#45

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Um knapp zehn vor sieben Uhr morgens stieg ich aus dem Bus aus, welcher mich praktisch vor Minhos Haustür gefahren hat.

Seine Addresse hatte er mir bei unserem ersten Treffen gegeben und die hatte ich dann nur noch in Google Maps™ einzugeben. Nur noch ein paar Meter musste ich gehen.

Hoffentlich war er überhaupt zu Hause, ich wusste ja nicht mal, was passiert war!

Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und gähnte einmal. Ich war schon seit fast 22 Stunden wach und war unfassbar müde, aber Minho ging vor. Zumindest redete mir mein Kopf das ein.

Ich weiß auch nicht genau, was mit mir los war, dass ich einfach um 6 Uhr morgens von zu Hause abhaute und zu Minho hin fuhr. Aber irgendwas in mir sagte, dass da was nicht stimmt.

"Ich bin einfach zu müde...", murmelte ich und schleppte mich in Richtung des Hauses des Älteren.

Ich sah mehrere Klingelschilder vor dem Haus, mit unterschiedlichen Nachnamen. Sollte ich einfach bei ihm klingeln? Was wenn er schlief?

Ich suchte das Schild nach seinem Namen ab. Und da fand ich ihn, 3. Stock, auf der rechten Seite 'Familie Lee', auf der linken Seite 'Lee Minho'.

Ich zögerte noch eine Weile, ehe ich jedoch schließlich auf den Klingelknopf drückte. Und entgegen meiner Erwartungen tat sich nach einer Weile was im Lautsprecher und sogleich drang die Stimme von Minho aus diesem heraus.

"Wer stört?"

Er klang genervt und müde, aber vor allem schien er geweint zu haben, wie ich es seiner Stimme entnehmen konnte. Ich schluckte. Was war denn mit ihm los?

"Minho? Hier ist Jisung. Lass mich bitte rein!" Ich wurde ein wenig nervös, als ich mir vorstellte, wie er dort oben alleine saß und geweint hatte.

Das gefiel mir nicht.

"Jisung? Was machst du hier? Es ist 6:53 Uhr!", fragte Minho verwundert, aber auch ein wenig besorgt, wie mir schien. Seine Stimme klang aber immer noch schwach und müde. Ich war doch aber derjenige, der besorgt sein sollte!

"Ist dir was passiert?"

Ich seufzte. "Mir nicht, aber dir. Ich hör doch an deiner Stimme, dass du geweint haben musst!" Ich hörte ein Schnalzen aus dem Lautsprecher, bekam jedoch keine Antwort.

"Minho, ich bin seit 22 Stunden wach, habe keine Minute geschlafen in der Nacht, weil du mir nicht geantwortet hast und bin jetzt eine Dreiviertelstunde zu dir gefahren, weil ich mir Sorgen gemacht habe! Kannst du mich bitte einfach in deine Wohnung lassen? Bitte..."

Anstatt das Minho antwortete, ertönte nach einer Weile ein Summen und ich drückte sofort die Tür auf. Ohne zu Überlegen lief ich auf die Treppe zu und joggte in eiligem Tempo die Stufen hoch in den dritten Stock, wo ich bereits von Minho erwartet wurde.

Und er sah gar nicht mehr aus, wie bei unserem ersten Treffen.

Er sah müde aus, seine Haare waren verstruppelt und er war in eine Decke gehüllt. In seiner Wohnung war kein Licht an und die Gardinen waren zugezogen. Schwach und emotionslos sah ich er mich an, seine Lippen waren spröde und seine Augen rot und geschwollen.

Ich zögerte keine Sekunde und ging mit zwei schnellen Schritten zu ihm, um ihn in meine Arme zu schließen. Minho erwiderte meine Umarmung nicht, weshalb ich mich wieder von ihm löste.
Ich wusste nicht, ob ihm der Kontakt vielleicht gerade zu viel war.

"Was machst du hier?", fragte er und sah mich einfach nur an.

Ich konnte nichts aus seinem Blick deuten, so emotionlos trafen seine Augen auf meine. Vielleicht freute er sich nicht mal über meinen Besuch. Zumindest schien es nicht so. Trotzdem wollte, nein, musste ich ihm jetzt beistehen.

"Ich bin für dich da, wie es sich gehört", erklärte ich bestimmend, ging in seine Wohnung und schloss die Tür hinter uns. Ich schlüpfte schnell aus meinen Schuhen und nahm Minho an der Hand, um ihn hinter mir her zu ziehen.

Ich suchte das Wohnzimmer, was bei so vielen Räumen jedoch nicht gerade einfach war. Schließlich fand ich es doch, trat ein und brachte Minho zur Couch, auf welcher er vorher wohl auch saß. Während er sich wieder in seine Decke einkuschelte, ging ich zum Fenster und öffnete es, die Gardinen zog ich zurück.

Ich hörte, wie Minho ein unzufriedendes Geräusch von sich gab, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich ging wieder auf ihn zu und setze mich neben ihn.

"Willst du mir sagen, was passiert ist?", fragte ich ihn, versuchte dabei, dass meine Stimme sanft klang.

Minho begann, nervös mit seinen Fingern zu spielen, weshalb ich nach seinen Händen griff und ihn in meine Arme zog. Und diesmal klammerte er sich an mich und vergrub seinen Kopf an meiner Brust.

Da wurde es mir klar.

Minho war zwar älter als ich, aber obwohl er meistens stark tat, war er im Grunde eine sensible Person. Und jemand musste auf ihn aufpassen. Und dieser 'jemand' musste wohl ich sein.

- - -
Ich habe dieses Kapitel um 04:30 Uhr morgens fertig geschrieben, also bitte nicht über die Qualität wundern.
[Edit 2020: Jap, es gab einiges zu ändern.)

STRANGER ᵐⁱⁿˢᵘⁿᵍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt