Mila:
Wie soll man etwas Unaufhaltliches vermeiden können? Etwas, das sich so lange in einem anstaut, sich ausbreitet, jede Faser deines Körper durchtränkt. Etwas, das lauert und unter der Obefläche wartet, darauf, dass du schwach wirst. Dann stürzt es sich auf dich, saugt die Lebenskraft aus dir heraus und lässt nur eine leere Hülle zurück. Ohne Willen. Ohne jegliche Emotion.
Genau so fühle ich in diesem Moment.
Alice steht vor mir, ihr voller, weicher Mund formt endlose Worte, die über mich herein strömen. Ich höre diese Worte, doch ich verstehe ihren Sinn nicht mehr. Wie leichter Regen, der auf mich einprasselt, aber kaum eine Wirkung auf mich ausübt.
Ich halte meine Jacke in den Händen, stehe mitten im Raum und habe vor wenigen Minuten, ja, Sekunden noch vor Wut gekocht. Weil sie mich von sich gestoßen hat.
Ich fühle mich leer. Die Wut ist wie ein vernichtender Sturm durch mich hindurch gezogen und hat alles mitgenommen, was mich zu Mila gemacht hat. Meine Emotionen, mein Temperament und ganz besonders: Meine immer währende Klarheit für die wichtigen Dinge.
Aber was macht jetzt noch einen Sinn? Jetzt, wo ich die Sehnsucht nach Alice in mir gespürt habe, sie geküsst habe, alles andere vergessen habe...
Ich hätte nicht aufgehört, wenn sie mich nicht gestoppt hätte. Kopflos hätte ich mich in ihr verloren, wie eine Schlampe, die sich nicht um ihren Partner sorgt und für den nächst Besten die Beine breit macht. Obwohl das die Wahrheit ist, hat es sich auf eine verschobene Art und Weise richtig angefühlt. Richtig und so unfassbar gut.
Doch sie wollte mich nicht. Sie hatte mich weggeschoben und betrachtet, als wäre ich ein Kind, ein kleines Mädchen, das ihrer nicht würdig sei. Als ich sie anwidern.
Ich widere mich selbst an. Und ausmalen, wie Dima reagiert wenn er je davon erfahren sollte...
Alice packt mich nun an den Schultern und schüttelt mich, als würde sie versuchen, Worte aus meinem Mund zu schütteln. Doch ich sehe sie nur gleichgültig an, in meinem inneren verkrampft sich mein Herz schmerzhaft.
,,Lass mich los!'', zische ich und reiße mich von ihr los, schlinge die Arme um meinen Oberkörper, weil mir plötzlich kalt in ihrer Gegenwart ist.
,,Mila'', beginnt sie, als ich ihr den Rücken zudrehe. ,,Ich will dich doch nur schützen!''
Mein ganzer Körper bebt. Obwohl sie mich so verletzt hat, sehne ich mich noch nach ihr. Mit dem Wunsch, sie würde mich in den Arm nehmen, wächst auch ein hysterisches Kichern in mir heran, als ich ihre Worte höre.
,,Mich schützen?'', lache ich laut und bin selbst etwas erschrocken, wie verrückt ich klinge. ,,Wovor willst du mich schützen,Alice? Etwa vor mir selbst? Oder vor ihm? Das ich nicht lache!''
Als ich herum wirble. sehe ich, wie versteinert ihr sonst so hübsches Gesicht ist. Sie wirkt endlos kalt und entschlossen.
,,Werd dir endlich klar man!'', sagt sie und betrachtet mich durchdringlich. ,,Denk ein Mal bitte nach und bitte, werd endlich erwachsen!''
Sie denkt, das mit uns wäre eine Dummheit. Sie denkt, ich wäre ein Schulmädchen, das mit ihr rummacht, nur um zu Wissen, wie das so ist. Als sei es mir nicht ernst mit ihr, genau das denkt sie.
Ist es mir denn ernst?, frage ich mich still.
Ich rufe mir das Gesicht von Dima in den Kopf und ergründe meine Gefühle für ihn. Er gehört zu mir, das weiß ich. So sehr ich ihn manchmal hasse, so sehr weiß ich auch, wie dringend er mich braucht. Und ich auch ihn. Ich könnte es nicht verkraften, ihn so zu verletzen. Aber in letzter Zeit tut es weh, ihn anzusehen. Es ist, als entgleite er mir Stück für Stück, jeden Tag ein bisschen mehr. Ich versuche ihn festzuhalten. Doch es scheint, als würde ich am Rand einer Klippe stehen und er über dem Abgrund hängen: Ich halte seine Hand, versuche ihn mit aller Kraft zurück zu mir zu holen, doch irgendwann muss ich mir eingestehen, dass ich ihn nicht halten kann. Und er muss das auch.
Nun stehe ich hier und blicke Alice an, wie der Lippenstift den sie trägt etwas über die Konturen ihrer Lippen verschmiert ist. Eine letzte, verblassende Erinnerung an unsere Küsse.
Wenn ich sie ansehe fühle ich eine bodenlose Tiefe, die mich in ihren Abgrund zu reißen droht. Ein verheißungsvoll flüsternder Abgrund, der mich mit seiner Schwärze zu locken scheint. Doch diese Schwärze erscheint so viel lebendiger und vielversprechender als jede Farbe, die man sich vorstellen kann. Sie vermittelt keine Furcht, sondern Sehnsucht und Leidenschaft und Leben, so absurd es klingen mag.
Obwohl ich es nicht verkraften kann, wird mir in diesem Moment alles glasklar. Es ist, als schlüge ein Blitz in das Gerüst meines Glaubens ein. Ich kann spüren, wie alles in mir drin für einen kurzen Moment gleißend hell durch die Erkenntnis wird. Ich liebe sie.
Meine Selbstbeherrschung zerrinnt wie heißer Wachs in meinen Fingern und ich kann die Tränen nicht mehr zurück halten. Ein markerschütternder Schluchzer entfährt mir und ich presse die Hand vor den Mund.
,,Mila, ich-'', setzt die an.
Doch ich schneide ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. Die Angst, zu brechen, ist einfach zu groß.
Ich streiche mir über das von Tränen feuchte Gesicht und mache einen Schrit auf sie zu. ,,Alice, ich weiß, wie verwirrend das hier Alles sein muss'', beginne ich und meine Stimme ziitert und ist ganz rau von den Tränen. ,,Aber ich weiß auch, dass ich kein kleines Kind mehr bin. Ich bin eine Frau und es ist mir wirklich ernst mit dir. Es ist mir ernst mit uns.''
Ihr Gesicht ist wie eingefroren, nur ihre Augen lassen vermuten, welchen Konflikt sie grade mit sich austrägt. Für eine kleine Sekunde wird ihr Blick ganz weich, so als würde etwas in ihrem inneren zerspringen.
Das gibt mir den Mut, weiter auf sie zuzugehen. Während ich auf sie zukomme, hält sie meinen Blick. Vorsichtig stelle ich mich vor sie, lege den Arm um ihre Hüften und meinen Kopf auf ihre Schultern. Wärme durchströmt mich, als ich höre, wie ihr Herz gegen meins schlägt.
Vielleicht könnten wir zusammen sein, wenn sie das Gleiche wie ich empfindet. Wir könnten zusammen sein und ich würde mich in ihrem Abgrund verlieren, die Schwärze die er beinhaltet wie Luft zum Atmen aufsaugen. Ich könnte in ihr ertrinken, heillos. Alles in mir, jede Faser, jede Zelle fühlt sich zu ihr angezogen. So als würde das Universum nur noch aus ihrer reinen Existenz bestehen. Noch nie zuvor hatte ich so etwas gefühlt. Es nimmt mich vollkommen ein und ihr Geruch, der Schlag ihres Herzens scheint sich zu einer großen Symphonie zu verbinden. Wenn sie nun von mir wollen würde, dass ich alle Sachen packe um mit ihr abzuhauen, ich schwöre bei allem was ich habe, ich würde mitgehen. Alle Zelte abbauen, die mich hier halten und mit ihr verschwinden.
Doch sie sagt nichts dergleichen, sondern drückt mich von sich. Mein kleines, selbst erbautes Theater, in dem wir die Akteure sein sollten wird mit einer Bewegung von ihr nieder gebrannt. Es brennt bis auf die Grundfesten nieder und macht mich und meine Existenz sinnlos.
Vollkommen verwirrt und verletzt blicke ich sie an. Aus ihren Augen schlägt mir nur Eiseskälte entgegen.
,,Alice...'', wispere ich und betrachte sie bittend, ja, fast flehend.
Sie streicht sich über die Haarpracht und ihre Augen zucken nervös durch den Raum, nur mich wollen sie nicht mehr ansehen.
,,Mila, du solltest gehen.'', sagt sie fest. Ihr Ton scheint keinerlei Ausrede zu zulassen.
Wieder brechen die Tränen aus meinen Augen und strömen in einem Rinnsal meine Wangen herunter. Ich schüttle abwehrend den Kopf.
Die Erinnerung an unsere Küsse scheint aufeinmal so widersprüchlich zu dem, was sie mir nun entgegenbringt.
Doch ich will nicht zulassen, dass sie mich so von sich stößt. Vorsichtig gehe ich wieder auf sie zu, stelle mich so nah vor sie, dass unsere Nasenspitzen sich fast berühren. Sie sieht mir nüchtern in die Augen.
Ich kann den süßlichen Alkohol auf ihren Lippen riechen und den Geruch von dem Shampoo, das sie benutzt.
,,Alice'', hauch ich und lasse meine Hände ihre Hüfte entlang wandern und meine Lippen über ihre Wangen streifen. Vorsichtig liebkose ich erst ihr Gesicht und dann ihren Hals. Ich kann spüren, wie sie unter der Berührung meiner Lippen erzittert. Ein letzter, verzweifelter Versuch sie zu überzeugen. ,,Ich bin hier, Alice.'', wispere ich zwischen ein paar federleichten Küssen auf ihrem Hals. ,,Wenn du das möchtest, gehe ich. Sofort. Du musst mir nur in die Augen sehen und mir sagen, ich soll gehen.'' Ich lege meine Hnd auf ihren Rücken und presse sie an mich. Es ist, als sei mein Kopf durch die Verzweiflung und die Sehnsucht abgeschaltet.
Es kostet mich viel Überwindung mich von ihr zu lösen und ihr in die Augen zu sehen, auf ihre Antwort zu warten. Die Antwort, die mich gleichermaßen zerstören und erlösen kann.
Ihre Augen sind glasig und trüb, als sei sie kurz vor dem Erblinden.
Mein Herz schlägt wild und unregelmäßig, mein Atem geht schnell.
,,Geh'', stößt sie zwischen zwei schweren Atemzügen hervor. ,,Geh, Mila!''
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Vodkaküsse.
Teen FictionACHTUNG! Es sind Sex- und auch Gewaltszenen enthalten. Die Protagonisten konsumieren Drogen und Alkohol. Dima liebt Mila. Mila liebt Dima. Mila liebt Alice. Alice liebt Mila. 3 Personen, gezeichnet von einem abgefuckten Leben. Gezeichnet von einem...