Kapitel 5

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Mila:

Ich atme ein und wieder aus. Der dunkle und stille Raum wird durch das Geräusch von Dima's schlagenden Herzen ausgefüllt. Ich lausche eine ganze Weile, wie es stark und beständig das Blut durch seinen Körper pumpt, bevor ich mich in unserem Bett aufsetze. Es ist mittlerweile spät geworden, die Sonne schon lange hinter den Dächern des Plattenbau's verschwunden und die Laternen auf den Straßen eingeschaltet. Das Licht dass sie in unser Zimmer werfen taucht Dima's Gesicht in ein tiefes, leuchtendes orange und tupft die Umrisse seines Seitenprofils golden. Ich lasse meinen Blick noch einmal über ihn fahren, bevor ich nach meinem Oberteil greife und es über meine kalte Haut streife. Bedacht darauf ihn nicht zu wecken, hieve ich mich aus dem Bett und laufe auf Zehenspitzen zur Tür, öffne sie und blicke auf den schlafenden Dima. Sein Brustkorb hebt und senkt sich, die Lippen leicht geöffnet und die Hände auf der nackten Brust. Ich kann nicht bleiben. Ich sollte es. Ich kann es nicht.

Ich wende mich ab, ziehe die Tür hinter mir zu. 

,, Wo willst du hin?'' höre ich plötzlich seine Stimme, rau und kratzig, gekränkt, als würde ich gehen, um ihn zu betrügen.

Unsere Blicke treffen sich und ich beiße mir auf die Zunge. 

,, Ich kann nicht, Dima.. Ich muss..'' Doch bevor ich irgendetwas Falsches sagen kann, ziehe ich die Tür ins Schloss. Ich lege meine Hände und meine Stirn auf das kalte Holz und lausche, wie Dima vor Wut laut Flucht. Als er mit der Faust gegen die Wand schlägt, zucke ich zusammen und weiche zurück. Es poltert, er kippt die Regale um, eilt auf die Tür zu. Ohne nachzudenken setze ich mich in Bewegung. Aus Angst vor seiner Reaktion flüchte ich aus der Wohnung und höre, wie er mir bis in den Flur folgt. Vollkommen geschockt von der Tatsache, dass ich solche Angst vor ihm habe, bleibe ich ruckartig auf dem Treppenabsatz stehen, die Hände auf dem Geländer. Ich kann seine Blicke spüren, wie sie sich in mein Kreuz bohren, mich verachten. Ich verachte mich ja selber.

Tränen lassen meine Sicht verschwimmen, und hinter dieser verschwommenen Scheibe erkenne ich nur mit viel Mühe Dima's gekränktes Gesicht. Seine Hände sind an den Seiten zu Fäusten geballt, die Fingernägel graben sich tief in sein Fleisch und er blickt mich wütend an. 

,, Mila, bitte..'' sagt er fest und doch kann ich die Verzweiflung in ihm hören.

Doch ich kann nicht. Ich kann nicht hier bleiben um zu warten. Denn ich weiß ganz genau, dass er bald wieder gehen wird. Seine dreckigen Geschäfte abwickeln, spät Nachts nach Hause kommen, um dann neben mir im Bett zu liegen und mich zu beobachten. Die ganze Nacht wachliegen und so tun als ob ich schlafe, nur um nicht den Schmerz zu ertragen, angelogen zu werden. Um nicht nachfragen zu müssen, wo er war oder was er getan hat. Denn er lügt. Ich lüge. Wir lügen, betrügen uns selbst und betrügen einander. Ich kann es nicht, so sehr ich es wollte, es reißt mich in Stücke. Ihn anzusehen, wie er dort steht, dass Leben aus Scherben vor seinen Füßen aufgehäuft. Die kläglichen Versuche diese Drecksscherben mit bloßen Händen zusammmen zu kehren um mich jedesmal zu schneiden an ihnen. Um jedes Mal festzustellen, dass ich nicht genug bin, ihn zu reparieren, ihn und seinen kleinen Scherbenhaufen ganz zu machen. Der Scheibenhaufen, in dem ich nun auch gefangen bin. Ich liebe ihn. Was gibt es daran zu verhandeln? Ich liebe ihn, mehr, als ich sollte. Mehr als ich kann. Doch wieviel muss ich noch verlieren, wieviel trinken, wieviel rauchen? Wie oft muss ich mich noch im Spiegel ansehen, bis ich mich nicht mehr erkenne? Wer ist diese abgemagerte Gestalt dort, die mich ansieht und nicht mehr erkennt? Wie oft muss ich ihm noch zeigen, dass ich so nah an der Grenze der Hölle stehe, bis er erkennt, dass er mich retten könnte? Mich und sich? Ein Anker, der mich am Boden hält und doch so qualvoll ertränkt. Er müsste nur seine Hand ausstrecken und mich retten aus dem tiefen Sumpf. Doch dafür müsste er andere Sachen fallen lassen. Wie könnte er das je?

Vodkaküsse.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt