6. Nightmare

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Die Erde fühlte sich seltsam feucht unter meinen nackten Füßen an. Stirnrunzelnd sah ich mich um, blickte in den blutgetränkten Himmel, zu der roten Sonne, die den Friedhof, auf dem ich mich befand, noch unheimlicher erschienen ließ. Und obwohl ich zweifellos träumte, so lief mir doch ein Schauer über den entblößten Rücken; nicht ein Fetzen Stoff bedeckte meinen Leib. Scheren tat es mich allerdings wenig, immerhin entdeckte ich weit und breit nicht ein Lebewesen und selbst wenn, war das nicht die Realität. Ich tappte weiter, da fiel mir etwas ins Auge. Fassunglos lief ich zu dem herausstechenden Grabstein, der nicht nur größer war, als die restlichen, sondern auch mit einem bekannten Namen gezeichnet war. Meinem Namen.

,,Was zum ...", meine Augen glitten zu den frischen Blumen, die ans Grab gelegt worden waren. Als ich mich beugen wollte, um einer der Blumen aufzuheben, stockte ich. Die Erde unter mir bewegte sich. Erschrocken blickte zu meinen Füßen, zwischen dessen Zähnen sich etwas glitschiges hindurchschob. Ich kreischte auf, als ich die Würmer sah, die über meine Füße meine Beine hochkrochen. Hektisch taumelte ich zurück, schüttelte die Würmer ab, nur um festzustellen dass überall aus der feuchten, lockeren Erde Würmer hervorkamen, sich auf mich zubewegten und zwar schneller, als dass er normal war. Ohne groß zu überlegen, machte ich kehrt und rannte. Ich rannte, bis meine Brust schmerzte, mein Herz gegen die Rippen hämmerte, meine Oberschenkel und Waden brannten. Und selbst als die Kontrolle über meine Beine schwand, meine Glieder bleiern schwer wurden, hetzte ich durch das Labyrinth aus Grabsteinen. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, aber es kam mir vor, als wuchsen die Grabsteine aus der Erde heraus. Schließlich blieb ich vor Erschöpfung stehen, sah auf den Boden. Die Würmer waren verschwunden. ,,Aria." Ich erstarrte. Wagte es nicht, meinen Kopf zu drehen, oder auch nur mit der Wimper zu zucken, wissend, dass es ihre Stimme war. ,,Mom?" Meine Lippen zitterten. Eine eiskalte Hand legte sich auf meine Schulter, aber als ich meinen Blick zu der Hand senkte, stellte ich fest, dass das nicht die Hand einer Frau war. Anstatt von Haut war da nur rotes Fleisch, weiße Knochen stachen heraus. Ich schluckte. ,,Das ist nur ein Traum ...", flüsterte ich mir selbst zu. ,,Traum ..." Die Stimme der Kreatur glich dem Zischen einer Schlange. Ich spürte, wie sie sich bewegte, zu mir drehte, da stand sie plötzlich vor mir. Ich hatte noch nie eine entsetzlichere Angst gehabt wie jene, die ich in diesem Moment vernahm. Das Ding vor mir war weder Mann, noch Frau. Es war größer als gedacht, hatte ein zerfleischtes Gesicht, dessen Haut sich in schmalen Fäden von der Stirn bis zum Kinn dehnte, undefinierte Lippen, wobei der Mund eher einem schwarzen Loch ähnelte. Heraus stachen kleine aber messerscharfe, spitze Zähne - wie Nadeln, die in der Dunkelheit aufblitzten. Aus den Augen, die nichts weiter als weiße Punkte mit einem viel zu weitem Abstand waren, floss eine Art Glibber. Ich verzog das Gesicht, sah zu meinen zitternden Händen und wünschte mir, ich würde einfach nur aufwachen - schloss die Augen. Ich öffnete sie erst wieder, als ich einen fauligen Atem in meinem Gesicht spürte. Ich starrte geradewegs in zwei weiße Augen. Vor Schreck stolperte ich zurück, wobei mein rechter Fuß in ein Loch trat. Die Kreatur kam näher. Keuchend versuchte ich, meinen Fuß aus dem Loch herauszuziehen, stattdessen sank ich tiefer, als hätte sich die Erde plötzlich in Treibsand verwandelt. ,,Traum ...", zischte die Stimmer der Kreatur erneut. Dann schüttelte sie den Kopf. ,,Kein Traum. Schicksssssaaaal ..."

Auf einmal änderte sich meine Umgebung, ich befand mich wieder vor meinem Grab. Inzwischen ging mir die Erde bis zum Hals. Nach Luft schnappend versuchte ich, meine Arme aus der Erde zu heben - erfolglos. Verzweiflung machte sich in mir breit. Ein letztes Mal nahm ich einen tiefen Atemzug, dann presste ich Lider und Lippen zusammen, schloss die Nase. Völlige Finsternis umhüllte mich. Kaum eine Sekunde später, fühlte ich etwas seltsames an meinen Ohren. Etwas ... etwas kroch hinein. Vor Panik öffnete ich den Mund. Ein großer, großer Fehler. Augenblicklich füllte sich mein Mund mit Erde - ich bekam keine Luft mehr.

Mit schlagendem Herz fuhr ich aus dem Schlaf, schlug die Bettdecke beiseite, stolperte aus dem Bett und lief zum Bad. Mein Magen entleerte sich innerhalb weniger Sekunden. Sobald ich hinuntergespült hatte, trat ich zum Waschbecken und zu dem golden umrandeten Spiegel darüber. Ich war blass - leichenblass. Augenringe zeichneten sich unter meinen geröteten Augen ab, meine Wangen wirkten im fahlem Licht eingefallen, als wäre ich über Nacht magersüchtig geworden. Mit einem schmerzenden Kopf und dem Geschmack von Erbrochenem im Mund, verließ ich das Bad meines Gemachs und stieg zurück ins Bett. Einschlafen konnte ich jedoch nicht und wollte ich ehrlich gesagt auch nicht - aus Angst, ich würde mich in demselben Alptraum wiederfinden. Anstatt also wieder die Augen zu schließen, entschied ich mich dazu, die Verbände neu zu wickeln, die Friggas Bediensteten mir gemacht hatten. Geholt hatte ich mir die zahlreichen Wunden an den Armen als dieser Zauber vor zwei Tagen an mir durchgeführt worden war. Durch den hatte ich nicht nur erfahren, dass meine Mom in der sozusagenen Hölle feststeckte, sondern auch, dass ihr Geist Besitz von meinem Körper ergreifen wollte. War das krank oder krank? Aber da war noch etwas, was mich nicht los ließ: Wer war die Schwester meiner Mutter?
Und was war in dieser Traumwelt mit mir passiert? Denn seitdem Loki mich zurückgeholt hatte, ging es mir beschissen. Ich bekam ständig Schweißausbrüche, fing an zu zittern, oder sah Bilder in meinem Kopf aufblitzen, die zu schnell waren, um sie zu definieren. Die Bilder hatten vielleicht etwas mit meinen telepathischen Fähigkeiten zu tun, aber was war mit dem Rest? Und dann wären da noch diese Alpträume, die mich zurzeit überraschend intensiv plagten und ungewöhnlich ... abschreckend waren. Ich hatte ohne Joke Schiss, einzuschlafen.

Ich seufzte, entschied mich dann dazu, etwas spazieren zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen und mir die Zeit bis zum Sonnenaufgang zu vertreiben. Ich schlüpfte in etwas wie Hausschuhe, zog eine Art altertümlichen Cardigan über mein rotes Schlafkleid und zog langsam die Tür hinter mir zu. Anschließend tappte ich leise durchs Schloss, ging an ein paar Wachen vorbei. Da stieß ich auf eine offene Tür. Nachdem ich einen flüchtigen Blick über meine Schulter geworfen hatte, schob ich mich durch den Spalt, zog die Tür langsam hinter mir zu und lehnte sie an den Türrahmen. In dem Raum - oder besser gesagt in der gigantischen Halle - reihten sich Unmengen von Bücherregalen an, die beinah bis zur kuppelartigen Decke reichten. Irritiert fragte ich mich, wie man die oberen Bücher kommen sollte. Mit einer riesigen Leiter oder was? Ich ging weiter, schlenderte durch die Bibliothek und orientierte mich dabei an den Nummern der Bücherregale. 

,,Hast du dich verirrt?"

Aria Stark - Awakening of the phoenixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt