Kapitel 1

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In einem atemberaubenden Tempo raste Lucina die riesigen Stufen zur Arena hoch. "Ich möchte nicht zu spät zu meinem ersten Turnier kommen!", dachte sie und bei dem Gedanken lief ihr ein eisiger Schauer den Rücken herunter. Sie sah schon die strafenden Blicke ihrer zukünftigen Lehrer und Mitschüler, als sie nach Atem ringend die letzte Stufe passierte. Als sie aufsah befand sie sich vor einem riesigen Gebäude von der Größe und Form einer Arena wieder. Die Außenwand war vollständig aus Bronze erbaut worden und die kupferfarbenen Wände spiegelten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne in warmen Licht wider. In der Luft hing der beißende Gestank von Blut und Schweiß und aus der Arena dringen lauter Jubelschreie und das Geräusch des Aufeinanderprallen von Metall. Doch Lucina hatte keine Zeit das Gebäude zu bewundern und den Duft vom Kampf einzuatmen. Nach ein paar Sekunden erholsamer Pause setzte sie sich sofort wieder in Gang und sprintete weiter zum Eingang der Arena. Nachdem sie schnell ihre zerknitterten Blätter vorzeigte und zum Vorbereitungsraum hastete, beschäftigte sie sich eilig mit dem Schleifen ihrer Klinge bis der Stahl das diffuse Licht, das durch die Fenster des kleinen Raumes eingelassen wurde, reflektierte. Ein letztes Mal noch betrachtete Lucina die abstrakte Schönheit ihres Schwertes. Es ist kein besonders kunstvolles Schwert, noch ist es schartig oder verrostet. Langsam, fast schon liebevoll, strichen ihre Finger über die scharfe Schneide des Schwertes. Nur eine winzige falsche Bewegung ihrer Fingerkuppen könnten ihr tief ins Fleisch schneiden. Die Schwertscheide war aus normalem Eisen und einem Kunststein angefertigt worden, was ihr einen leicht grünlich schimmernden Ton gab. Langsam und zärtlich glitten ihre Finger um den mit Leder abgewickelten Griff des Schwertes. Normalerweise war dieses immer abgewetzt gewesen, doch hatte Lucina es extra für den bevorstehenden Kampf erneuern lassen und das verlieh ihr das angenehme Gefühl von Sicherheit. Als sie am Schwertknauf angekommen war, strich sie ehrfürchtig über die Insignien ihres Vaters: LS.

"Es ist viel mehr als ein Schwert", sprach Lucina laut aus, obwohl sie wusste, dass sich niemand anderes im Raum befand, "Es ist mehr wie eine Seele".

Grob wurde Lucina aus ihrer Bewunderung für die Schmiedekunst ihrer Klinge gerissen, als der Kommentator in ihr Zimmer trat und sie aufforderte, sich zu beeilen. Kurz bevor das schwere, kunstvoll verzierte Bronzetor geöffnet wurde, legte sie die leicht zitternden Hände wie in einem Gebet um ihren Talisman, den sie an einer Kette am Hals trug. Ebenfalls ein Geschenk ihres Vaters. Der Talisman fühlte sich merkwürdig warm an, doch um darüber nachzudenken hatte sie keine Zeit, denn schon wurde das Tor zur Arena aufgerissen und ein grelles Licht strömte in den Vorbereitungsraum. Da Lucinas Augen schmerzten, musste sie ihre Augen mit der Hand abschirmen, um dem glühend heißen Stich der Sonne zu entkommen. Der Platz, der sich vor ihr ausdehnte, war mit Sand und Blut bedeckt und ab und an wirbelten Staubwolken über den Boden, welche die Erinnerungen der verstorbenen Krieger wegzuwehen scheinen. Zu den Seiten waren Tribünen, gefüllt mit brüllenden Zuschauern aus allen Ländereien und Schulen, um dem größten Wettstreit von Talenten der Kampfkunst beizuwohnen. Auf einem riesigen Podest über ihr erkannte sie die Vorsitzenden der Schule, welche die Veranstaltung organisierten. Eine der mächtigsten Schulen weltweit und auch ihre zukünftige Schule... Die Chimära-Trivolta-Schule.

Plötzlich bekam Lucina den rostigen Geschmack von Metall im Mund und ihre Beine fingen an vor Ehrfurcht zu zittern. "Jetzt ist nicht die Zeit um wegzulaufen!", redete Lucina sich ein. Sie hatte sich selbst als Anfängerin dazu entschieden ihre Kraft vor allen anderen auf diesem Turnier zu zeigen und die Überlegenheit ihrer Familie zu demonstrieren. Nach einigen Sekunden gab sie dem Platzrichter mit einem zögerlichen Kopfnicken Bescheid, dass sie zum Kampf bereit wäre und dieser trug das sofort an den Kommentator weiter. Dieser kündigte mit dröhnender Stimme sie und ihren Gegner an: "Heute werden wir Zeuge einer seltenen Begebenheit. Eine neue Schülerin tretet an diesem Turnier für fortgeschrittene Kampfkunst an. Bitte begrüßen sie Lucina aus der ehrvollen Familie Serezeth." Mit einer aufgeregten, murmelnden Masse, mitunter einigen Buhrufen, begab sich Lucina in die Mitte des Platzes und nahm ihre Kampfstellung ein. "Diese tretet an gegen den unbesiegbaren Poeten Burgong. Doch Vorsicht! Lasst euch nicht von dem Namen beirren! Er ist mit dem Florett mindestens so geschickt und gewandt wie mit der Feder. Ein wahrer Perfektionist, nicht nur wenn es um das Schreiben wunderschöner Gedichte geht, sondern auch wenn es um das präzise und sekundenschnelle Zerteilen der Eingeweide seines Gegner ist. Empfangt ihn mit dem ihm gebührenden Respekt!" Die Menge tobte und unter das tiefe Dröhnen mischten sich nun auch die kreischenden Stimmen ihrer Frauen, während ihr Gegner den Platz betrat. Mit einem ironischen Grinsen und einer viel zu tiefen Verbeugung nahm nun auch ihr Feind seine Kampfhaltung ein, welche er viel eleganter einnahm als Lucina. Nun begonn der wahre Kampf.

Lucina biss die Zähne vor Schmerz zusammen als das Florett sie zum dutzendsten Mal traf. Sie war übersät mit lauter Schrammen, aus denen warmes Blut tropfte ihren von der Angst des Todes überzogenen, kalten Körper. Sie hatte gewiss keine Chance gegen diesen unbestrittenen Meister der Fechtkunst. Seine Führung mit dem Schwert war absolut fehlerfrei und es gab keine Schwachstelle in seiner Verteidigung. Was hatte sie sich auch dabei gedacht, bei diesem Wettkampf mit nahezu keiner Ausbildung anzutreten?! Seine Schnelligkeit war atemberaubend und ließ keine Zeit für einen sauber geführten Konter oder sonstiges aus ihrem Repertoire. Blutend lag sie nun dort auf dem staubigen Boden und wartete auf ihren Tod. "Schon erschöpft, kleine Schwertkämpferin? Oder möchtest du dir noch mehr Narben holen?", höhnte ihr Gegner und lachte dreckig. Doch das war ihr egal. Alles war ihr egal. Sie wollte einfach nur noch sterben.

"Doch nicht heute!", durchflutete es sie in einer warmen Woge aus Kraft und Trotz. "Ich kann nicht schon vor meiner Ausbildung aufgeben und einfach sterben!", dachte sie und wollte sich erheben. Erst erfasste sie wie ein Fluss ein stechender Schmerz der durch ihren gesamten Körper floss und sie knickte ein. Blut troff aus ihren unzähligen Wunden und bildete eine winzige Pfütze unter ihr. Nach dem dritten Versuch stand sie letztendlich auf wackligen Beinen aufrecht vor ihrem Gegner und hob ihren Einhänder mit zitternder Hand zum Abblocken des nächsten Schlages ihres Feindes. "Also noch mehr Narben. Kannst du haben, Kleine!", brüllte der Fechter sie an und wirkte nun gar nicht mehr so elegant wie seine Verbeugung vor ein paar Sekunden. Doch sie ignorierte seine provozierenden Worte, woraufhin dieser noch gereizter reagierte. "Vielleicht töte ich dich ja auch gleich!", drohte er Lucina und hob sein Schwert zum Todesstoß. Lucina schlug zu, doch entpuppte sich die Drohung als eine Täuschung und der Meisterfechter verpasste ihr, mit einem höhnischen Grinsen, schnell wie ein Blitz eine weitere Schramme im Gesicht. Lucina fiel hin, von Schmerzen und Angst überwältigt. "Solche hässlichen Anfänger wie du verdienen es nicht, zu leben, geschweige denn an diesem Wettkampf teilzunehmen.", sagte er und fasste sich an die Stirn als könne er diese Demütigung eines Gegners gar nicht fassen. "Du bist so unelegant und unschön anzusehen. Warum kann niemand außer mir so vollkommen sein? Ich hoffe zumindest mein nächster Gegner besitzt einen Funken Schönheit beim Sterben." Schließlich verließ er nach eine schwungvollen Umdrehung den Platz ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen. Unter ohrenbetäubendem Jubelgeschrei der Zuschauer ergab sich Lucina ihrem einzigen Fluchtweg aus dieser Welt der Schmerzen, Demütigung und Qualen hin: der Leere.

Die Akademie der heiligen SchwerterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt