4. Totenwelt

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Heute war es soweit.
Heute würde ich die Wahrheit über meine Mom erfahren.

Der Saal, in welchen Frigga mich führte, war Gold gehalten, wie der Rest des Palastes, und roch stark nach ... keine Ahnung, was das für ein Geruch war, aber er erinnerte mich stark an eine Mischung aus Salbei, Weihrauch und ... Verbranntem?
Darüberhinaus schmückten schwarze Tücher die Wände und weitere Teppiche, auf denen überwiegend dunkel gekleidete Frauen mit bedrohlich leuchtenden Augen zu sehen waren. Was mir auch auffiel, war, dass der Raum im Vergleich zum Rest des Palastes recht schlicht gehalten waren. Keine prunkvollen Kronleuchter, oder majestätische Statuen und Figuren.
Einzig und allein ein paar Kerzen auf insgesamt zwei schmalen Tischen, die rechts und links vom Saal standen, erhellten den Raum etwas.
Ansonsten stand inmitten des Saals ein einfacher Stuhl. Darum war ein Kreis gezogen - aus etwas wie schwarzem Sand, der aussah wie Obsidian-Staub.
Und innerhalb dieses Kreise waren fremde Symbole auf dem Boden angefertigt worden - vermutlich mit Kohlestiften.
Ich sah fragend zu Frigga, die mir deutete, mich auf den Stuhl zu setzen. Dabei trug sie ein ermutigendes Lächeln auf den Lippen. Doch erkannte ich die Sorge dahinter. Die Frage war nur, wovor sie sich fürchtete. Für einen Moment wurde ich so von Neugier gepackt, dass ich in Betracht zog, einen Blick in ihre Gedanken zu werfen, hielt mich dann aber doch noch zurück.
Stattdessen stieg ich über den Sand hinweg, umging die Symbole und setzte mich. Mein Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen.

,,Gut, ich will, dass du jetzt genau das tust, was ich dir sage", fing Frigga an, ,,In Ordnung?"
Ich nickte stumm.
,,Also dann ...", sie nahm einen tiefen Atemzug.
,,Schließ die Augen. Erinnere dich an deine Mutter, an frühere Augenblicke. Stell sie dir vor."
Ich folgte ihren Anweisungen und versuchte, mich auf sie zu konzentrieren. Zwar hatten wir keine gemeinsamen Augenblicke miteinander gehabt, aber ihr Gesicht konnte ich mir vorstellen. Und das tat ich, verfeinerte vor meinem geistigen Augen jedes Detail, dass ich mir seit meiner Kindheit eingeprägt hatte. Von den himmelblauen Augen bis zu den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen.
,,Bereit?", fragte Frigga und ich gab ihr abermals ein Nicken. ,,Dann sprich mir nach." Auf einmal begann Frigga Worte auf einer Sprache zu murmeln, die mich stark ans Deutsche erinnerte. Ich wiederholte die Worte - so gut es eben ging.
Plötzlich fühlte es sich an, als würde mein Kopf nach hinten gegen eine Wand knallen. Das Gesicht meiner Mom verschwand vor meinen Augen, stattdessen tauchte ich in Dunkelheit, bevor ich auf einmal von einem grellen Licht geblendet wurde.

Es war still. Verdächtig still. Ich öffnete die Augen, die ich wegen des Lichtes zusammengekniffen hatte, und erblickte eine Wiese, Wellen, die an den Klippen brachen.
Es war ... merkwürdig. Obwohl das hier nicht echt wahr, fühlte es sich unfassbar danach an. Der sanfte Wind in meinen Haaren, der Geruch nach Seeluft.
Aber was sollte ich hier? Nirgendwo war meine Mutter oder irgendwer zusehen.
,,Vanadís." Erschrocken drehte ich mich zu der Stimme um, nur um zu erkennen, dass nicht ich angesprochen wurde.
Vor mir standen zwei geisterhafte Gestalten. Eine schwarzhaarige Frau und ein rotblondes Mädchen, die beide nah an einer Klippe saßen. Keiner von beiden schien mich zu bemerken.
Das ca. siebenjährige Mädchen blickte traurig zu Boden, die schöne Schwarzhaarige mit Wangenknochen so spitz wie Klingen, hatte die Hand auf ihre Schulter gelegt. Wenn das Mädchen meine Mutter war, war die Frau dann meine Großmutter?
,,Du darfst deine Kräfte nicht benutzen", sprach die Dunkelhaarige, musterte meine Mom, Vanadís, mit liebevoller Strenge. ,,Du weißt, wie gefährlich das ist." ,,Und wozu habe ich dann meine Kräfte?" Vanadís, oder Arnóra, sah nun wütend zur Schwarzhaarigen. Jene senkte kurz den Blick, ehe sie antwortete: ,,Noch kannst du deine Kräfte nicht richtig kontrollieren. Aber wenn du sie richtig trainieren und begrenzen könntest ..." ,,Siehst du", schnitt Vanadís Stimme dazwischen, ,,genau da liegt das Problem! Ich verstehe nicht, warum ich meine Kräfte im Zaun halten soll!" ,,Weil es zu gefährlich ist!", zischte die Schwarzhaarige zurück, deren Stimme dabei einen messerscharfen Unterton angenommen hatten. Jegliche Liebe war von einer Sekunde auf die nächste verschwunden.
,,Du hältst es für gefährlich, wenn ich auch nur mit der Wimper zucke." Die Rotblonde mit den blauen Augen sah ihr Gegenüber mit solcher Verachtung in den Augen an, dass ich daran zweifelte, dass die Fremde ihre Mutter war.
Eiserne Stille kehrte ein. Der Wind wurde stärker - so stark, dass ich glaubte, von den Füßen gerissen zu werden, indes auch die Haare von den beiden Personen in meinem "Traum" in der Luft spielten. Oder wohl besser tobten.

,,Du siehst mir ähnlicher, als ich je erwartet hatte."
Ich riss meinen Kopf zu der Person neben mir.
,,Mom", hauchte ich und blickte in himmelblaue Augen. Die Mundwinkel der Frau verzogen sich zu einem herzerwärmend Lächeln. ,,Aria", erwiderte sie weicher Stimme. Dann richtete die Rotblonde ihre Augen auf ihre jüngere Version, die inzwischen eine hitzige Diskussion mit der Schwarzhaarigen führte.
Da fiel mir ein, weshalb ich überhaupt hier war.
,,Mom?" ,,Ja, Liebes?" Ich biss mir nervös auf die Unterlippe, meine Handflächen schwitzen. Wie sie wohl auf die Frage reagieren würde? Was aber noch viel wichtiger war: wie würde ihre Antwort lauten?

,,Bist du aus Asgard?"
Überrascht hob Vanadís die Brauen. ,,Ich habe angenommen, du wüsstest bereits davon."
Also war es wahr ... Sie war eine Asin. Und ich zur Hälfte ebenfalls.
,,Ich wollte nur sicher gehen", murmelte ich und versuchte die Information zu verdauen. Denn auch wenn es bereits vermutet worden war ... es aus den Mund meiner toten Mutter zu hören klang erschreckend.
,,Und die Frau dort ... ist sie meine Grandma?"
,,Nein. Sie hat mich und meine Schwester nur groß gezogen."
Überrascht blinzelte ich. ,,Du hast eine Schwester?"
Gerade, als Vanadís zur Antwort ansetzen wollte, hörte ich eine körperlose Stimme. Loki?

Loki POV:
Während des Zaubers ...

Irgendwas fühlte sich seltsam an. Als würde irgendwas an mir ziehen, mir meine Seele aus dem Leib reißen. Aber nicht ruckartig und hart, sondern eher zaghaft, vorsichtig, sanft.
Dennoch pochte ein ungutes Gefühl in meinem Bauch.
Etwas stimmte hier ganz und gar nicht ...

Das irgendwas nicht stimmte, bestätigte mir Thors Erscheinen. Er war seit meiner Einkerkerung nicht zu mir gekommen, um ein wenig mit mir zu plaudern und Wein zu trinken. Und in seiner Hand sah ich auch keine Weinflasche ... sein Gesichtsausdruck war geprägt von Besorgnis und Aufruhe, aber ebenso von Missfallen. Letzteres galt wohl mir.
,,Thor", begrüßte ich den blondhaarigen Mistkerl mit einem süffisanten Lächeln.
,,Was verdankt mir die Ehre?"
,,Du hast eine Verbindung zu Arias Seele, nicht?"
Thor klang stumpf und ernst, beherrscht ruhig, obwohl ich wusste, was sich hinter der gefassten Fassade verbarg.
Es ging hier also um Aria ... und ihr Zustand musste tatsächlich schwierig sein, wenn er mich aufsuchte, um Starks Tochter zu helfen.

,,Möglicherweise", erwiderte ich und verkniff die Augen, richtete mich auf.
,,Ich habe keine Zeit für Spiele, Loki", knurrte Thor sichtlich gereizt. ,,Oho, da scheint sich jemand richtig Sorgen um sie zu machen", witzelte ich, trat näher an die durchsichtige Wand der Zelle, um Thors Ausdruck bis in jedes Detail zu genießen.
,,Mutter meint, du könntest sie erreichen, wenn das Band zwischen euch stark genug ist."
,,Wo erreichen?"
Thor atmete einmal tief ein und aus.
,,In der Totenwelt."

Aria Stark - Awakening of the phoenixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt