Kapitel 8

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Dima:

Ich starre auf ihren Hinterkopf. Dann verschwindet sie vollkommen aus meinem Sichtfeld. Nur ihre hastigen Schritte hallen noch durch das Treppenhaus. Die Eingangstür knallt zu, sie ist fort.
Alles in mir drin ist vollkommen leer. Ich habe es verkackt. Schon wieder.
Ohne darüber nachzudenken bündele ich die Enttäuschung in meinem Bauch und wandle sie in Hass und Wut um, denn diese Gefühle sind lange nicht so schmerzvoll. Mir entfährt ein kleiner Schrei und ich lasse die Faust nach vorne gegen die Wand sausen. Feiner, staubiger Putz bröckelt unter der Wucht des Schlages und die Wandstückchen bohren sich in die Haut meiner Fingergelenke. Der Schmerz der nun durch meine Hand zieht, lässt mich klarer werden. Ich atme tief, doch röchelnd und schleppe mich steifgliedrig zurück in die Wohnung, ziehe die Tür hinter mir zu und lasse mich dann an ihr herunterrutschen.
,, Fuck, Fuck, Fuck...'' Verzweifelt versuche ich meine Handballen in meine Augen zu drücken um die Tränen versiegen zu lassen, die mir unaufhaltsam die Kehle zuschnüren. Die Gefühle drohen mich zu überrollen und ich kämpfe gegen die nahende Welle von Verzweiflung an. Die Tränen bäumen sich wie Gischt in meinen Augen auf,doch ich kann sie bezwingen. Ich bezwinge sie so, wie ich so gut wie alle Gefühle in mir bezwinge. Ich drücke sie einfach weg.

Nach einiger Zeit schaffe ich es, mich wieder aufzurappeln. Das dämmrige Licht in dem schmalen Flur legt sich um mich, als ich durch ihn hindurch auf das Wohnzimmer zu laufe. Ohne lange nachzudenken nehme ich mein Handy hervor und schreibe eine SMS an Danny: Hast du Zeit? tippe ich schnell und starre auf das grell erleuchteten Bildschirm. Mir zittern die Hände, ich springe auf und ab und versuche das Handy in der Hand festzuhalten, bis er mir antwortet.
Ich bin drauf  Noch besser. Ich greife zu meiner Jacke, ziehe sie mir über die Arme, werfe die Tür zu und renne die Treppen runter.
Ich muss meinen Kopf frei bekommen. Raus aus dieser scheiß Wohnung, sonst kommen die Erinnerungen wieder hoch. An Mila, an die drei Jahre im Knast, an diese Schlampe, an die Angst. An Mila. 
Im Auto drehe ich die Musik auf und zünde mir eine Zigarette an, in der Hoffnung sie könnte mich beruhigen. Merke wie ich das Zittern nicht unterdrücken kann, merke wie alles außer Kontrolle läuft. Tränen stauen sich an, spüre den Kloß in meinem Hals. Fuck! Sie rennt von mir, jeden Tag, verliere ich ein Stückchen mehr von ihr. Jeden Tag.
Ich schlage gegen das Lenkrad, schaukel hin und her und nehme darauf, die dritte Ausfahrt. Ich spüre, wie sich der unendliche Hass in mir ansammelt, spüre wie sich die Wut in mir staut. 
Diese schieß Schlampe! Wäre nicht sie, dann wäre nie diese Angst in mir. Was wenn mein Stoff noch einmal so verschwindet? Und dann ruft irgend ein Bastard, wieder die Bullen und dann heißt es wieder, Tschüss liebste Freiheit. 
Dieser Gedanke schießt wie ein Stromschlag, durch meinen Körper und ich halte ruckartig den Wagen auf der Spur an. Die Reifen quietschen, ich stehe. Beginne hysterisch meine Taschen durch zu suchen. Schaue im Handschuhfach und unter dem Sitz nach, bis ich endlich die heutige Bestellung, mit einem kleinen Bonus, in der inneren Tasche meiner Jacke finde. 
Stoßweise atmete ich ein und aus. Beruhige dich. Spreche ich mir selbst zu, lege meine Händ wieder auf das Lenkrad und fahre langsam weiter. 
Wäre nicht diese Schlampe, hätte ich keine Angst. Ich werde sie noch finden. Ich werde sie finden. 
Der Bass der Musik scheint gegen meine Haut zu pumpen und mein Herzschlag ersetzen. Ich spüre Hass. Hass und Verzweiflung. Wenn diese Schlampe nicht wäre, dann wäre Mila bei mir. Mila wäre bei mir. Sie würde mich nie verlassen. Würde bei mir bleiben. Egal was passiert. 
Erneut stehen mir die Tränen in den Augen. Ist es so offensichtlich? Mila rennt vor mir weg, ich darf sie doch nicht verlieren! Ich darf sie nicht los lassen! Ich.. ich werde mein Leben für sie geben. Werde alles dafür tun, dass sie bei mir bleibt. Bei allem was mir lieb ist, sie ist der einzige Grund für den ich lebe. 

*

Ich parke den Wagen, auf der Straße, vor dem versifften Mehrfamilienhaus, und schmeiße die Fahrertür zu. Schnelle Schritte bis ich endlich das vierte Stock erreiche und mehrmals klingel. Während ich auf Danny warte, hüpfe ich die ganze Zeit auf der Stelle und versuche den Geruch von Zigaretten und Urin zu verdrängen. Scheiß Treppenhäuser. Scheiß Junkies. Schließlich ertönen leise Schritte hinter der massiven Tür und ich höre die mehreren Riegel, die Danny versucht zu öffnen.
"Bist du bescheuert man?" ertönt Daniels Stimme flüsternd hinter der Tür, die sich einen kleinen Spalt nach Innen öffnet. "Mein Sohn schläft."
"Tut mir leid man." ich betrete leise das Flur seiner Wohnung, seine Augen sind glasig. Die Haare muss er schon seit einer Woche nicht mehr gewaschen haben und auch das Shirt scheint von Vorgestern zu sein.
Er verriegelt die mehreren Schlösser an seiner Tür und dreht sich schaukelnd wieder zu mir um. Mit einer Kopfberwegung zeigt er zu der Tür, die ins Wohnzimmer führt und schleicht mir hinter her.
Gedämpftes Licht und der Geruch von Canabis erfüllt den Raum. Auf der Kiste, die Danny als Tisch dient, steht die Bong und neben der Kiste, auf dem Boden eine Flasche Rum und Kräutermischung.
"Willst du auch was?" fragt er halblaut und zeigt auf die Wasserpfeife. Kopfschüttelnd lehne ich ab und setze mich auf die Couch vor den laufenden Fernseher. "Was los?"
"Keine Ahnung." sage ich und greife nach der Flasche mit der Kräutermischung. Ich nehme mehrere starke Schlücke, spüle die Flüssigkeit leicht angewidert runter. Danny sitzt auf dem Klappstuhl vor mir und betrachtet meine Handlung. Er fragt sich nicht wirklich was los ist. Er weiß es. 
"Also ist es wieder passiert?"
"Ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll man. Ich muss die ganze Zeit an dieses Weib von damals denken. Ich habe Angst man! Scheiße!" er nickt nachdenklich vor sich hin. 
"Was ist mit Mila?" mir stockt plötzlich der Atem und das Herz pumpt und schlägt viel zu schnell. 
"Ich mache alles nur noch schlimmer, durch diese Ansgt noch einmal so einen Fehler zu machen. Weißt du." ich verharre für einen kurzen Moment. "Damals hatte ich es aber gefühlt. Als diese Schlampe vor mir stand und zitternd meinte, ihr Geld sei noch im Auto und sie müsste es holen, fuck da hatte ich dieses Gefühl. Ich durfte sie nicht los lassen. Dann hätte sie sich nicht weg reißen können." Ich lasse meinen Kopf in die Hände sacken und nehme einen tiefen Atemzug. "Ich hab sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt. Und dann.. dann kamen die scheiß Bullen. Und sie hatte so viel Stoff. Ich glaub es waren drei Tausend Euro, die sie mir geben sollte. Diese Hure. Ich werde dieses scheiß Gesicht nie wieder vergessen. Ganz egal ob noch weitere fünf Jahre vergehen oder nicht. Ich werde sie noch finden." Der Schleier vor Dannys Augen scheint nicht zu verschwinden. Er schaut mich einfach weiter an, zwischen den Brauen eine Falte und viel ernster als sonst. 
"Es sind zwei Jahre her das du ausm' Knast bist. Du weißt wo sie wohnt. Wieso gehst du nicht hin?" Ich fixiere einen Punkt, auf seinem Teppich. Sieht aus wie ein Fleck, von nem' Getränk oder ähnliches. Ich starre drauf, versuche meine Gedanken zu ordnen und klarer zu werden. Vergeblich.
"Keine Ahnung." 
"Anscheinend hast du es verarbeitet und willst es nicht mehr."
"Was redest du da!?" unterbreche ich ihn aufgewühlt. 
"Hör mir doch zu." sagt er ruhig. "Wenn du sie wirklich packen wollen würdest, dann hättest du es noch vor zwei Jahren gemacht. Kurz nach deinen drei Jahren. Doch jetzt hast du jemanden für den du dich bessern willst."
"Was meinst du mit bessern?" 
"Mila. Hieß es nicht vor kurzem du willst dir n' Job suchen?" Ich greife erneut zu der Flasche und trinke erneut. Zu viel und zu schnell, mir brennt die Kehle und der Magen. Ich muss husten. 
"Nein. Ich wollte sie einfach nur beruhigen." 
"Ich dachte du willst dich ändern."
"Ich will mich ändern. Wirklich."
"Dann tu es endlich. Hör auf dich selbst anzulügen man. Alles was du tust ist weg rennen. Stell dich endlich allem, stell dich endlich Mila. Und hör auf über dieses Weib zu sprechen und denken. Das ist schon lange nicht mehr dein eigentliches Problem. Denn du willst das es ist. Du weißt besser als ich, was dein Problem wirklich ist!" ich nicke vor mich hin. Fuck!
"Du bist der weiseste Ficker den ich kenne Danny." er lächelt leicht. Vor den Augen immer noch der Schleier. 
"Danke alter. " Er nimmt erneut die Flasche in die Hand, hält sie hoch. "Einen auf mich." und trinkt alleine auf Ex, dreiviertel der Flüssigkeit.
"Was mit dir los?" 
"Ah meine Schlampe hat sich wieder seit zwei Tagen nicht mehr blicken lassen. Und der Kleine braucht was vernünftiges zu Essen. Scheiß Hure." Gerade als ich antworten will, klingelt mein Handy welches ich aus der Tasche fische.
"Hallo?"
Für einen Bruchteil der Sekunde hält mein Herz an. Mila. Sie weint.
"Dima, hol mich bitte ab."
"Mila!" Ich kann meine Wut nicht unterdrücken. Schreie los. Was ist passiert?! Wieso weint sie?! "Wo bist du und wieso weinst du verdammt?!"
"Hol mich einfach ab. Mein Reifen ist geplatzt. Mehr nicht und ich hatte Angst. Hol mich ab. Ich bin bei der alten Tankstelle. Das zweite Haus auf der linken Seite." ich reiße das Handy vom Ohr und packe es in meine Hosentasche. Ich schaue zu Danny, der mit glasigen Augen die Bong betrachtet.
"Na los, hau schon ab." sagt er ohne mich anzuschauen.
"Ruf mich an falls was ist. Ich helfe."
Ich renne das versiffte Treppenhaus herunter. Meine Gedanken kreisen nur um Mila. Nur um sie! Wenn irgendwas passiert ist, wenn sie irgend jemand angefasst hat. Ich bringe den um! 
Klar, denken tue ich nicht, ich kann nicht. Ich weiß einfach wo ich hin muss, mehr weiß ich nicht. Mehr kann ich auch nicht denken. Mehr kann ich nicht wissen.
Ich biege in die Gegend der alten Tankstelle ein und langsam, brutal schmerzend, friert mir das Blut in den Adern ein. Mir wird kalt, meine Hände beginnen zu zittern. Mein Herz pcht viel zu stark und viel zu schnell gegen meine Brust.  Ich sehe Mila, wie sie vor diesem Haus steht. Sie steht vor diesem scheiß Haus! Vor diesem scheiß Haus, vor dem ich vor fünf Jahren weg gefahren wurde. Mit Blaulicht und Bullen! VOR DIESEM SCHEIß HAUS!
Ich bremse so, dass die Reifen quietschen. Schlage die Tür auf und renne raus.
"Mila!" rufe ich. "Scheiße alter, was machst du hier?!"
"Ich war bei Alice." schluchzt sie. Bei Alice war sie also. Diese Alice. Ich kenne sie nicht. Habe sie noch nie gesehen. Habe noch nie ihre Stimme gehört. Weiß nur das es Milas beste Freundin ist.
"Wer ist diese Alice?" entgeistert schaut sie mich an.
"Was?" flüstert sie, während ihr die Tränen über die Wangen rollen.
"Wer ist diese scheiß Alice?!" schreie ich hysterisch und merke,dass ich Mila wieder Angst einjage. Sie beginnt zu zittern und lauter zu schluchzen. Wie ein Schwert, sticht es mir in den Rücken und mir schmerzt der gesamte Körper. Sie weint wieder wegen mir. Weint weil ich ihr wieder Angst mache. Scheiße! 
Ohne etwas zu sagen, nehme ich sie in den Arm und drücke ihren Kopf gegen meine Brust. 
"Tut mir leid." flüstere ich und küsste sanft ihren Scheitel. Ihre dünnen Finger krallen sich in meine Jacke. "Tut mir leid." 
Ich muss ihr vertrauen. Sonst werde ich sie verlieren. Ich muss alles vergessen, denn das ist der einzige Weg sie bei mir zu behalten. Der einzige Weg zu überleben. Wenn sie mich verlässt, werde ich sterben. Ich werde sterben und verrecken wie das letzte Stück Elend. Ohne sie, kann ich nicht leben. Ich kann nicht. 

Vodkaküsse.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt