Prolog

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Mila:

Ich vergrabe meine Finger in meinen Haaren und rolle mich schützend zusammen. Mit zitternden Händen tippe ich eine SMS ein und schicke sie ab. Nur wenige Sekunden später kommt die Antwort.

Alice: Bin in 5 Minuten da. 

Erleichtert mache ich die Tastensperre wieder rein und rapple mich steifgliedrig auf. Jede Faser in meinem Körper wehrt sich gegen mich, doch ich schleppe mich Schritt für Schritt aus unserem diesigen Schlafzimmer Richtung Küche. Immer wieder schwirren die Bilder von letzter Nacht wie verbrennende Papierfetzen an meinem inneren Auge vorbei. Ich schüttle abwehrend meinen Kopf und stelle die Kaffeemaschine an. Als ich mich auf den Holzstuhl niederlasse, erblicke ich den Zettel, der gefalten neben den verblühten Tulpen liegt. Ich ergreife ihn und lese: Es tut mir leid. Bin spät Zuhause, mach dir keine Sorgen. Dima

Wütend zerknülle ich ihn und feuere das Knäul in die hinterste Ecke der versifften Küche. Ich hasse ihn. Wieso liebe ich ihn? Ich hasse mich. Immer wieder spreche ich es in meinem Kopf wie ein Mantra. Während die Kaffemaschine im Hintergund gluckert und schnauft, die Bohnen zerschreddert und die bittere Flüssigkeit in die Kanne laufen lässt, stütze ich meinen Kopf in die kalten Hände und schließe die trockenen Augen. Ich fühle mich so schrecklich wund und das so gut wie jeden verdammten Tag. Wegen ihm und wegen mir. Weil er sich nicht unter Kontrolle hat und ich ihn auch nicht. Und doch ist er alles, was ich noch habe. Außer Alice.

Die Türklingel surrt. Typisch, das sie genau dann kommt, wenn ich an sie denke.

Ich schleppe mich zur Tür und öffne sie mit einer, mehr oder weniger, schwungvollen Bewegung. 

,, Guten Morgen!'' begrüßt mich Alice und schwingt ihr ellenlanges, dunkelrotes Haar über die Schultern. Sie sieht wieder absolut umwerfend aus. Ganz in schwarz, die langen Beine betont und in den lackierten Fingernägeln eine perlende Flasche Prosecco.

Ich runzle die Stirn, aber beuge mich dann nach vorne damit sie mir einen Kuss auf die Wange drücken kann. Sobald Alice im Raum ist fühle ich mich so schrecklich klein und unscheinbar. Sie strahlt so viel Stolz und eine Menge Kälte aus, dass viele andere Leute, die sich nicht kennen, vor ihr zurückweichen. Wenn sie wissen, was sie beruflich macht, noch viel mehr. Aber ich weiß, dass Alice in Wahrheit anders ist. Sie ist mein ganzer Halt und das schon seit langer Zeit.

Sie stolziert in die Küche und kramt 2 Plastikbecher aus dem verstaubten Schrank. 

,, Bevor du anfängst brauche ich Alkohol.'' Sie lässt den Korken knallen und füllt etwas von dem goldenen, sprudelnen Getränk in die Gläser. Dann setzt sie den Becher an ihre vollen Lippen und stürzt den gesamten Inhalt in einem Zug runter. Ich lächle und nippe an der säuerlichen Flüssigkeit. 

Während sie sich ein weiteres Glas einschenkt, nestele ich in meiner Handtasche nach der Schachtel Marlboro Gold und zünde mir eine an. Der Tabak knistert und der erste Zug bereitet mir eine angenehme, vertraute Übelkeit. Ich sehe wieder Alice an. Ihre großen, grauen Augen mustern mich ruhig und halten meinen Blick, während sie sachte in den Plastikbecher beißt.

,, Was ist passiert?'' fragt sie und greift sich eine Zigarette.

,, Er hat die Kontrolle verloren.'' hauche ich und nehme einen kräftigen Zug.

,, Das haben wir alle...'' murmelt sie, zündet die Zigarette an und bläst Rauchwölkchen in die ohne hin schon diesige Luft. Die Wölkchen vermischen sich mit den Staubpartikeln und färben zusammen mit dem einfallenden Sonnenlicht die Küche milchig orange. Ich schließe die Augen, seufze tief und lasse den Kopf in den Nacken fallen. Ich wünschte, sie hätte einmal nicht Recht. Doch das hat sie.

Vodkaküsse.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt