Seit zwei Tagen durchkämmte das Rudel bereits die Wälde. Die Spuren der Rudellosen verloren sich allerdings in der Steinwüste. Ein plötzlicher Regenschauer hatte alle Gerüche weggewaschen und seine Krieger an der Grenze stehen lassen.
Rafael hatte das Gefühl nur noch Wut und Verzweiflung zu kennen. Wut auf dieses verdammte Miststück Valentina, auf sich selbst, weil er Ivaine und Frederika offensichtlich nicht gut genug gesichert hat, irrationale Wut, die sich gegen niemand bestimmen richtete, aber Rafael an Reagans Anwesenheit erinnerte. Alles Wut, die Verzweiflung überdeckte.
Sein innerer Wolf war noch mehr in Aufruhr als sonst. Als Alpha hatte er sowieso mit einem mächtigen, inneren Wolf zu kämpften, doch jetzt kam der Beschützerinstinkt hinzu, dieses unfassbare Verlangen alles nach Ivaine abzusuchen. Rafael hasste es, er hasste es noch immer, auch wenn er sich eingestehen musste... Ivaine war nicht wie seine Mutter. Isabella hätte niemals über den Kopf seines Vaters hinweg entschieden, sie wäre nie aus Wut ein Tag nicht nach Hause gekommen. Isabella hatte irgendwann völlig aufgehört Jonathan auf irgendeine Art herauszufordern. Rafael hatte vor so einer Gefährtin genau so viel Angst gehabt wie er jetzt vor Ivaine hatte.
Wie musste es sein, wenn sie erstmal markiert war? Ihre Seelenverbindung ganz angenommen? Er wollte nicht abhängig sein, von niemanden und doch schaffte er es keine Abneigung zu verspüren, wenn er an eine gemeinsame Zukunft dachte.
Die Sonne ging auf und der dritte Tag seit Ivaines Verschwinden brach an. Gestern hatte Rafael Emilio zwangsweise Bescheid gesagt, heute durfte seine Antwort in Briefform ankommen. Rafael freute sich nicht drauf.
Als der helle Himmel auch durch die dichten Baumkronen erkennbar war, drehte Reagan sich um und eilte wieder zum Rudel. Gleich würde er die Krieger antreffen, den nächsten Vorstoß planen und wie stets nicht daran denken, was wohl mit den drei Mädchen geschehen war. Auch die Kinder waren verschwunden, jedoch hegte keiner die Hoffnung diese wieder zu finden.
Mit diesen düsteren Gedanken breitete sich wieder Verzweiflung in Rafaels müden Kopf aus, ehe ihn der Geruch des Rudels umfing und in ihm noch etwas anderes.
Die letzten drei so gut wie schlaflosen Nächte erschienen plötzlich unwichtig. Seine Sinne waren geschärft, Reagan riss die Augen auf und wie aus der Pistole geschossen brachte er den Wald hinter sich, sprintete unbedacht durch die noch leeren Straßen des Dorfes, genau auf sein Haus zu. Er konnte sie riechen, sie war hier, sie war hier.
Wie kommt sie in unser verdammtes Haus?
Du hast gesehen wie gerissen sie ist, wahrscheinlich ist sie entkommen
Gab Rafael hoffnungsvoll zurück. Über den Gartenzaun gelang Reagan auf das Gelände des Anwesens ohne sich vorher verwandeln zu müssen. Darauf verzichtete Rafael nämlich sobald er auch Andromedas Geruch wahrnahm, Ivaines innere Wölfin, die tatsächlich zusammengerollt auf der Terrasse lag und tief schlief.
Wie kann sie so früh, so koordiniert sein mit ihrer inneren Wölfin?
Rafael hatte ein Jahr gebraucht, um sich nicht zufällig zurück zu verwandeln, wenn er mal kurz nicht aufmerksam war. In Wolfsgestalt schlafen...
Ich glaube Luna hat zu Abwechslung ein zu gutes Team zusammen gesetzt
Das Misstrauen in Reagans Stimme konnte Rafael nicht ganz deuten. Mit schnappendem Atem trat er näher und näher. Andromeda schien nicht verletzt, Ivaine war es demnach wahrscheinlich auch nicht, trotzdem schaffte Rafael es nicht sich zu beruhigen. Krampfhaft hielt er Reagan zurück, der wütend genug war Andromeda an zu knurren und ihr Vorwürfe zu machen. Ganz langsam nur durfte er seine Schnauze an ihr dichtes Fell drücken, um sie zu wecken.
„Rafael"
Ivaines Stimme hallte in seinen Kopf nach und unwillkürlich schnappte er nach Luft. Telepathische Gespräche waren eine Eigenart der Seelengefährten, normalerweise aber nur wenn beide bereits 18 waren oder die Frau markiert.
„Ivaine?", gab Rafael, zum ersten Mal sowas wie sprachlos zurück. Durch Regans Augen konnte er in Andromedas hellen blicken, die sich stark von ihrer dunklen Maske um die Augen abhob. Meda war einer der unansehnlichen Wölfinnen, ihr Fell wollte nicht ganz zusammenpassen, schwarz, teilweise gräulich gestromt und mit sandfarbenen Pfoten, dazu höchstens eine schnelle Läuferin, jedoch Reagan weit unterlegen.
Reagan kannte sie aus vorherigen Leben und stets hatte er den selben Eindruck von ihr und deren Wirte bekommen. Sie hatten einen großen Mund, jedoch wenig dahinter. Es war schwer sie mit einer Wirtin wie Ivaine einzuschätzen.
Mit einem genüsslichen Gähnen richtete sich Andromeda auf, vielleicht unterhielten sich Reagan und sie auch gerade, doch Rafael hörte nur Ivaine, fast konnte er sie ernst blicken sehen.
„Sie hat mich gehen lassen Rafael. Aber sie plant dieses Rudel anzugreifen"
„Was?"
„Wir können nicht hier reden, gehen wir zurück in den Wald"
Sie führten telepathische Unterhaltungen, wer sollte sie den belauschen? Reagan legte misstrauisch den Kopf schief und auch Rafael konnte ihn nur zustimmen. Das hier klang seltsam.
„Ivaine, du bist drei Tage verschwunden, verdammt. Bist du verletzt? Wir nehmen Krieger mit in den Wald, du gehst nicht einfach-"
„Wenn wir hier bleiben wird sich das Rudel auf uns stürzen, Fragen stellen und du wirst dich in Strategien und Stress werfen. Nein, sie greift erst heute Nacht an, heute Morgen bleiben wir allein", ihre Stimme zitterte eigenartig, es konnte Wut sein. In Medas hellen Augen blitze aber sowas wie Sorge auf.
Um ihr den Vortritt zu lassen trat Reagan etwas verwirrt einen Schritt zurück und Meda huschte an ihnen vorbei. Damit rannten sie also zurück in den Wald, Rafael achtete darauf ihre Gerüche zu überdecken, um das Rudel nicht auf sie aufmerksam zu machen, Ivaine sprach in der Zwischenzeit weiter.
Voller Schock musste Rafale feststellen, dass Valentina sich scheinbar zum Alpha erklärt und -noch schlimmer- anerkannt wurde. Sie konnte Ivaines innere Wölfin unterdrücken, anscheinend auch Gerüche überdecken, um ihre Rudellosen nach oben zur Hütte zu bekommen. Wenn sie auch noch besonders stark war hatte sie offensichtlich alle Fähigkeiten eines Alphas erhalten.
Es konnte nicht sein, Ivaine ignorierte seine Zweifel allerdings gekonnt und hielt mitten im Wald abrupt an. Andromedas Ohren waren aufgerichtete, ihre Nase zuckte prüfend. Rafael war verwirrt. Weder ihm noch Reagan fiel etwas auf.
„Du bist müde"
Stellte Ivaine plötzlich klar. Sie klang wieder sanfter, so sanft wie ihr Tonfall für gewöhnlich ausfiel. Verdatterte blickte Rafael zu ihr rüber. „Das ist nicht wichtig. Erzähl schon und lass uns zu den Kriegern zurück"
„Doch es ist wichtig, hast du letzten Nächte überhaupt geschlafen?"
Rafael zögerte mit dem folgenden Geständnis, es klang so... verzweifelt. Aber was brachte ihm lügen? Er hatte keine Kraft mehr dazu, außerdem wusste er, dass Ivaine keine Verharmlosung von ihm hören wollte. „Nachts habe ich dich gesucht"
„Dann schlaf jetzt, hier. Das Rudel findet uns hier nicht so früh und du wirst gegen ihre Armee nichts ausrichten können, wenn du keine Energie hast"
Es war eine seltsame Bitte, im Wald zu schlafen galt nicht unbedingt als sicher, allerdings galt die Skihütte als äußerst sicher und das hat auch nicht funktioniert. Andromedas warme Flanken drückten sich plötzlich sanft an Reagans und zu seiner Überraschung beugte sie sich zusätzlich nach vorne und leckte ihm über die Ohren. Es war eine Geste der Zuneigung und der Sorge. Ivaine schien bereits die ganze Zeit über angespannt, geradezu besorgt. Langsam, aber sich beschlich Rafael das Gefühl, dass diese Sorge aus irgendeinem Grunde ihm galt.
Seufzend gab er nach. Auch Reagan legte seine Zweifel ab, den endlich hielt sein Instinkt still und endlich erlaubte Rafael ihm sich ein wenig auszuruhen. Zusammen mit Andromedas warmen Körper sank Regan zu Boden und bettete die Schnauze seelenruhig in Andromedas dichtem Schulterfell.
„Weck mich zur Mittagszeit"
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Lichter am hellen Himmel
WerewolfIvaine hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, ob es Werwölfe geben könnte. Vielleicht Geister und als Kind auch Monster im Schrank, aber Werwölfe waren doch nur Volksmärchen. Als sie jedoch entführt wurde und raus fand, dass sie die Gefährtin des...