Epilog

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Das regelmäßige Pfeifen der lebenserhaltenden Geräte empfing sie, als sie den Raum betrat. Es war nichts neues für sie. Seit zehn Jahren arbeitete sie nun schon als Krankenschwerster in diesem Hospital. In dieser Zeit hatte sie alles gesehen, jedes Gerät und jeden Raum, den es hier gab, kannte sie wie ihre Westentasche. Aber noch nie hatte sie beim Betreten eines Raumes solch große Wut empfunden wie heute.

Dort lag er, der Komapatient. Der Arzt hatte gesagt, er wäre über den Berg. Bald würde er wieder erwachen. Aber das durfte sie nicht zulassen!

Vorsichtig sah sie sich um, während sie an das Bett des Mannes trat. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, obwohl niemand außer ihr und dem Patienten hier war. Doch wie jeder der etwas verbotenes plant, machte sie der Gedanke, dass sie erwischt werden könnte ungemein nervös.

Um ganz sicher zu sein, las sie noch einmal den Namen, den man auf die Infusion des Mannes geschrieben hatte: Viktor Kolbeck. Sie betrachtete sein Gesicht. Die blasse Röte auf seinen Wangen und den friedlichen Ausdruck, während er hier so dalag und zu schlafen schien. In keinster Weise sah man ihm an, dass er für den Tod so vieler Menschen verantwortlich war.

Eine Träne rollte ihre Wange hinab. Warum hatte nicht sie ihrem Sohn die neuen Fußballschuhe gekauft, die er sich so gewünscht hatte? Dann wäre sie an jenem verhängnisvollem Tag im Einkaufszentrum gewesen und an seiner statt gestorben. Hätte sie gewusst, was passieren würde, wäre sie bestimmt dazu bereit gewesen. Doch sie hatte es nicht gewusst.

Und hier lag er vor ihr. Der Mann, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich war und für all die anderen, denen die Gasexplosion das Leben gekostet hatte. Er war es, der seinen Mitarbeitern die falschen Pläne gegeben hatte. „Ein Unfall wegen menschlichem Versagen", hieß es in den Nachrichten, aber sie wusste es besser. Es war Mord!

Friedlichwie ein Kind lag der Mörder da. Der kalte Hass in ihrem Herzen fraß jeglichesMitleid, das sie anderen Patienten stets entgegenbrachte. Sie hatte ihrenEntschluss gefasst. Erfüllt von Trauer um ihren Sohn schaltete sie die künstliche Beatmung  ab. Sie wartete, bis das schrille Pfeifen desHerzstillstands ertönte. Dann rief sie den Arzt, der den Tod feststellensollte.

ENTKOMM!      Feuer und FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt