1. vertigo

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15. Juli 2019

Meine Eltern stritten schon wieder.

Ich wohnte eine Etage unter ihnen, aber ich konnte sie deutlich durch meine Wohnzimmertür hören. Gedanklich ging ich meinen Flur entlang, die Treppen hinauf und stellte mir vor, wie sie fünf Meter auseinander stehend- meine Mutter in der Küche, mein Vater im Wohnzimmer- miteinander diskutierten.

"Dich interessiert doch sowieso überhaupt nicht mehr, was wir machen oder wie es uns geht! Dich nervt doch alles, was wir tun!", kam es von ihr, wahrscheinlich unter Tränen. Was wie ein Vorwurf klang, bestätigte er jedoch.

"So sieht es aus. Und euch interessiert auch nicht, ob ich am Telefonieren bin oder etwas im Fernsehen gucke, ihr fangt einfach an miteinander zu reden. Und du stehst doch schon lange nicht mehr hinter mir."

Ich konnte meine Mutter tief einatmen hören. "Wieso sollte ich hinter dir stehen? Du, der immer nur Stress und Ärger mit mir macht, egal was ist? Wie soll ich hinter einer Person stehen, die mir schon jahrelang nicht mehr gut tut?!"

Sie war unendlich aufgebracht. Und ich auch, als ich das hörte. Mittlerweile stand ich selbst oben im Flur. "Hallo? Wollt ihr euch nicht mal beruhigen? Geht's noch?", es war mehr eine Aufforderung, als eine Frage.

"Du hast dich da nicht einzumischen. Halt dich da raus, das geht dich nichts an", wollte mein Vater mich sofort mundtot machen. Ich verschränkte die Arme und fuhr augenblicklich meinen imaginären Schutzwall hoch. "Ich glaube das geht mich sehr wohl was an, ihr seid meine Eltern! Ich kann mir das nicht länger anhören, wie ihr euch gegenseitig Vorwürfe macht. Es wird immer schlimmer, merkt ihr das überhaupt noch?"

"Kristina, du bewegst dich gerade auf ganz dünnem Eis", drohte mein Vater. Er würde nicht körperlich werden- glaubte ich zumindest. Oder hoffte ich. Er war es auf jeden Fall noch nie geworden.

Ab diesem Moment hatte ich trotzdem so etwas wie einen Filmriss. Meine Mutter ging verbal dazwischen, sagte ihm, er solle mich nicht so anfahren und dass er ein ganz schlimmer Mensch geworden sei. Seine Verteidigung war der manipulative Vorwurf, wir hätten ihn dazu gemacht und seien der Grund für sein Verhalten.

Es war wirklich schlimm.

Ich wusste nur noch, dass ich mich von der Diskussion abkapselte und zurück nach unten in mein Wohnzimmer ging. Mit der Fernbedienung für meine Soundboxen in der Hand, wollte ich eigentlich sofort auf voller Lautstärke Musik aufdrehen, damit ich den Rest des Streits nicht auch noch mit anhören musste. Würde ich aber nach so einer Situation die Musik aufdrehen, dann stünde wahrscheinlich in Null Komma Nichts einer der Beiden in meinem Flur und ich würde Ärger dafür bekommen.

Ich fühlte mich wie eine 16-jährige. Dabei war ich 23, hatte eine Ausbildung hinter mir, einen Job und eine eigene Wohnung. Nur lag diese Wohnung in dem Haus meiner Eltern.

Ausziehen? Klar hatte ich schon oft daran gedacht. Aber der Satz: 'Wenn du ausziehst, verkaufen wir das Haus', war leider schon öfter gefallen, als ich überhaupt ans Ausziehen gedacht hatte. Man wollte mich um jeden Preis hier behalten. Und ich hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass wir eines Tages vielleicht noch alle harmonisch zusammenleben konnten.

Unschwer zu erkennen- das konnten wir nicht.

Und ich wusste auch nicht, ob ich aus der Sicht meiner Eltern einfach nur als Streitschlichterin bei ihnen sein sollte oder weil meine Mutter mit meinem Vater nicht alleine leben wollte. Letztendlich waren beide Optionen nicht meine Aufgabe in der Familie, trotzdem schlüpfte ich immer wieder in diese Rollen, weil es schon immer so gewesen war. Mein ganzes Leben lang.

Ein dumpfes Rumpeln an meiner Tür holte mich kurz aus meinen Gedanken. Es war einer unserer Hunde, dem das Ganze eine Etage über uns auch zu viel geworden war.

moheom island » btsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt