"Am teuersten sind die, die wirklich reinkicken, sowie LSD oder Kokain. Aber beide sind wohl verdammt schwer in der Produktion und im Anbau. Außerdem wächst die Kokapflanze nicht hier in Europa, dafür ist es viel zu kalt. Heroin wirft auch ziemlich viel ab, es ist quasi die einzig pflanzlich hergestellte harte Droge, die theoretisch auch hier anzubauen wäre, aber der Vorgang ist mehr als kompliziert. Einfacher ist Opium weil die Produktion nur ein Zwischenschritt der Gesamtproduktion von Heroin ist. Leichteres wie zum Beispiel Cannabis muss nicht aufwendig verarbeitet werden, aber es wächst nur unter Bedingungen, die wir schwer erfüllen können. Chemisch hergestellte Drogen haben verschiedene Vor- und Nachteile. Man spart sich oft den Anbau einer Pflanze, die als Basisstoff dient. Crack zum Beispiel wird aus Natriumhydrogencarbonat und irgendeiner Art Salz aus Koks gemacht, wie, weiß ich auch nicht."
Jamie saß im Schneidersitz auf der Bank unter der großen Kastanie auf dem Schulhof und wir anderen, die wir soeben noch mit unserem Laienwissen über den angeblichen Anbau von Drogen gefachsimpelt haben, saßen allesamt mit offenem Mund im Halbkreis vor ihm auf dem Boden und hingen an seinen Lippen. Alle Achtung, es schien, als sei Jamie doch nicht so dumm für wie wir ihn hielten und seine Zeit, die er mit Freunden wie Sebastian verbracht hatte, doch keine Verschwendung. "Wieviel bekommt man denn da so", fragte ich ihn. Jamie zuckte nur mit den Achseln.
"Also das ist unterschiedlich, je nach Qualität und Ortschaft. Für ein Gramm Kokain bekommt man heutzutage wohl um die fünfzig Pfund. Heroin kostet ungefähr das gleiche oder ist teurer, guten Stoff bekommt man wohl für um die sechzig oder siebzig. Cannabis wird meistens ziemlich weit her importiert und kostet auch um die 30 Pfund pro Gramm."
Ich war in Nachdenken versunken. Das war sehr viel Geld für so wenig "Stoff", wie Jamie es genannt hatte. Mehr als ich an Taschengeld in einem Monat erhielt für ein Gramm Kokain. Diese Summen wirkten natürlich sehr verlockend. Jamie und sein lästiger Aasgeier von heuchlerischem Freund war mir fast schon gleich, mit dem Geld konnte ich mir etwas eigenes aufbauen, mir Träume erfüllen die ich mir nachts, wenn niemand mich auf andere Gedanken brachte, ausmalte. Geld regiert die Welt, heißt es, doch ich begriff in diesem Moment, dass es viel weniger das Geld war, als der jenige, der wusste, woher er es bekam und wie er es einzusetzen hatte. Denn diesem standen stets neue Tore und Wege offen, seine Macht zu erweitern und Geld war nur eine Möglichkeit, ein Mittel zum Zweck. Zweitausend Pfund erschienen auf einmal nichts mehr zu sein. Das waren vierzig Gramm Kokain. Ich wollte beginnen damit, etwas aufbauen, eine Idee formte sich und sie war mehr als nur der bloße Wunsch und das Traumdenken des gestrigen Abends. Wir mussten uns entscheiden, wir mussten Pläne schmieden und uns organisieren, wir mussten -
"Wie stellt man das denn her, Heroin?"
Dillan hatte gesprochen und mich damit aus meinen Gedanken gerissen. Eine gute Frage. Jamie antwortete:
"Man pflanzt Mohn an."
"Gewöhnlichen Mohn", frage Dillan mit zusammen gezogenen Brauen.
"Nein", kam die Antwort. "Schlafmohn. Der sieht anders aus als Klatschmohn, ist lila und nicht rot. Wächst außerdem nur, wenn man den Boden quasi persönlich sauber geleckt hat."
"Und was macht man dann mit dem Schlafmohn? Essen?", fragte John.
"Nein, ich weiß es auch nicht genau. Aber wenn ihr wollt kann ich es rausfinden. Ihr wisst ja..." Jamie wurde rot. Stolz war er nicht darauf, so viele Freunde zu haben, die in dem Geschäft derart bewandert waren. Ich nickte langsam.
"Tu das. Ich will es bis in jedes kleinste Detail wissen."
Ich brannte darauf, mit all dem anzufangen, was ich vorhatte. In meinem Kopf flogen wirre Gedanken und Ideen umher, den anderen erging es scheinbar ähnlich. Keiner blickte den anderen an, alle hatten ihre glasigen Blicke in die Ferne gerichtet und gingen gefährlichen Gedanken nach.Es mag natürlich erscheinen, als sei das ganze ein Produkt von einer tollkühnen Idee, der zu oft zugestimmt wurde. Im Grunde war es das auch, nur war der Scherz, den dies für gewöhnlich mit sich bringt, nicht vorhanden. Wir gingen die Sache mit einem Eifer und einer Ernsthaftigkeit an, die mir selbst zuweilen, sowohl wenn ich mich an diese Tage zurück erinnere als auch in eben jenen folgenschweren Tagen, eine Gänsehaut bescherte. Keiner von uns schien gewillt, es bei bloßen Worten zu belassen, denen keine Taten folgten und wir alle waren erfüllt von jenem ungesunden Tatendrang in dessen Zuge man sich nicht in ein Geschäft stürzen sollte aus dem nur schwer wieder herauszufinden ist. Eben jener verhängnisvoller Eifer überkam mich plötzlich, als ich, gemeinsam mit Dillan, im Biologieunterricht saß und mir von meinem rechten Sitznachbar, einem dunkelhäutigen Namens Terence ein kleiner Zettel unter der Hand auf den Tisch gereicht wurde. Ich nickte unauffällig dankend und er quittierte es mit einem herablassend gemurmelten "Kindereien".
Dillan beugte sich ein wenig zu mir herüber, um ebenfalls den Inhalt des kleinen Briefes studieren zu können. Das Papier gab mir, noch bevor ich seinen Inhalt sah, den Aufschluss, es stamme von einer Seite aus Jamie's teurem Heft. Es war blau getüncht und hart. Ich strich die einzige Knickstelle glatt und las:
papaver somniferum
Das war alles, was auf dem Zettel stand. Neben mir hörte ich Dillan leise die gelesenen Worte vor sich hin murmeln. Fragend blickte ich ihn an, aber der sonst so schlaue Dillan warf mir durch seine Brille einen ebenso ratlosen Blick zurück. Dann entdeckte ich ein Detail, das mir zuvor entgangen war. Das kleine i im zweiten Wort trug statt einem gewöhnlichen Punkt auf dem Strich eine kleine Blüte, wie manche Mädchen ihre geschriebenen Namen verzierten. Da der Zettel allerdings zweifellos von Jamie stammte, musste die kleine Zeichnung einer Blüte eine Bedeutung haben.
"Natürlich", kam es auf einmal von Dillan neben mir. "Das muss der Name der Pflanze sein. Vom Schlafmohn also. Es muss also eine bestimmte Sorte sein und so lautet ihr lateinischer Name."
Ich stimmte ihm zu und ließ den Zettel schnell in meiner Tasche verschwinden, als unser Lehrer sich grade dazu entschloss, während seines endlosen Vortrages den Gang zwischen den Bänken entlang zu schreiten. Als Lehrer für Biologie war es immerhin denkbar, dass ihm der Inhalt des Briefes etwas sagte.
"Der Trottel hätte uns auch schreiben können, wo man diese Pflanze denn nun beschaffen kann", murmelte Dillan hinter vorgehaltener Hand. "Was bringt uns ein einzelner Name."
"Sehr viel", entgegnete ich. "Wir wissen jetzt, wie man die Pflanze, die wir brauchen nennt und können herausfinden, ob irgendwelche Gärtnereien in der Nähe sie verkaufen."
"Direkt drei Punkte scheinen mir dagegen zu sprechen. Erstens, wüsste ich keine einzige Gärtnerei in unserer Nähe, zweitens bezweifle ich, dass irgendeine Gärtnerei den tatsächlichen Bestandteil von Heroin führt, ich wette es gibt hunderte Arten von Schlafmohn und das irgendeine nahegelegene Gärtnerei die von uns verlange verkauft kann man nicht erwarten. Und falls wir dann dennoch eine finden sollten: Glaubst du sicher, dass man uns das Zeug ebenso in die Hand drückt als sei es Löwenzahn? Wieviele Wirkungsbereiche mag so eine Pflanze schon haben."
Ich schüttelte bedenklich den Kopf. Jeder seiner Punkte schien mir zwar wahr, aber konnten wir keinem von ihnen klar zustimmen, soweit wir es nicht auf eigene Faust herausfanden.
"Wir werden sehen", sagte ich darum zu ihm. "Versuche herauszufinden, wo sich die nächste Gärtnerei befindet. Dann sehen wir weiter."
Dillan seufzte, schien aber einverstanden. Auch er war von der selben Gier nach dem Potenzial der scheinheiligen Blume ergriffen wie ich. So gingen wir nach Ende des Unterrichts auseinander, er wollte sich nach nahegelegenen Läden erkundigen, die unserem Interesse gerecht wurden und ich ging, um John zu suchen. Ich hatte ihn heute in der Schule nach der Mittagspause nicht mehr zu Gesicht bekommen und vermutete ihn zu Hause. Ich schlenderte also gemächlich die Hopestreet entlang Richtung der Gegend, in der John mit seinem Vater, einem Investor aus dem nahen Osten dessen dunkle Haar- und Hautfarbe seine beiden Söhne, von denen John der Jüngere war, von ihm geerbt hatten. Es war ungefähr vier Uhr am Nachmittag und das Treiben auf den Straßen war noch recht rege. Ich hatte die Ledertasche, die meine Schulsachen enthielt, über die Schulter geworfen und trug mit der anderen Hand meinen Mantel, den ich, ob der morgendlichen Kälte zur Vorsicht zwar mitgenommen hatte aber nun nicht mehr brauchte. Es kamen mir allerlei Leute entgegen, die die naheliegenden Geschäfte aufsuchten. Besagte waren nämlich, wie fast alle Einrichtungen auf der Hopestreet (weswegen ihr Name zur Steigerung des Optimismus' der Anwohner auch nachträglich in jenen geändert wurde), von einer gewissen Qualität, die man auch als Gentleman oder als das, was sich in solcher Gegend im Vergleich zu manchen Streunern als Gentleman zu bezeichnen gedachte, nicht aufzusuchen scheuen musste. Sie waren stets sauber, die breite und auch im Dunkeln gut erleuchtete Straße war relativ breiträumig, so dass der Angestellte nicht befürchten musste, nach Einbruch der Nacht in dem Laden, in dem er arbeitet überfallen zu werden. Sprach man im Allgemeinen schlecht von diesem Viertel, so hielt ein Verfechter der Gegenseite stets mit dem Namen dieser Straße gegen den schlechten Ruf, der so unverdient jedoch nicht war, an. Ich hatte Zeit und verlangsamte mein Tempo noch ein wenig, schenkte den Menschen um mich herum ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Viele saßen im Schatten der Vordächer kleiner Cafés und nahmen verfrüht ihren Nachmittagstee zu sich. Das ein oder andere Auto fuhr an mir vorbei und überall liefen Kaufleute, Schuhputzer, Händler, harmlose Bettler, Schüler und Besucher der zur Genüge reichenden Warenhäuser an mir vorbei. Es war ein stetiger, ja schon fast gleichmäßiger Rhythmus, in dem die vorbeiziehenden Häuser die gesellschaftliche Schicht ihrer Bewohner zu wechseln schienen. Grade neben mir hielt eine Frau mit dunklem, verfilztem Haar und zerschlissener Kleidung ihr Kind aus dem Fenster heraus, dass dieses sich fast auch meine Schuhe erbrach. Die Frau zog das Kind wieder zurück in die dunkle Küche und warf mir einen finsteren Blick zu, als habe ich mich gefälligst zu rechtfertigen, ihr Kind bei seinem Akt zu stören. In diesem einen Blick lag jedoch ein Frust gegen alles und jeden auf dieser Welt, der in Bänden davon zu schreien schien wie das Leben all jener, die ihn ihren teuren Mänteln und Hüten sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite über die Wetten des nächsten Pferderennen zu unterhalten schienen und im Wohlergehen ihrer fetten Bäuche keinen Hehl aus dem Umstand machten, ihren Kaffee mittels gut gefüllter Konten zu bezahlen, einzig auf das Leiden und Wehen der armen Menschen zurückzuführen sei, die ihnen den Bauch zu stopfen gezwungen waren um sich selbst am Abend die Suppe schmecken lassen zu dürfen.
Ich ging schnell weiter und lange brauchte es auch nicht mehr, bis ich im gleichmäßigen Wechsel des Wertes der Fassaden jene fand, hinter der ich John zu Hause glaubte. Zwei kleine Beete waren zu beiden Seiten der schwarz gestrichenen Tür angepflanzt worden und ein paar niedrig stehende Krokusse füllten diese. Zum Schutz vor allem, was man nach Mitternacht selbst auf der feinen Hopestreet zu befürchten hatte, waren die Beete hoch umzäunt und die Fenster vergittert, was stets den Eindruck hinterließ, der Bewohner wolle sich selbst vor allem Übel der Welt einschließen und dort drinnen seine Bücher studieren und immer mal wieder im Kamin herumstochern. Mich ergriff ein seltsames Gefühl in diesem Augenblick, ein Gefühl, wie ich es nicht einzuordnen vermochte und es ließ für einen kurzen Moment die Geräuschkulisse des Berufsverkehrs um mich herum nur dumpf an mein Ohr dringen, mich keinen direkten Gedanken fassen, der mich aus meiner Starre zu erlösen vermochte und eine Gänsehaut überkam mich, wie wenn einem der Wind auf einmal ins Genick blies und sich einem die Nackenhaare aufstellten. Ich fasste mich schnell wieder und schüttelte das Gefühl ab. Dann stieg ich die drei abgetreten Stufen hinauf und drückte einen Finger gegen die Klingel mit der Aufschrift Doughwater. Entgegen der üblichen Norm hatte wohl Johns Vater, ein freundlicher Herr mittleren Alters, den Namen seiner Frau angenommen, Mrs Doughwater. Dies geschah zum einen, da sein eigener Name aus einer Sprache entstammte, deren Aussprache einem Europäer fast unmöglich scheinen konnte und mit seinem Namen war es keine Ausnahme, zum anderen, weil seine Frau auf eine Familiengeschichte und einen Ruf zurückblicken konnte, der den Geschäften des Herrn Investors doch stets einen kleinen Vorteil einzubringen vermochten.
Alex öffnete mir die Tür. Er war der Hausdiener der Familie und ich kannte ihn schon von Kindesbeinen an, die mich schon in frühesten Tagen diese Stufen hinauf getragen hatten. Er machte eine kleine Verbeugung und seiner guten Schule Ehre.
"Alex", begrüßte ich ihn, "ist John bereits zu Hause, könnte ich wohl zu ihm?"
"Master John habe ich seit heute morgen noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich dachte, als es an der Tür geläutet hatte, er sei es und käme soeben von der Schule heim."
Ich war milde überrascht.
"So wird er sich wohl irgendwo rumtreiben. Ich werde ihn suchen gehen."
"Sehr wohl."
Ich verabschiedete mich und trat zurück auf den Gehsteig. John war also nach der Pause nicht nach Haus gegangen. Wo trieb er sich dann rum? Nicht, dass er das selten tat, nur tat er es für gewöhnlich in Begleitung meiner Person oder eben einem anderen von uns.
Ich beschloss ihn dort zu suchen, wo man ihn für gewöhnlich fand, ein paar Treffpunkte abzusuchen. Als erstes kam mir eine kleine, überdachte Stelle in der Nähe der Brücke in den Sinn. Von allen wahrscheinlichen Punkten war dieser am nächsten gelegen, also machte ich mich auf dorthin. Ich überquerte rasch die Straße, ging an einer kleinen Werkstatt und zwei Cafés vorbei und bog in eine Seitengasse ein. Höhe Häuserwände umschlossen mich und die stets sauber gehaltene Fassade zur Straße hin wurde abgelöst von dreckigen Backsteinmauern, an denen langsam der Putz abbröckelte. Der Boden hier war feuchter, da die Mauern so hoch reichten und die Gassen so eng waren, dass nur für eine sehr kurze Zeit am Tag die Sonne hier hineinfiel. Desto weiter ich diese Gasse hinabschritt, desto geringer schien das Bedürfnis der anwohnenden zu sein, eine Fassade von Sauberkeit und Gepflegtheit aufrecht zu erhalten. Bald schon hatte ich den Eindruck, förmlich durch den Dreck zu waten. Es wurde immer stiller, da der Lärm der großen Straßen immer weiter in die Ferne rückte. Irgendwo, aus einem Fenster weit über mir, schrie ein Baby. Ich nahm den Mantel vom Arm, streifte die Tasche ab und zog ihn mir über, die Schatten der Häuser hatten die Wärme der sich ankündigenden Frühlingssonne abgelöst und so kroch mir die leichte Kälte um mich herum in die Knochen.
Ich ging so eine Weile umher, bog von Gasse zu Gasse und kletterte über ein paar Bretterwände. Ich fand mich hier durchaus zurecht, zumindest der Weg zur Brücke hier durch dieses Hafenarbeiterviertel war mir sehr geläufig und ich hätte ihn im Schlaf gefunden. Langsam durchzog der penetrante Geruch von Fisch die Luft und verstärkte sich auch, je weiter mich meine Füße trugen. Dies war ein Zeichen für mich, dem Fluss näher zu kommen. Ich beschleunigte meine Schritte. Langsam drangen dir immer lauter werdenden Geräusche der am Hafen von statten gehenden Arbeiten an mein Ohr. Gleich musste ich da sein, es waren nur noch ungefähr zwei Häuserecken und ich würde die Sonne wieder auf meinem Gesicht spüren. Plötzlich trat aus einem Hauseingang direkt vor mir eine dunkle Gestalt in meinen Weg. Sie hatte sich eine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen und trug einen langen grauen Mantel. Fast wäre ich in den Fremden hineingestolpert.
"Hey, Hey! Immer vorsichtig bleiben. Hast du dich verlaufen, Kleiner?"
Zwar war ich mindestens einen Kopf größer als der Mann vor mir und seiner Stimme nach zu schätzen auch nicht sehr viel jünger, doch gebot mir die Vorsicht, mit dem Fremden lieber keine Konfrontation zu suchen also antwortete ich lediglich:
"Kaum, ich wohne nur ein paar Straßen weiter und kenne die Gegend genau so gut wie du. Jetzt geh mir aus dem Weg."
Der Fremde steckte sich eine selbstgedrehte Zigarette zwischen die Zähne und machte sich gemächlich daran, in seinen Taschen nach einem Streichholz zu suchen.
"Hast du Feuer?", fragte er mich, als seine Suche scheinbar vergeblich blieb. Ich nickte stumm und zog ein Feuerzeug aus der Innentasche meines Mantels. In selbiger Tasche hatte ich auch stets ein Sprungmesser stecken und der Mann musste es zweifellos gesehen haben, ließ sich jedoch nichts anmerken und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Langsam hob ich die Hand und hielt ihm hin, worum er mich gebeten hatte. Er stand keinen halben Meter vor mir und nahm das Feuerzeug mit betonter Lässigkeit, jedoch nicht minder langsam als ich aus meiner Hand und führte es, ohne den Blick von mir zu richten, zu seiner Zigarette. Er hob die zweite Hand, um dem Feuer einen Windschatten zu geben. Die plötzliche Bewegung ließ mich kurz zusammenzucken und meine Hand machte eine ausfallende Bewegung in Richtung der Tasche mit dem Messer. Ein leises Lächeln umspielte die blassen Lippen des Fremden, jedoch zuckte er nicht mit der Wimper. Es Klicken. Es funkte. Der plötzliche Geruch von Feuer, begleitet mit einer winzigen Rauchwolke. Die Zigarette brannte und der Mann nahm einen tiefen Zug. "Danke sehr...", flüsterte er. Im nächsten Moment erwartete ich eine Bewegung, sei es von hinten, sei es von ihm. Meine Nerven waren gespannt wie Drahtseile und warteten darauf, einen Schlag, einen Stoß abzufangen. Nichts dergleichen geschah. Der Fremde wandte sein Gesicht ab und blies den Qualm abn mir vorbei in die stickige Luft der Gasse. Dann hielt er mir das Feuerzeug in der geschlossenen Faust hin, ich hielt meine Hand darunter und er legte es sachte hinein. Dann nickte er mir zu und ging ein paar Schritte rückwärts bis zu einem weiteren Hauseingang in dessen Schatten er verschwand. Ich hörte einen dumpfen Schlag, der mir sagte, dass die Tür ins Schloss gefallen war. Regungslos verharrte ich ungefähr eine halbe Minute auf meinem Platz. Der Geruch der Zigarette verflüchtigte sich langsam, jedoch fiel die Anspannung nicht von meinen Gliedern. Ich ging langsam, einen Fuß vor dem anderen, bis zum Hauseingang, in dem der Unbekannte verschwunden war. Er war leer. Die doppelflügige Tür, von der die grüne Farbe abblätterte, lag im Schloss und hinter den verschmutzten Milchglasscheiben war es dunkel. Eine Reihe unbeschrifteter, verblichener Klingelschilder war links von der Tür angebracht. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich fast lief und drehte mich um zwei Ecken, dann endlich sah ich weit und offen vor mir das Ufer des Flusses. Die Anspannung fiel mir mit einem Schlag von den Gliedern und es schüttelte mich kurz. Eine Situation wie diese lief oft ab in dunklen Gassen wie diese eine gewesen war, nur für gewöhnlich wurde dem Unschuldigen von einem Zweiten von hinten ein Messer in den Rücken gestoßen und er verblutete langsam, während die Räuber in aller Ruhe seine Taschen durchsuchten. Weniger oft geschah es auch nur, dass dem Opfer das Messer von hinten an die Kehle gedrückt wurde und der vordere ihm dann ohne Widerstand seine Wertsachen abnahm. Letztere Situation hatte ich bereits zwei Mal erlitten und ich kannte nicht wenige, deren Mütter ihre Söhne durch eben jene Überfälle zu betrauern hatten. Den Töchtern wurde für gewöhnlich schlimmeres zu Teil. Ich ließ den Blick umherschweifen. Der Fluss führte ungewöhnlich wenig Wasser, doch kam es mir vor, als sei die Strömung stärker als für gewöhnlich. Links von mir sah ich die Brücke, hinter mir die Häuser der Arbeitersiedlung, zur Rechten eine Anlegestelle und einzelne Arbeiter, die geschäftig Kisten aus einem kleinen Lagerhaus in das Innere eines kleinen Frachters mir unbekannter Flagge trugen. Die Luft stank nach Fisch, der Wind wehte vom Hafen her und trug das Geräusch großer Schiffshupen mit sich. Erst jetzt gewahrte ich wieder das Feuerzeug in meiner Hand. Ich öffnete die wie im Krampf geschlossene Faust und erblickte, neben dem Feuerzeug, einen kleinen, schmutzigen Zettel. Ich starrte ihn einen kurzen Moment nur verdutzt an, dann steckte ich das Feuerzeug schnell zurück zu meinem Messer und öffnete den Zettel. Ich las die darauf geschriebenen Worte, während ich schnellen Schrittes am Fluss entlang der Brücke entgegen strebte.
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Erzählungen eines Vogelzüchters
Gizem / GerilimAus Geldnot und Eigeninitiative heraus gründen vier Jugendliche das größte Heroin Kartell des Londoner Untergrundes.