4 ~ Skye

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„Und du bist dir sicher, dass du da jemanden gesehen hast? Einen fremden Typen?" Jennys Stimme klang so ungläubig, dass ich mich augenblicklich fragte, ob mir meine Sinne nicht doch nur einen einfachen Streich gespielt hatten. Zwar spürte ich immer noch einen kühlen Luftzug, doch mein überstürztes Verlassen des Klassenzimmers und der anschließende Sprint durch das halbe Gebäude hatten dafür gesorgt, dass die eisige Kälte endgültig verschwunden war. Und mit ihr auch die Silhouette der dunkel gekleideten Gestalt.

„Der dich sogar begrapscht haben soll?", bohrte meine Freundin nach, während ich nur weiterhin gedankenverloren in die Luft starrte und die Bilder des zerbrochenen Fensters, der gefrorenen Luft, des fremden Typens an mir vorbeiziehen ließ. Immer und immer wieder, in der Hoffnung, dass mir ein entscheidendes Detail auffallen würde. Hatte die zersplitterte Scheibe etwas mit der plötzlich aufgetretenen Kälte zu tun? War es überhaupt möglich, Glas durch Kälte zum Zerbrechen zu bringen? Selbst wenn das physikalisch möglich war, konnte sich ein Gegenstand doch nie im Leben wieder zusammensetzen, als wäre nichts gewesen!

„Begrapscht?", mischte sich nun auch Luke ein, der unser Gespräch bisher schweigend verfolgt hatte. „Meinst du nicht, das ist ein bisschen übertrieben? Jemand, der nicht da ist, kann einen ja schlecht berühren." Mit einem geheimnistuerischen Grinsen senkte er seine Stimme, bis ich tatsächlich den Anflug einer Gänsehaut auf meiner Haut spüren konnte. „Außer natürlich, wenn Magie im Spiel war. Geister, Dämonen, Vampire. Übernatürliche Kräfte, denen sich der ominöse Fremde bediente, um uns alle auszulöschen."

„Schon klar, und demnächst steht er nachts um Mitternacht an unserem Bett, um das Blut bis zum letzten Tropfen aus unserem Körper zu saugen. Mit seinem leichenblassen Gesicht, seiner pechschwarzen Kleidung und diesen knochigen Fingern, mit denen er dir den letzten Rest deines Lebens nimmt... ", spann Jenny Lukes Worte weiter, die sich wie ätzende Säure in meine Nervenbahnen brannten.

Übernatürliche Kräfte...Dämonen...Leben aussaugen...auslöschen.

„Was...", murmelte ich, während ich meine Hand gegen die Stirn presste. Das schmerzhafte Pochen zog sich direkt durch die Blutbahnen, die mit jeder Sekunde stärker hervorzutreten schienen. Gleichzeitig verdoppelte sich das Bild vor mir, verschwamm an den Rändern, bis ich nur noch eine graue, unscharfe Masse vor mir hatte. Was war verdammt noch mal mit mir los? Erst das mit dem Fenster und der seltsamen Gestalt - und jetzt war ich wieder kurz davor, zusammenzubrechen?!

Dämonen...Blut...töten.

„Skye!" Geistesgegenwärtig bremste ich bei dem scharfen, warnenden Klang meines Namens ab und riss die Hände nach vorne.

Zu spät.

Noch bevor sich der trübe Schleier vor meinen Augen auflösen konnte, um mir ein einigermaßen klares Bild meiner Umgebung zu präsentieren, spürte ich schon, wie der kalte Stein meine Schulter streifte. Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment knallte ich schon ungebremst gegen eine der Säulen, die in der Aula links und rechts von mir eine Art Allee bildeten.

„Arrghh, scheiße.", fluchte ich leise, während sich der Fliesenboden vor meiner Nase langsam scharfstellte.

„Oh shit, Skye, was machst du denn?" Mit schnellen Schritten kam Luke auf mich zugeeilt. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gebrüllt, dass er doch sehen konnte, was ich hier gerade auf dem Boden machte, allerdings lag in seinem Blick nicht der winzigste Anflug von Spott. Im Gegenteil, fast schon hätte man meinen können, dass er tatsächlich Angst um mich hatte.

Nie im Leben, warf mein Unterbewusstsein sofort ein und verdrängte so jeden positiven Gedanken an die Zeit, in der wir uns noch nicht aus dem Weg gegangen waren. Als wir noch ein Paar gewesen waren.

Seelenhüter (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt