Du wischst die Tränen zur Seite und schlägst langsam die Augen auf, während du dich auf der Trage, auf der du jetzt liegst, zu orientieren versuchst. Wie genau du hierhergekommen bist, weißt du nicht mehr. Zwischen einem Schleier aus Tränen kannst du dich nur noch an ein paar große, starke Hände erinnern, die dich mitgenommen haben. Du hattest schon überlegt, ob du dich wehren solltest, konntest aber zwischen all deinen Schuldgefühlen keine Kraft dafür finden.
„Nele!", auf einmal vernimmst du eine dir nur allzu vertraute Stimme. „Mama?", fragst du halb erstaunt, halb erleichtert. Und da siehst du sie, völlig aufgelöst kommt sie auf deine Liege zu und breitet die Arme aus, um dich darin zu halten. „Mama!", rufst du, diesmal lauter und voller Vorfreude.
Doch als deine Mutter dich endlich in den Arm genommen hat, kommen dir schon wieder die Tränen. „Es ist meine Schuld, Mama.", schluchzt du verzweifelt. „Das Buch...es war wie Hexerei...", stammelst du weiter. Aber da unterbricht dich deine Mutter auch schon: „Aber Schatz, was redest du denn da? Was für ein Buch?"
„Es...es hatte magische Fähigkeiten...alles, was ich gelesen habe ist passiert.", noch während du sprichst, hörst du dir an, wie albern das klingt. „Ich wollte nicht, dass das Einkaufszentrum zerstört wird.", bringst du noch hervor, ehe deine Stimme versagt.
Ein Mann mit einem weißen Kittel taucht plötzlich neben deiner Mutter auf und erzählt ihr irgendetwas von einem Schock und wirrem Zeug. „Aber es ist die Wahrheit!", protestierst du.
Da wendet sich deine Mutter wieder an dich und erklärt mit sanfter, ruhiger Stimme: „Kein Buch hat das Einkaufszentrum zerstört, Schatz. Es war ein Bagger. Du erinnerst dich doch noch an die Baustelle vor dem Einkaufszentrum? Sie haben eine Gasleitung ausgegraben, ein Funke hat das Gas zur Explosion gebracht. Ich bin so froh, dass es dir gut geht!"
Auf einmal kommst du dir richtig klein und dämlich vor. Natürlich hast du von Anfang an gewusst, dass es eine logische Erklärung für all das geben musste. „Aber was ist mit der Stichflamme, die die Feuerwehrleute getötet hat, die mich retten wollten?", fragst du, eigentlich nur, damit man dir auch dafür die logische Erklärung nennt.
„Die Feuerwehrleute wurden nicht getötet.", beruhigt dich der Mann mit dem Kittel. „Sie sind sich noch nicht ganz sicher, was zu der Stichflamme geführt hat, vermuten aber, dass irgendeine Öl- oder Wasserleitung im Einkaufszentrum durchgeschmort ist."
Du nickst langsam und siehst deine Mutter an. „Es war nicht das Buch.", stellst du fest. „Nein.", meint sie lächelnd. „Das Buch ist unschuldig." Erleichtert atmest du durch. Es ist, als würde dir ein großer Stein vom Herzen fallen. Erst jetzt nimmst du bewusst wahr, wie erdrückend deine Schuldgefühle gewesen waren. „In allen Anklagepunkten freigesprochen!", witzelst du und meinst dabei mehr dich selbst, als das Buch.
Deine Mutter strahlt dich an. Wenn du sie so betrachtest, wirkt sie genauso erleichtert wie du. „Wir bringen dich jetzt für eine Weile ins Krankenhaus, bis wir sicher sind, dass du dich von deinem Schock erholt hast.", kündigt der Arzt an und wendet sich an deine Mutter: „Sie können sie selbstverständlich begleiten."
Er hat den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da rollt deine Trage auch schon los. Gemächlich geht es vorbei am Ort des tragischen Unglücks. Gedankenverloren blickst du zurück auf die Trümmer.
Undkurz bevor du den Krankenwagen erreichst, siehst du ihn. Wie ein Schmuckstück,mit feinen, schwarzen Strichen aufgezeichnet, ziert er die Seitentür von einemBagger, der an der Katastrophe beteiligt war: Der Drache!
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ENTKOMM! Feuer und Flammen
Novela JuvenilDie 14-jährige Nele soll beim Umzug der Buchhandlung aus dem großen Einkaufszentrum in ein kleineres Gebäude helfen. Doch dann gibt es einen Unfall auf der nahegelegenen Baustelle und alles steht in Flammen. Wird es Nele gelingen, den Flammen zu ent...