da war auch eine Kugel in seinem Bauch, ungefähr auf Höhe der Leber. So viel Blut und es wurde immer mehr! Ich wusste gar nicht das ein Mensch so viel Blut hatte!
„Was sollte das? Er war doch unschuldig!“, rief ich laut.

Hans-Jürgen und Irene stürmten hinter uns heraus.
„Tut mir leid, hätte ich ihn nicht verletzt, wären wir aufgeflogen“, meinte Hans.
„Denk daran, wie viele Menschen unschuldig im Vietnamkrieg verletzt werden oder sterben, und das sogar auf grausamere Weise! Dieser eine hier ist gar nichts für den Kampf dagegen. Es sterben immer Unschuldige, aber dafür können wir tausende Unschuldige retten. “, meinte Andreas.
„Aber...“
„Und denk an Rudi Dutschke, mit Gudrun war er eng befreundet, aber ich weiß du kanntest ihn auch. Auch er war unschuldig!“
Ich wollte reagieren, aber Irene drängte uns. Wir mussten los! Es waren schon andere Polizeieinheiten auf dem Weg.

Wir verließen das Gebäude und rannten so schnell wir konnten auf das Fluchauto zu. Hinter uns ertönten Schüsse. Die Polizei war also da... Erschrocken wich ich gerade so einer Kugel aus. 'Wir müssen es schaffen wir müssen ein Zeichen setzten und Andreas befreien und überleben!', dass war momentan mein einziger Gedanke.

Wir stürmten auf unser Fluchtauto zu, wo Astrid und Brigitte, wie abgesprochen, warteten. Schnell stiegen wir ein und knallten die Türen zu! Schon rauschte Brigitte los. Erleichtert atmete ich aus. „Jaa, wir haben es geschafft!“, rief Ingrid und warf glücklich die Arme in die Luft. Doch ihr Lächeln schwand sofort, als sie sich umdrehte und das Blaulicht im Hintergrund sah. „Noch nicht!“, meinte Andreas und wie auf Kommando ertönten Sirenen. „Mist, fahr schneller!“, rief Hans, woraufhin Astrid wie eine verrückte auf das Gaspedal trat. Die Verfolgungsjagd begann.
Würden wir diese letzte Hürde überwinden? Würden wir entkommen? Würden wir Geschichte schreiben??

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