3. Kapitel: Die Flucht

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(14. Mai 1970)
(Sicht: Ulrike Meinhof)

Harrscharf rasten wir um eine Kurve, so dass ich fast aus dem Auto geschleudert wurde und Irene gegen  das Fenster gedrückt. Und schon wieder um die nächste Kurve in einer Geschwindigkeit, von der ich nicht mal wusste, dass ein Auto sie erreichen kann. 'Ohne Brigittes unglaubliche Fahrkünste wären wir alle schon längst tot', dachte ich und wurde im nächsten Moment wieder in die andere Richtung, gegen Andreas, geschleudert.
„Hey!“
„Hör auf so anzüglich zu grinsen!“, antwortete ich, die Augen verdrehend. Plötzlich hielt das Auto mit einem so starken Ruckeln an, dass ich fast durch sie Frontscheibe flog. „Verdammt Brigitte!“
„Alle aussteigen. Los, bevor die Bullen da sind!“
Andreas sah uns an als hätten wir einen Knall. „Denkst du wir haben nur ein Fluchtauto!?“, meinte ich und zog ihn hinter mir aus dem Wagen.

Wir fuhren bereits ein Stück und es war ruhig. „Haben wir es geschafft? Haben wir sie wirklich abgeschüttelt?“, fragte
Ingrid hoffnungsvoll.  Einen Moment herrschte Stille. 'Es scheint fast so' dachte ich. 'Aber die Stille...Es ist zu still, da stimmt doch etwas nicht...' „Ich denke...“, begann Andreas, als hinter uns ein Schuss ertönte und das Auto mit einem unkontrollierten Schleudern, einige andere Autos streifend gegen einen Baum knallte. Mein Kopf begann zu dröhnen und für einen Moment wurde mir ganz schwindelig. Ich spürte kleine Glassplitter, die Wunden und Blut auf meiner Stirn verursacht hatten. Es brannte und alles drehte sich.
„Alle raaaaaaus! “, hörte ich Astrid gedämpft schreien. Die Anderen stürtzten nach draußen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich hörte wie sie weg rannten, am Klacken der Stiefel. Die Stiefel meines Versagens, die Stiefel meines Endes. Ich hätte es in diesem Moment wissen müssen. Hätte ich damals aufgegeben, vielleicht wäre alles nie so weit gekommen. Aber hätte ich aufgegeben, hätte ich nicht mal versucht etwas besser zu machen und das hätte ich mir nie verziehen können!

Wie aus dem Nichts konnte ich mich wieder bewegen. Ich stürzte aus dem Auto und rannte so schnell ich konnte, den anderen hinterher. Als ich hinter mir das noch gedämpfte Knallen einer Explosionen hörte.

Und was ich damals dachte war in etwa das: Sie hatten Recht. Die anderen hatten Recht. Andreas hatte RECHT. Wir hatten keine Wahl. Gewalt oder Unterdrückung. Freiheit oder Zwangsherrschaft. Die Polizisten des Staates, der die kapitalistische Unterdrückungsherrschaft sicherte, hatten keine Sekunde gezögert uns erschießen zu wollen und so sollten wir auch nicht zögern zum Gegenschlag gegen den Klassenfeind und seine Soldaten. Aber wir hatten nicht die Mehrheit hinter uns! Die DKP (deutsche kommunistische Partei) würde unsere maoistischen Ideen nicht unterstützen. Sie versuchten sich an sinnlosen Dingen, wie Reformen. Wir hatten keine Zeit zu warten, wir mussten jetzt etwas ändern. Mao hatte die Idee geliefert und das Spiel hatte begonnen. Wir würden eine Guerillagruppe auf bauen.

Mein Herz rasste, endlich würde ich wirklich etwas ändern, alles war perfekt! Wie sehr ich mich doch irrte.

Rote Armee Fraktion (RAF): Die erste Generation Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt