Kapitel 3

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Mila:

Alice wirft mir einen letzten Blick zu, bevor sie die Tür hinter sich zu zieht. Ich seufze tief und lehne mich kurz gegen das kühle, glatte Holz. Dann mache ich mich auf den Weg ins Badezimmer. Ehrlich gesagt will ich mich überhaupt nicht im Spiegel betrachten. Mir ist mehr als klar, dass ich so aussehe, wie ich mich fühle: Ausgelaugt, gebrochen und schrecklich müde. 

Doch jetzt stehe ich doch in dem beige gefliesten Bad und starre der Gestalt im Spiegel entgegen. Einige der langen braunen Locken haben sich aus meinem zerzausten Dutt gelöst und liegen mir schlaff auf den Schultern. Ich hebe mein Oberteil an und betrachte meine deutlich hervorstechenden Rippen. Ich muss mindestens nochmal 5 Kilo abgenommen haben, obwohl ich schon von Natur aus sehr dünn bin. Das zeigt sich auch an meinem eingefallenen Gesicht. Die Wangenknochen treten spitz hervor und lassen mich schrecklich alt wirken. Angewidert rümpfe ich die Nase, greife nach dem Make-Up und schmiere etwas davon hastig auf mein Gesicht, in der Hoffnung, es könnte diesen gebrochenen Schatten verdecken. Doch es hilft nichts. Immer und immer wieder trage ich eine Schicht auf, doch es wird einfach nicht besser. Frustriert und rasend vor Wut schmeiße ich die kleine Tube in das Waschbecken und stürme in die Küche.

Mit einem Ruck öffne ich die Tür des Kühlschrank und betrachte die gähnende Leere darin, seufze und greife mir einen schon ziemlich matschigen Apfel. Ich kaue ein wenig an der ledrigen Schale und und gehe in unser gemeinsames Schlafzimmer um mir ein paar saubere Klamotten zu holen. Im Türrahmen bleibe ich wie angewurzelt stehen und starre auf die Komode direkt neben unserem Bett. Da liegt ein Bündel weißer Rosen, die Köpfe über der Kante baumelnd, die Ränder der Blüten schon leicht gekräuselt. Ich blicke auf die Wanduhr. 14 Uhr. Er muss also nach unserem Zusammenstoß gestern nochmal nach Hause gekommen sein, doch dann ist er wieder verschwunden. Geistesabwesend fahre ich mir mit den Fingern über die schmerzende Schulter und ziehe scharf die Luft ein, als ich über die blaue Haut fahre und ein gellender Schmerz durch meinen Arm jagt. 

Plötzlich krümme ich mich vor Übelkeit. Mein Magen dreht sich um und verkrampft sich so sehr, dass ich würgen muss. Ich stürme zurück ins Badezimmer, knie mich vor die Toilette und entleere mich in das Porzellan. Meine Arme und Beine Zittern und mein Kopf dreht sich so schnell, dass ich gegen die Bewusstlosigkeit kämpfe. 

,, Mila?'' dringt Dima's schockierte Stimme an mein Ohr. 

Ich versuche mich noch an der kalten Kloschüssel festzuhalten, rutsche jedoch ab und kippe nach hinten mit dem Rücken gegen die Wand. Schwarze Pünktchen tanzen vor meinen Augen und ich kann Dima kaum erkennen.

,, Meine Güte, Mila, was ist los?'' Er klingt besorgt. Oder bilde ich ihn mir nur ein? Doch dann spüre ich seine Hände auf meinen Armen und weiß, dass er wirklich hier ist. Bei mir.

Doch seine Berührung lässt mich zusammenfahren. Schwerfällig weiche ich von ihm zurück und versuche einen klaren Kopf zu kriegen. Verdammt, was ist bloß los mit mir?

,, Fass mich nicht an!'' fauche ich und verkrieche mich in die hinterste Ecke. Langsam beruhigt sich mein Magen und auch meine Sicht schärft sich wieder. Jetzt kann ich Dima's verletzte Miene haarscharf erkennen. Ich beiße mir auf Lippe. Jetzt nicht weich werden, Mila. Sieh ihn einfach nicht an. Sieh ihn nicht an!

,, Was ist los? Wieso lässt du dir nicht helfen?'' Alleine an seiner Stimmlage kann ich erkennen, was er gerade fühlt. Verzweiflung, Sorge und... Angst.

,, Ich brauche deine verfickte Hilfe nicht!'' schreie ich unter Tränen. Alles in mir drin ist zum zerreißen gespannt und am liebsten würde ich wegrennen. Einfach nur weg von hier, irgendwo hin, wo wir noch ganz sind. Wo wir noch wir sind.

,, Mila, bitte, du musst mir glauben. Ich würde dir nie weh tun-''

,, Hast du aber! Du tust mir jeden verdammten Tag so unendlich weh!'' unterbreche ich ihn grob und er lässt sich auf dem Badewannenrand nieder, fährt sich nervös durch die kurzen braunen Haare. Ich wische mir über das Gesicht und füge dann hinzu: ,, Sieh dich doch mal an, Dima. Sieh mich mal an! Wir haben alles verloren. Und wenn du so weiter machst, verlieren wir auch noch uns..'' Ich schluchze und presse die Hand vor den Mund, während Dima sich hilfesuchend umsieht. Er erhebt sich, die Lippen zu einem Strich aufeinander gepresst, und fegt mit einer Handbewegung alles, was auf der kleinen weißen Komode steht, herunter. Das Geräusch seiner wütenden Schreie und das Klirren von Glas verschmilzt und lässt mich zusammenzucken. Ich ziehe die Knie an und rolle mich schützend zusammen, als er mit dem Fuß ausholt , die Türchen der Beistellschränke eintritt und diese dann mit einem lauten Poltern umreißt.

Ich kämpfe gegen die Übelkeit an und rapple mich auf, eile auf Dima zu, der jetzt die Hände auf die kalten Fliesen legt und mir den Rücken kehrt. Er schlägt immer wieder gegen die harte Wand, bis ein roter Fleck sich auf den weißen Fliesen ausbreitet. Ich schlüpfe unter seinen Armen durch, kralle meine Hände in seine Schultern und drücke meine Stirn gegen seine. 

Obwohl sein Gesicht vor Zorn verzerrt ist erkenne ich in seinen Augen die wahren Gefühle, die in ihm toben. Er ist nicht wütend, jedenfalls nicht hauptsächlich. Er hat solch eine schreckliche und alleszerstörende Angst, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Es zerfrisst ihn und lässt nur noch eine Hülle aus Agressionen und wildem Hass zurück.

,, Wieso bist du noch hier? Bei mir?'' Seine Kiefermuskeln spannen sich an und malmen unaufhörlich. Ich fahre mit den Fingerspitzen seine Wange entlang und er schließt unter meiner Berührung seine Augen. ,, Du solltest gehen, bevor ich dir noch einmal weh tue, und das weißt du.'' 

,, Ja, das weiß ich, Dima. Das weiß ich! Aber es ist noch nicht zu spät. Wir können es schaffen, wir müssen es nur wollen. Du musst es nur wollen!'' flehe ich.

Doch Dima schüttelt nur abwehrend den Kopf und weicht meinen Blicken aus. ,, Wie kannst du nur immer noch daran glauben?'' 

Ich lege meine Hände an seine Wangen und zwinge ihn, mich anzusehen. ,, Weil ich weiß, das du mich liebst. Wenn du nur ein bisschen daran festhalten würdest-''

,, Hör dir doch mal zu! Hälst an etwas fest, was schon lange verloren ist. Versuchst Sachen ganz zu machen, die kaputt sind! Ich bin kaputt, Mila. Absolut kaputt..Wieso bist du noch hier? Sag es mir, ich muss es wissen!'' Er packt mich an den Oberarmen und schüttelt mich vorsichtig.

Versteht er denn wirklich nicht? Hat er uns und auch sich doch schon aufgegeben? Aber das kann ich nicht akzeptieren! 

,, Sieh mich an! Ich liebe dich! Egal wie kaputt du bist, ich bin es mindestens genauso. Zusammen sind wir immer noch ganz..'' 

Und obwohl meine Knie zittern, mein Magen sich dreht und mein Körper eigentlich nicht mehr lange der Erdanziehungskraft widerstehen kann, beuge ich mich zu ihm hoch und küsse ihn. Ich lege all meine Liebe, meine Verzweiflung und meinen Schmerz in diesen Kuss. Er hebt mich hoch und ich schlinge die Beine um seine Hüfte, während er nun auch den Kuss erwidert. Er trägt mich in das abgedunkelte Schlafzimmer und schließt die Tür.

Alles was ich nun noch hoffen kann, ist, dass er versteht. Dass er uns noch nicht aufgegeben hat. Dass er sich nicht aufgegeben hat.

Vodkaküsse.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt