Kapitel 4

571 14 0
                                    

Woraus das Training bestehen konnte erklärte ihr Anne nicht. Stattdessen zählte sie Regeln auf.
Bleib immer hinter Gregor, rede mit niemanden der dich nicht anspricht, rede mit niemanden der dich mit glühenden Augen anspricht, rede am besten mit keinen der Männer, sprich am besten auch nicht mit den Frauen, stell keine Fragen, komm darauf klar.
So viele konnte sich Ivaine noch merken, gleichzeitig war sie plötzlich eingeschüchtert. Dieser Ort ergab immer und immer weniger Sinn, sie verstand ihre Aufgabe hier nicht, sie hatte immer noch nicht nach Joy gefragt und irgendwie hatte sie Angst.
Anne ignorierte das geflissentlich. Nachdem sie eine Suppe gegessen hatte, erhob sie sich ungeheuer elegant, stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich im Saal um.
„Nick, Oliver, Natalia, Katrina, Vivian und Arran. Zum Felsen, jetzt", mehr brauchte es nicht und sechs Jugendliche, zu Ivaines verwundern zur Hälfte jünger als sie, erhoben sich grinsend.
„Folg mir", raute Anne nun ihr zu, während die sechs noch ihre Teller aufräumten und Taschen zusammensuchten.
Anne führte Ivaine zurück in den Eingangsbereich, den sie nun endlich besser sehen konnte. Außer den beiden Fluren, die zum Speisesaal und den Zimmern führte gab es noch drei Türen im Raum. Eine war der Eingang, eine war hinter der Rezeption und führte vermutlich in ein Büro und die dritte war neben dem Kamin. Der Kamin war groß, aus dunklem Backstein und stand rechts vom Eingang, genau wie die Tür, die sie nun betraten.
Zu Ivaines Überraschung führte sie in eine Art überdimensionale Garderobe, voller Pullover und Hosen und verhältnismäßig weniger Jacken. „Im Schrank dort drüben sind Winterstiefel, die rote Jacke dort müsste dir passen und einen Schal solltest du auch noch umlegen. Lange bleibst du nicht draußen, wirst also schon nicht erfrieren, aber bevor der Alpha mich sanktionieren möchte, statte ich dich lieber komplett aus" Anne klang kein bisschen so, als habe sie Angst. Für Ivaine wirkte Anne sowieso, wie eine Person, die sich vor nichts fürchtete.
Gehorsam zog sie sich Jacke und Stiefel, Schal und sogar Handschuhe an, da betrat schon jemand anderes den Raum, allerdings nicht durch die Selbe Tür wie Ivaine.
Hinter einem Jackenständer war noch eine anscheinend noch eine Tür, eine die dem Windstoß nach direkt nach draußen führte. „Ich bin verdammt froh schon vorher Pullover und Hose geholt zu haben, wie ich sehe ist hier schon viel los!", gut gelaunt blickte sich nun ein Mann im Raum um.
Eigentlich waren nur Ivaine und Anne da, eine Tatsache die Anne auch direkt spöttisch betonte, ehe sie Ivaine vorstelle. „Das ist Ivaine. Sie ist still wie ein Grab und wahrscheinlich verängstig wie ein Kaninchen. Lass sie solange zusehen bis sie uns glaubt, lass sie nur nicht erfrieren" Der Mann war etwas älter als Anne, lachte bei ihren Anweisungen vergnügt und nickte gewissenhaft. „Zu Befehl Ser! Sie wird als Verschwörungstheoretikerin wiederkommen!", versprach er, ehe er sich an Ivaine wandte und sie freundlich anlächelte. Aus irgendeinem Grunde machte das Ivaine skeptischer, als Annes Kälte. Bei ihr hatte Ivaine nicht das Gefühl etwas vorgemacht zu bekommen, dieser Mann schien sie mit den grün- braunen, spöttischen Augen und den dummen grinsen durchgehend auszulachen. „Komm Ivi heute darf ich dir einen kleinen Vorgeschmack davon geben was du bald händeln musst" Sein Grinsen wurde etwas breiter und er zog Ivaine am Oberarm mit sich zurück durch die Tür.
Draußen war es kälter als erwartet, aber Gregor ließ Ivaine keine Zeit bei der Kälte zu erstarren, lief ungewöhnlich schnell über den glatt getretenen Schnee und führte sie um die Hütte herum. „Ich bin übrigens Gregor, Anne ist nicht so mit dem vorstellen, aber bald wirste uns ehe alle kennen. Komm, die Welpen warten sicher schon. Ungeduldig die Idioten, als würde es nicht schon bald genug Kämpfe geben!" Ivaine antwortete nichts, viel zu sehr war sie damit beschäftigt die etwas zu große Brille auf ihrer Nase zu halten und gleichzeitig bei dem schnellen Schritt nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern.
Wo auch immer sie gelandet war, diese Menschen schienen nicht viel von Erklärungen zu halten und Ivaine war inzwischen zu eingeschüchtert um nachzufragen.
‚Der Felsen' war bloß ein großer Felsvorsprung in dessen Schatten relativ wenig Schnee lag und nun zusätzlich von ein paar der Jugendlichen, die Ivaine schon im Speisesaal gesehen hatten, mit Sand ausgelegt wird.
„Schaut uns die Luna zu?", brüllte einer von ihnen zu ihnen rüber, ein junger Mann mit gebräunter Haut, dunklen Haaren und blauen Augen.
„Sag das nicht so genervt Nick, du hast die Ehre ihr deiner zukünftigen", es schien Gregor sehr wichtig ‚zukünftige' zu betonen, „ Luna deine Kampffähigkeiten vor zu führen. Legt los"
Ivaine hatte die Bezeichnung Luna nun ein paarmal gehört und hatte immer noch keine Ahnung was das genau war, was sie wusste war aber, dass sie ganz sicher nicht einfach irgendwas für diese seltsame Organisation werden würde.
„Ich will Nick sehen, der kann es offensichtlich kaum erwarten" Der Dunkelhaarige verdrehte die Augen trat aber an den Rand der Sandfläche.
Ivaine bemerkte erst jetzt wie verhältnismäßig dünn alle angezogen waren. Sie selbst zitterte unkontrolliert mit der dicken Jacke und dem Pullover und dem Schal, dieser Nick dagegen schien nur einen dünne Fließjacke über einem Hoodie zu tragen.
„Dagegen Vivian"
Ein Mädchen trat vor, sie war blass und blond, sowie zierlich, dafür überragte sie Nick um einen halben Kopf. Auch sie trug nur einen Pullover und eine weite Hose.
Als sie sich auf die andere Seite er Sandfläche stellte Nick gegenüber, zwinkerte sie ihm zu, worauf er spöttisch einen Mundwinkel hob. „Wer zuerst auf den Rücken liegt, hat verloren. Bereit euch vor"
Und dann zog Nick plötzlich seine Jacke aus und Vivian zog sich den Pullover über den Kopf. Drunter trug sie ein weißes Bandeau und als sie als sie ihre Hose noch runter zog entblößte sie eine weiße, kurze Bikershort aus demselben Material.
„Was?", brachte Ivaine heraus und Gregor lachte.
„Bisschen verwirrend, was? Wart einfach ab"
Und das tat Ivaine. Mit den Armen fest um den Körper geschlungen, um der Kälte zu entkommen stellte sie ich etwas weiter hinter Gregor.
Nick zog sich ebenfalls aus bis auf eine ähnliche Hose wie Vivian, nur war seine lockerer.
Gregor zählte einen Countdown von drei runter und Ivaine war überzeugt ihren Augen nie wieder trauen zu können.
Beide sprangen mit den Armen zuerst auf die Sandfläche, doch landen taten zwei riesige Wölfe.
Der Rechte, der an Vivians stelle nun seine Pfoten in den Sand grub war dunkelbraun, mit langem, unordentlichem Fell, Nicks Wolf war einen Hauch dunkler und schlanker.
Beide trugen noch Nicks und Vivians Klamotten, wobei die Bandeau und Hosen bei den größeren Wölfen eher wie Verbände aussahen.
Sie knurrten sich für einen Moment an, ehe Vivian mit einem hohen Sprung Nick am Nacken zu packen versuchte, doch dieser rollte sich weg, Sand wirbelte auf und die restlichen Jugendlichen klatschten und wichen den Wolken aus. „Zu hastig Vivian!", zischte Gregor und klang plötzlich ähnlich autoritär wie Anne.
Jetzt startete Nick einen Gegenangriff, eilte gehockt auf Vivian zu, musste dabei ihrem Biss ausweichen, doch konnte sie im nächsten Moment am Bein packen.
Es waren Wölfe, die sie da gedanklich Nick und Vivian nannte. Wölfe, große Wölfe, verdammte Wölfe die Menschen sein müssten – Menschen waren.
Es waren verdammte Werwölfe.
Wo bin ich hier nur gelandet
„Und stopp. Auseinander", Gregor neben ihr brüllte zu den Beiden Wölfen rüber, von dem der heller nun auf den Rücken lag und knurrend zu seinem Gegner über sich aufschaute.
Beide zögerten eine Sekunde, da sprang Nicks Wolf herunter, zog sich wieder zu der Ecke der Fläche zurück, in der er begonnen hat. Auch Vivian tat dasselbe. Diverse Blutflecken blieben auf den Sand zurück, doch die Beiden Wölfe schienen unverletzt.
„Jetzt verwandeln" Und vor Ivaines Augen formten sich diese überdimensional großen Wölfe wieder zu Menschen, der langen, zierlichen Vivian und dem trainierten Nick, beide trugen noch immer ihre Bandeaus und kurzen Hosen, doch jetzt waren die mit Blut und Wolfshaaren bedeckt.
Es war schon lächerlich wie froh Ivaine war wenigstens etwas hier zu verstehen. Wenn sie sich verwandelten, verwandelte sich ihre Kleidung nicht mit.
„Ihr habt zu lange gezögert, Vivian du warst zu impulsiv, du brauchst mehr Kontrolle" Vivian sah so aus, als würde sie gerne widersprechen, verkniff es sich aber mit einem seufzen und sammelte wieder ihre Klamotten zusammen.
„Als nächstes....Oliver und Arran" Noch ein Kampf?
Fast verängstigt blickte Ivaine zu Gregor auf, schluckte hart und beobachtete die neuen Gegner. Oliver war jung, vielleicht 15 doch mit dem geschorenen Kopf und dem breiten Gesicht sah er gefährlicher aus, als so manch anderer zwanzig jähriger in der Runde. Arran zum Beispiel, der durchaus um die zwanzig sein konnte, jedoch deutlich kleiner und schlanker, mit wirrem, offensichtlich ungekämmten rot-braunem Haar.
Ihr Kampf verlief anders als Nicks und Vivians. Arran verwandelte sich in einen ähnlich unscheinbaren Wolf, mit zottigem, rot-braunem Fell, ganz so, als würde er seine Wolfsform nicht mehr pflegen, als die menschlich. Oliver war ein eindrucksvoller, schneeweißer Wolf, mit rötlichen Augen – und bald voller Wunden.
Arran war schnell. Schnell und flink und regte sich nie so ausgiebig über Wunden auf wie Oliver, der jedes Mal aufheulen und knurren musste.
Gregor gefiel das gar nicht. Immer wieder brüllte er Anweisungen. Langsamer, geduldiger, lass dich nicht provozieren!
Vor allem das Letzte. Allerdings änderte sich nicht viel.
Bei einem von Olivers vielen gescheiterten angriffen, rollte sich Arran in ihre Richtung über den Boden, schleuderte nassen und pulverigen Sand auf Ivaine und sie musste mit geschlossenen Augen heftig husten.
Plötzlich wurde sie unsanft nach hinten gezogen, prallte gegen jemanden und schlug verwirrt wieder die Augen auf. „Was zur Hölle glaubt ihr hier zu machen", zischte niemand geringeres als Rafael, der die Gruppe rund um Gregor vorwurfsvoll anblickte. Er sah viel autoritärer aus, als am Abend zuvor. Sein hellbraunes Haar war auch nicht mehr so ordentlich gekämmt und in diesem Licht wirkten seine Augen völlig Haselnussbraun.
Er hielt Ivaines Arm weiterhin eisern umklammert.
„Rafael", begann Gregor und alles spöttisch war aus seinem Blick verschwunden, „Du meintest selbst, dass sie nur dran glaubt, wenn sie es selbst sieht"
„Durch ein Fenster", Rafael betonte jedes Wort, wie eine Drohung und schritt näher an Gregor.
Dieser seufzte als wüsste er nicht mehr ganz wie er sich verteidigen soll.
„Ich wollte es sehen", hörte sich Ivaine plötzlich sagen. Rafael fuhr zu ihr herum und wieder glaubte Ivaine einen grünen Schimmer in seinen eigentlich überwiegend braunen Augen zu sehen. Ivaine mochte ihn nicht.
„Ich wurde entführt und keiner wollte mir sagen was man von mir will und dann soll ich bloß durch ein Fenster irgendwas sehen? Ich habe – ich habe drauf bestanden hier her kommen zu dürfen", Ivaine hob mit Mühe das Kinn und versuchte nicht so unsicher zu wirken, wie sie war.
Rafael, der Neue, der vor kurzem noch mit ihr gesprochen hatten, sich mit ihr unterhalten wollte lässig und unbedeutend auf einem kleinen Treffen mit Freunden.
Dieser Rafael macht gemeinsame Sache mit seinen Entführern, wenn er nicht gar der Entführer war.
Ein neuer Trotz packte Ivaine. Er entführte sie, wollte aber nicht mal richtig die Wahrheit zeigen, ihr die Situation begreiflich machen? Für wie schwach hielt er sie eigentlich?
„Ivaine, solche Kämpfe sind gefährlich, du kannst ni-" „Menschen einfach K.O. schlagen ist auch gefährlich. Sie zu betäuben ebenfalls", unterbracht sie ihn.
Rund um den Felsen wurde es still. Fast ehrfürchtig warteten sogar die beiden Wölfe auf Rafaels Reaktion, der Ivaine lange Zeit ungläubig anstarrte.
„In Ordnung", brachte er gepresst heraus, „Jetzt hast du es gesehen. Nick", seine Stimme wurde unerwartet laut, „Bring sie zurück"
Nick schien als einer der wenig kaum eingeschüchtert. Er schlenderte auf Rafael zu, wartete bis dieser Ivaine losließ und steuerte die Hütte an.
„Du hast zu viel Temperament dafür, dass das dein erster Tag hier ist", verkündete ihr Nick.
Dass sie nicht lachte. Ivaine hatte kaum Temperament, sie hasste es nur, wenn man sie für schwach hielt. Vor allem Rafael hatte dazu kein Recht, schließlich war er in ihre Entführung involviert und konnte genau sehen, dass verhältnismäßig verdammt gut mit dieser Situation umging.
Na ja, sie hatte gerade Menschen gesehen, die sich in 1,60 große Wölfe verwandelten und sie hatte keine Ahnung, wie sie das einordnen sollte. Doch sie rannte hier nicht schreiend herum, stattdessen nahm sie sich nur vor Anne oder Rosalia zu fragen, wie das weitergehen sollte. Warum zeigte an ihr das alles? Warum sollte diese zukünftige Luna sein und nicht irgendwer anders?

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt