XXXI

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In meiner Turmkammer angekommen, ließ ich mich auf mein Bett sinken. Ich war mehr als nur verwirrt. Was war das heute? Warum fand ich meine Art auf einmal selbst so abscheulich, wie es alle anderen taten? War das wirklich nur wegen ihm? War wirklich er der Grund für meinen Sinneswandel? Ich habe mich noch nie einem Menschen so schnell geöffnet wie ihm. War er die Ausnahme in der Sache, in der es keine Ausnahmen gab? Unwahrscheinlich. Aber nicht unmöglich.

Was war so besonders an ihm, dass ich ihn so schnell in mein Herz geschlossen habe? Was macht er anders als alle anderen? Nur, weil er vom Sommer war? Nein, das konnte nicht sein? Nur, weil er so selbstlos war? So liebevoll, so.. warm, wenn ich so kalt war? Sein Lächeln, das seinen verletzlichen Charakter verbarg so wie es bei mir die Kühle und Abweisung taten?

Ich wusste es nicht. Aber mehr als alles im Moment wollte ich es herausfinden. Er war schließlich derjenige, der mich alle schlechten Dinge mit seiner bloßen Anwesenheit verschwinden ließ, der mich nur ansehen musste, damit ich nur noch im jetzt war und nirgendwo sonst. Immer wenn er bei mir war, vergaß ich, dass ich mich eigentlich selbst nicht ausstehen konnte, dass meine Eltern kalt wie Eisklötze waren und auch den Streit mit Micha..

Apropos Micha.. eine bekannte Schwere breitete sich in meiner Herzgegend aus und ich schluckte schwer. Ich wollte nicht weinen, ich hasse das Gefühl, wie Wasser aus meinen Augen trat und meine Wangen herunterlief, bis es von meinem Kiefer tropfte und den Boden traf.

Meine Hand wanderte automatisch zu der kleinen Schublade in meinem Arbeitstisch, in der ich die magische Schriftrolle lagerte. Sie war ganz blank und ich widerstand der Versuchung, Micha zu kontaktieren. Er hatte versucht mich auszunutzen und das auf ganz hinterhältige Art. Sollte er doch meine Ignoranz zu spüren bekommen. Sollte er doch denken, dass er mir egal war.

Jetzt rannen mir doch die Tränen aus den Augen und ich wischte sie ärgerlich weg. Wann war ich bitte so schwach geworden?

Gerade wollte ich die Schriftrolle zurücklegen, als ich die sanfte Wärme spürte, die davon ausging. Atemlos las ich, was dort geschrieben stand und meine Stimmung sank von Wort zu Wort.

"Hier ist Melody, ich schreibe für Michael. Er ist schwer krank und wir wissen nicht, wie wir ihm helfen können. Wir erhoffen uns, dass Ihr ihm helfen könnt. Vielleicht wisst Ihr Rat. Ansonsten wünscht Michael Euch zu sehen, denn er spürt, wie langsam sein Atem aus ihm weicht und er möchte die Liebe seines Lebens noch einmal sehen, bevor er uns verlässt und im Jenseits hiernach über uns wacht."

Ich zögerte keine Sekunde. Es war egal, dass es fast Abend war, es schon beinahe finster und eiskalt war. Micha war krank. Die Vorstellung, dass ich ihn nicht wieder sehen würde können, war so unwirklich, dass es mir beinahe lächerlich vorkam. Dennoch kroch langsam das pure Entsetzten in mir hoch. Keine Trauer, aber bloße Panik, dass ich den einzigen Halt in meinem Leben mit ihm verlieren würde. Ihn nie wieder berühren, küssen und mit ihm reden werden können.

Meine Schritte im Schnee führten mich wie von selbst zu unserem Baum, von da an ich den Weg zur Herbstburg noch schemenhaft wusste. Ich orientierte mich am Abendrot und wanderte immer weiter Richtung Westen. Als ich aus dem Wald trat, konnte ich kaum mehr die Hände vor den Augen erkennen. Beinahe wäre ich in das nahe Dorf Podasa gelaufen, doch ich konnte schon die Türme der Burg vom schwachen Mondlicht beleuchtet am Horizont erkennen. Es war nicht mehr weit.

Meine Füße schmerzten und mehr als jemals zuvor beneidete ich den Herbst für ihre Kraft und ihre Ausdauer. Der einzige Vorteil, das ich nichts sehen konnte, war, dass mich in dieser Dunkelheit garantiert niemand entdecken würde.

Als ich schließlich an der Schlosswache stand, fiel mir nichts besseres ein, als mich hinter einem Baum zu verstecken. Das Laub, das ganzjährig lag, knirschte unter meinen Füßen und ich betete, dass mich niemand hier suchen würde.

Michael hatte einmal erwähnt, dass er genau über dem Anbau für die Diener sein Zimmer hatte. Wenn ich jetzt den Vorsprung finden würde, dann könnte ich sein Zimmer finden. So leise wie möglich schlich ich um die riesige Burg herum und fand an der Westseite tatsächlich den schwach beleuchteten Anbau für die Angestellten.

Ein zerrissener Umhang und aufgeschnittene Handflächen später, stand ich mit wackeligen Beinen auf dem niedrigen Dach. Das Licht aus Michas Zimmer fiel auf mich und ich kniff geblendet die Augen zusammen. Ich stieg möglichst leise in das Zimmer. Eine junge Frau schlief mit angezogenen Füßen an das Bett gelehnt und Micha auf der einen Betthälfte. Die andere wies eine seltsame Ausbeulung auf, die ich als weiterer Mensch identifizierte. Wer schlief da in Michas Bett?

Ich beschloss die junge Frau aufzuwecken, die wohl Melody sein musste. Leicht tippte ich sie an der Schulter an und sie riss mit gehetztem Blick die Augen auf.  

[828 Wörter]

Der Anfang (Grenzen I) [Freedomsquad]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt