Kapitel 27

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Heiße Wut, als Gegensatz zu Rafaels Worten, breitete sich in Ivaine aus.
Die Aussage war unverkenntlich. Sie war schuld, sie hatte das hier gefälligst zu regeln.
Noch immer auf den Beinen stieß Ivaine ein Schnauben aus. Es konnte alles gelogen sein, Quinn und Gerard regierten seit einem Jahrzehnt zusammen, solche Schauspielereien gehörten vielleicht einfach zu diesen Machtspielen.
Allerdings sprach eine unbedeutende Sache dagegen: Ivaines Gefühl.
Es war naiv, lächerlich, aber Ivaine musterte Quinns nervösen Blick, Gerards möglichst gefassten und das einzige an das sie denken konnte war, dass sie etwas schrecklich belastete.
„Eurem Kind, euren Kindern... Geht es ihnen gut?"
Sofort weiteten sich Quinns Augen. Kurz darauf schüttelte er den Kopf.
Zwei Kinder waren es, eines war fünf Jahre, das andere noch kein Jahr alt und mindestens einen hat es erwischt. Natürlich wollte Quinn da keine Schlacht, wer will um das eigene Territorium und Gefährten fürchten, wenn man schon wegen des eigenen Kindes in Sorge ertrank?
Ivaine warf Rafael keinen trotzigen Blick mehr zu, sie verlangte keine Verschiebung der Verhandlung auf morgen oder wenigstens um eine kurz Besprechung.
Nein, sie hob das Kinn und verkündete Folgendes: „Wenn Valentina angreift brauchen wir Verbündete und Allianzen. Es gibt tausende Rudellose, wenn das was ihr sagt stimmt ist das Modyt Rudel bereit all seine Vorräte mit euch zu teilen, darauf gebe ich mein Wort"

Noch beim Abendessen redete Nick verzweifelt auf Rafael ein, Aaron schien zum ersten Mal seitdem Ivaine ihn kannte nachdenklich und Rafael selbst sagte kein Wort mehr. Gerard hatte noch gehadert, wollte es nicht ganz wahrhaben, doch Ivaine ließ ihm keine Zweifel. Ihre Krieger mussten und würden sich zusammenschließen, Vorräte würden solange aufgeteilt werden, wie es möglich war. Beide Rudel sollten Listen erstellen mit all ihrem Besitz, in den nächsten Tagen würden sich dann Vertreter beider Verwaltungen zusammensetzen und eine sinnvolle Aufteilung finden. Gerard wollte weiter nachfragen, mehr Daten festlegen, am besten einen Vertrag verhandeln, aber Quinn war klug genug das Schweigen ihrer Gegenüber richtig zu interpretieren. Er hatte darauf beharrt jetzt zu gehen, den Rest würde sie die nächsten Tage klären.
Das würde er sich tatsächlich müssen, zu Ivaines Überraschung sprach nämlich niemand davon Ivaines Idee nicht umzusetzen. „Wir können sie bei sowas nicht mehr mitnehmen. Quinn hat uns durchschaut, er wickelte sie um den Finger, wie es seinesgleichen seit Jahrhunderten !", es waren dieselben Aussagen, immer und immer wieder in anderen Worten verpackt und alle vermittelten Ivaine, dass sie etwas falsch getan hatte.
„Quinn hat damit nichts zu tun" Es war Rafaels Schuld, sein vorwurfsvoller Ton hatte einen unsagbaren Trotz in Ivaine geweckt. Jetzt hatte sie sein Problem gelöst, auch wenn dadurch anscheinend andere entstanden sind, Ivaine war noch nicht bereit sich schlecht zu fühlen.
Nick, der seit einer halben Stunde so ziemlich nur Selbstgespräche führte ergriff sofort die Gelegenheit sich mit jemanden zu streiten. „Natürlich hatte er was damit zu tun, verdammt! Wir haben auch Probleme, wir haben auch Welpen, nur weil bei ihnen gerade eine Grippe rumgeht können wir nicht alles fallen lassen und denen nen nassen Lappen auf die Stirn klatschen!", Der Teller zerbrach knirschend, als Nick die Gabel gewaltsam in eine Kartoffel spießte. Noch vor ein paar Wochen wäre Ivaine zurückgezuckt, aber verängstigte Frauen kamen in diesem Rudel wohl kaum weiter. Demensprechend schluckte sie den Schock runter und hob den Blick von ihrem eigenen, unangerührten Essen. „Dann gibt ihm halt nichts, lasst alles platzen, meine Autorität ist nicht so wichtig wie Rafaels", gespannt wartete Ivaine auf eine Antwort, am besten von Rafael selbst, aber natürlich behielt Nick das Wort. Freudenlos lachte er auf. „Denkst du das hätten wir nicht sofort gemacht? Aber du Idiotin hast ihm dein Wort gegeben, du hast es ihm versprochen. Wir sind hier nicht auf deinen mickrigen, alten Schulhof, zwischen Werwölfen ist ein Versprechen noch viel wert. Vor allem das einer Luna" Das erklärte natürlich einiges. Wortlos erhob sich Ivaine mit ihrem noch vollen Teller und brachte ihn zur Ablage. Sie würde sowieso nichts runter bekommen.

Ein paar Tage später zogen tatsächlich drei ihrer Verwalter im Rudel mit zwei Kriegern durch den Westwald los, um sich mit dem Kadra-Rudel zu beraten. Ob Rafael oder Aaron sie ausgesucht hat, wusste Ivaine nicht. Außer ihren Lehrern, sowie Sarah und Lyn sprach nicht mehr wirklich jemand mit ihr, vor allem Rafael nicht. Sarah versank ihn Sorgen um den stillen Alpha und ihrem wütenden Bruder, auch wenn sie es offensichtlich zu verbregen versuchte. Trotzdem war schlich sich langsam, aber sicher eine Art Schuldgefühl in Ivaines Kopf ein. Natürlich war sie wütend, weil Nick sie so herablassend behandelt hat, sie hasste es las naiv dargestellt zu werden. Das Problem war wie nah Rafael das alles ging. Als eine Art stummes Friedensangebot, ließ sie also den Tisch für ihn gedeckt, wenn er mal wieder abends nicht nach Hause kam, legte sich in sein Schlafzimmer zum Schlafen hin und merkte sich stets wann er ins Bett ging und wann er aufwachte. Nach drei Tagen hatte er sich angewöhnt höchstens vier Stunden zu schlafen und meistens nur insgesamt sechs zu Hause zu sein. Meistens jene sechs, die Ivaine versuchte zu schlafen. Den Gerüche, die er an sich trug nach zu urteilen war er in Wäldern jagen, trainieren oder war irgendwo im Rudel unterwegs, trotzdem zerrte es bald sosehr an Ivaines Nerven, dass sie am fünften Tag förmlich aufsprang, als ein bekanntes Geräusch das Öffnen der Tür ankündigte. Sofort schloss sie das Buch, welches sie gerade las und lief zum Flur. Tatsächlich stand Rafael in der Tür. Sein hellbraunes Haar war stumpfer als sonst und wie erwartet hatte er dunkle Augenringe. „Valentina zieht in den Norden", ungeachtet der Worte erstrahlte Ivaine förmlich beim Klang seiner Stimme.
Erbärmlich
Andromeda kommentierte neuerdings nur noch ihr Verhalten Rafael gegenüber. Ja, erbärmlich, aber Ivaine war es im Augenblick völlig egal. „Valetina?", fragte sie schnaufend nach, „Das haben wir doch geahnt" Rafael schloss die Tür wieder und trat auf Ivaine zu, diese wollte ihm Platz machen, um ins Wohnzimmer zu treten, doch er hielt sie an der Taille zurück. Etwas verwirrt begann ihr Herz laut zu klopfen und nur zaghaft hob sie den Blick hin zu seinen dunklen Augen. Unschlüssig wo ihre Hände hingehörten legte sie sie sanft auf seiner Schulter ab und keuchte überrascht als Rafael sie ganz langsam an sich zog. „Es war nicht fair von mir. Dir das zu überlassen. Aber am Ende hast du etwas gefunden. Wir haben zu wenige Vorräte, viel zu wenig, um beide Rudel lange gesund und stark zu halten, aber die Situation hat sich verändert" Rafael atmete tief ein während er auch den zweiten Arm um ihre Taille schlang. „Valentina hat ihren Mann nicht nur entmachtet sie hat ihn umgebracht Ivaine", eine Luna die ihren Alpha umbringt? In all den Geschichtsstunden, die sie inzwischen bei Anne hatte, war Ivaine sich sicher von so etwas noch nie gehört zu haben. Natürlich gab es unzufriedene Frauen, doch alle kannten die Regel: Der Alpha regiert. Es gab manche die Selbstmord gegangen, aus Verzweiflung, aber auch Ivaine sah nicht ein warum eine Luna herrschen wollte. Frauen konnten am Ende genau so grausam werden wie Männer, ein Machtwechsel war fast immer unmachbar und dazu nutzlos. Außerdem... „Ihren Gefährten?", fassungslos presste Ivaine den Mund gegen Rafaels Schulter. Obwohl ihr diese Seelengefährten-Sache gar nicht gefiel, sie konnte sie nicht verleugnen. Andromeda hatte da völlig Recht, Ivaine war erbärmlich und lächerlich und verliebt, ohne verliebt zu sein. Auch jetzt, seit Wochen hat sie Rafael kaum berührt, fühlte sich seine Umarmung richtig an. All das wusste auch Rafael. So sehr er Ivaine in den letzten Tagen und auch davor frustriert hat, sie wusste warum Rafael morgens immer für sie mit Kaffee kochte oder die Tür zweimal abschloss, jedes Mal tief ausatmete wenn er sah, dass Ivaine wieder bei ihm schlief.
Er fühlte ähnliches, wahrscheinlich nochmal stärker als sie, weil er bereits über achtzehn war, das Alter, in dem man angeblich wirklich an die Seele des anderen gebunden wird.
„Ihren Seelengefährten, genau. Es war im Schlaf, er war nackt und schutzlos und sie hat ihn einfach die Kehle durchgeschnitten. Das ist aber nicht das schlimmste" Was konnte schlimmer sein? Den eigenen Gefährten so blutig zu töten war bereits unvorstellbar. „Um eine unangefochtene Herrschaft zu haben muss sie die Königin sein, keine Regetin. Deswegen... Sie hat..." Rafaels Stimme zitterte, vor Wut wie Ivaine klar wurde, „Sie hat auch ihren Sohn beseitigt, Ivaine"
Was?
Werwölfe waren kaltblütiger als Menschen, soviel war Ivaine bewusst, aber den eigenen, zweijährigen Sohn? „Ist sie geisteskrank?"
„Vielleicht, vielleicht ist sie aber auch nur abgrundtief böse und machthungrig. Sehr machthungrig" Valentinas nichtsagende Eleganz, ihre Sympathie für Isabella und ihre stille Art. Konnte das die perfekte Fassade für ein Monster sein?
Beide verfielen in ein geschocktes Schweigen. Manchmal, wenn Rafaels Herz besonders wild schlug, malte Ivaine kleine Kreise auf seine Schulter oder schloss seufzend die Augen. Er sollte sich nicht verlieren, wissen wo er ist. Und um Himmels willen nicht wieder so lange still und abwesend bleiben, wie in den letzten Tagen.
„Was machen wir jetzt?", wagte sie irgendwann zu fragen.
Rafael löste sich langsam ein Stück von ihr. Sie stand noch immer am Eingang des Wohnzimmers, er in Straßenschuhen und sie in einem übergroßen, ausgewaschenen Hoodie. „Sie bekämpfen. Was sie tut ist grausam und allem Anschein nach ist sie auf einem Kreuzzug aus, an dessen Enden alle Rudel auf den Kontinent von ihr oder wenigstens von Lunas regiert werden sollen. Alle Alphas und deren Kinder..." Rafael presste die Lippen aufeinander. Er brauchte nicht zu Ende zu reden. „Zuerst zog sie in den Süden, Emilios und Fredrikas Rudel ist bereits besetzt" Ivaine wusste von Rikas drei Kinder. Nein, nicht noch welche! „Sie auch noch? Sie waren doch erst-"
„Ivaine, sie sind am Leben. Emilio hat es geschafft sie zu evakuieren. Er selbst kämpft gerade darum sein Territorium wieder zu beherrschen, sein Rudel ist stark, nur weit verbreitet. Warte bis sie sich mobilisiert haben, dann könnte es gut sein, dass er Valentinas eigenes Gebiet einnehmen kann. Bis dahin hat er mich nur um einen Gefallen gebeten. Er hat mir die ganze Geschichte erzählte, in einem Brief, gerade angekommen" Er fixierte Ivaines Blick kurz, als wollte er hinzufügen, dass er sofort und als erstes zu ihr gekommen war, sobald er es erfahren hatte. „Wir haben wenig Ressourcen und eine Kinderseuche im Nachbarrudel, deswegen will ich das nicht mit zu vielen diskutieren. Emilio hat mich gebeten Fredrika und seine Kinder aufzunehmen. Hier weiter im Norden sind sie sicherer, sie könnten oben in der Skihütte leben"
„Natürlich!", war das überhaupt eine Frage? Unter welchen Umständen würde Ivaine auch nur in Betracht ziehen Kinder und eine gute Freundin zurück zu lassen, „natürlich nehmen wir sie auf! Vier mehr oder weniger zu ernähren und beschützen ist nicht unmöglich, Rika ist unsere Freundin, unsere Verbündete"
An Rafaels Mundwinkeln zupfte ein Lächeln. Er musterte Ivaines Gesicht mit funkelnden Augen und ganz kurz dachte Ivaine, er würde sie küssen.
Dann presste er seine Lippen aber doch nur auf ihre Stirn. „Ja, genau. Das Rudel wird das verstehen und akzeptieren müssen. Ihr Wohl ist an erster Stelle, gefestigte Bündnisse werden aber auch ihnen helfen" Eine gute Rechtfertigung, die man dem Rudel vorbringen konnte, in Ivaines Augen brauchte man sie aber nicht. Jeder normale Werwolf da draußen musste doch Mitleid mit Kindern haben? Mit einer Mutter die fliehen musste? Nicht alle Werwölfe waren wie Valentina oder Luke. Rafaels Wut Valentina gegenüber war der perfekte Beweis, die besorgten Mütter damals in der Praxis, Quinn der der Verhinderung einer Schlacht zustimmte, sie alle waren nicht kaltblütig und Ivaine wurde alles dafür tun ihre Warmherzigkeit siegen zu lassen.

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt