Kapitel 29

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Rikas Weinen hallte im kleinen Raum wider während Valentina seufzend ihr Grinsen absetzte.
An die Tischplatte gelehnt, sanft lächelnd und mit schiefem Kopf sah sie fast wieder so aus, wie die Luna, die Ivaine kennengelernt hatte. Unerschütterlich ruhig, ein Beispiel an Eleganz.
„Dein Emilio auch, Rika, ja, nur nicht so wie ihr denkt" Auch das brachte Rika nicht dazu mit dem Weinen aufzuhören. Ivaine biss sich auf die Unterlippe, um nichts zu sagen. Ihre Instinkte waren still, es war kein beißendes Gefühl der Sorge, welches sie empfand, als sie Valentinas Worte verarbeitete. Wie Rafael war in Gefahr? Wie sollen Rudellose ins Herz des Rudels zu kommen?
Es sei denn der Idiot...
Nach Luft schnappend erhob Ivaine das Wort über Rikas Stimme. „Welche Art von Gefahr? Worauf- worauf willst du hinaus?" Rika atmete zitternd ein, scheinbar in einem Versuch sich zu beruhigen.
„Richtige Frage", Stolz blitzte jetzt in Valentinas Blick auf, „ich wusste, dass ich mich richtig entschieden habe. Zuerst möchte ich euch aber eine Geschichte erzählen. Über Seelenverwandtschaft und meinem Alpha..."

Ivaine hatte ihren Vater nie von seinen Erlebnissen als Soldat sprechen hören. Sie sei zu jung dafür, es würde sie bloß erschrecken. Es sei nichts für Kinderohren.
Immer und immer wieder dasselbe. Ivaine hatte es gehasst. Ihr eigener Vater wurde ihr immer fremder und er wollte sich ihr nicht öffnen. Jetzt war Ivaine froh ihren Vater nie mit diesem Schmerz in den Augen und Schwere in der Stimme gehört zu haben.
Valentina erzählte von ihren Erlebnissen an der Front. Es war nicht dieselbe Front wie ihr Vater, Valentinas Wunden waren nämlich vor allem seelisch. So tief, wie ihr Gefährte sie nie physisch verletzen konnte, obwohl er es versucht hatte.
Es waren schreckliche Szenen, die sie kalt und abgehackt schilderte. Immer mehr von ihrer kühlen Eleganz verschwand. Sie war verletzlich und klein, auf eine Art, wie sich ein Alpha das nie trauen würde, erzählte sie wie viel passieren musste bevor sie die Entscheidung traf der Welt keinen Alpha mehr anzutun.
Als sie zum Abschluss tief Luft holte zitterte ihre Stimme schrecklich. „Ihr müsst es nicht nachvollziehen oder eure kleinen, perfekten Gefährten darin sehen. Ihr müsst nur verstehen. Alle Alphas haben diese dunklen Gene in sich. Sie alle werden euch unterdrücken, sei es auch nur aus der Angst heraus, von euch eingenommen zu werden"
Ivaine verstand. Es war verrückt, aber Valetinas Gefährte hat schreckliches getan. Valetina war Jahre de facto eingesperrt, sie durfte ihren Sohn nie sehen, hatte keinen Einfluss darauf zu was für einen Alpha sie ihn erziehen wollte. Alles was sie sah war ihr Gefährte, der von Eifersucht und Liebe zerfressen allein bestimmte wann Valetina ihn berühren durfte, wann sie es musste. Er entschied wann sie frech wurde oder sich einmischte, wann sie plante eine Affäre zu beginnen oder sich in Gefahr zu begeben. Dabei war er selbst die einzige, wirkliche Gefahr in ihrem Leben. Aber Vlaetina war ja auch die Gefahr in seinem Leben. „Also", Valetina hatte sich offensichtlich wieder ein wenig gesammelt und hob ihr Kinn. Sogar ihre Mundwinkel bogen sich wieder nach oben. „Es sind dunkle Zeiten, in denen wir geboren wurden, in denen mein Sohn geboren wurde und auch deine Töchter Rika. Sie sind aber noch nicht vedorben. Wir können sie retten" Sie nahm Ivaines Blick auf, „Wer könnte geeigneter dafür sein die Dunkelheit zu vertreiben, als ein Stern?"
„Du kannst nicht so eine Unmenschlichkeit von uns verlangen! Was du machst ist krank!", Rikas Gesicht verzerrte sich vor Wut, „Gewalt ist doch keine Lösung für Gewalt"
„Nun still ausharren war es bis jetzt auch nicht!" Dazu hatte Rika nur ein erneutes Schluchzen übrig. Valentinas Gesicht versteinerte sich. „Ich werde dich ziehen lassen Ivaine. Es ist deine Entscheidung, aber hör wenigstens mein Angebot an..." Die Fesseln ließen ihr im Grunde keine Wahl, Ivaine nickte trotzdem langsam und bedacht.

Sie sollte es sich eine Nacht und einen Tag lang überlegen, spätestens zum Sonnenuntergang sollte Ivaine sich jedoch entschieden haben. Aber in der Zwischenzeit konnte sie natürlich nicht einfach wieder ins Rudel spazieren. Zu viele Fragen, zu viel los um ordentlich nachdenken zu können.
Wo Valentina Ivaine dann aber hin bringen würde hätte sie nicht erwartet.
Mit dem ersten sanften Lächeln, das Ivaine auf Isabellas gealtertem Gesicht sah öffnete ihr diese die Tür, führte sie wieder in ihr Wohnzimmer, diesmal setzte sie Ivaine auch essen und Tee vor. Ließ sie stillschweigend wieder zu Kräften kommen. Warum hat das niemand kommen sehen? Ein Komplott der Alphas beseitigt, Lunas regieren lässt wird natürlich höchst wahrscheinlich von der unglücklichen Luna unterstütz.
Im Rudel gilt sie nicht als unglücklich, sie gilt als schwach. Niemand traut ihr dem Wunsch zu regieren zu.
Das konnte gut sein. „Du weißt vom Angebot?"
Das ticken einer Küchenuhr erfüllte die Stille, ehe Isabella aufblickte. „Selbstverständlich"
„Und du bist dafür?" Valetina hatte es vage gehalten, aber Ivaine verstand. Sie würde dieses Rudel anführen, Rafael soll seinen Status verlieren.
Den Status, den er nie wollte, den Druck, den er nicht stand hielt.
Isabella verlagerte sichtlich verlegen ihr Gewicht, ihre Hände waren in die Stuhllehne gekrallt. „Ich glaube du verstehst nicht Ivaine. Was hat dir Valentina gesagt?"
„Rafael ist nicht zum Alpha bestimmt, Aaron, Benedict und Gregor würden mir helfen selbst zu regieren" Auch fadenscheinig. Ivaine als Anführerin. Was wusste sie schon von Politik? Wer würde ihr schon folgen?
„Sie hat erlösen gesagt, nicht wahr? Sie hat gesagt sie könnte Rafael ‚erlösen'"
Ivaine nickte ertappt.
„Alphas verlieren ihre Stellung nicht, wenn sie Luna nicht für unwürdig ernennt. Rafael ist verdammt solange er lebt oder bis ihn ein männlicher Wolf besiegt, der Alpha zu sein", sie sagte das alles so diplomatisch. Ganz als hätte sie nicht gerade verkündet, dass.... Dass... „Ich hab's geahnt.", gab Ivaine zu, doch sobald sie Valetinas Büro entkommen ist sah die Welt anders aus. Isabella erinnerte Ivaine wieder daran wer Rafael wer. Auch nur eine verlorene Seele in einem brutalen System. Auch er hat unter einem Alpha gelitten, wenn auch nicht so wie Valentina und Isabella vielleicht. „Da kann ich nicht mitmachen", erhitze sich Ivaine, „Ich kann doch nicht... Wer wäre ich-"
„Ich finde du solltest."
Tick, Tack, Tick, Tack.
Unaufhörlich donnerte die Küchenuhr.
Tick, Tack.
Erinnerte Ivaine daran, dass sie antworten musste. Nachdenken musste.
„Er ist dein Sohn", ihre Stimme war so leise, die Uhr übertönte sie fast, „Wie kannst du mich dazu ermutigen ihn zu... zu..." Ivaine brachte es gar nicht über die Lippen. „Du musst ihn nicht selbst töten Ivaine" „Das macht es nicht besser!"
Isabellas starrer Blick zeigte keinerlei Emotionen, während sie weitersprach. „Aber es macht es leichter. Hier geht es um das große Ganze, das Wohl ganzer folgender Generationen von Werwölfen" Das große Ganze, wie schön das doch klang. Fast als wäre es gewöhnlich seinen eigenen Sohn ermorden zu lassen. „Keiner wird mir folgen, irgendwann werden sich Rudel gegen uns verbünden und dann waren diese Tode umsonst", wenn Isabella sah wie unsinnig das war, vielleicht würde sie Rafael dann doch retten wollen.
Langsam, wie ein Raubtier, das seine Beute betrachtet, legt Isabella den Kopf schief. „Hast du denn nichts gemerkt Ivaine? Denkst du das Rudel ist völlig unwissend?"
Ivaines Augenbraunen zogen sich zusammen.
„Du hast ihnen zugehört, du hast eine Schlacht verhindert, Frieden mit dem Kadra Rudel geschlossen, wegen dir erschien ihnen Rafael doch wie ein offener Alpha. Du bist die Luna auf die sie gewartet haben"
„Ich... Ich verstehe nicht"
Ihr Blick zuckte zu Ivaine und plötzlich, diabolisch und stolz, fing sie an zu lächeln. „Meine Herrschaft hat dir den Weg geebnet Ivaine. Das ganze Rudel sieht in dir die Retterin, die Veränderung auf die sie verzweifelt gewartet haben. Ich hätte nie herrschen können, Jon war ein manipulatives Stück Dreck, sobald er konnte hat er mich an sich gebunden, mich geschwängert", eine gewisse Wut trat in ihre Augen, verblasst aber sofort wieder, als sie weitersprach, „Aber du... Du bist unberührt und unbefleckt und noch völlig frei dich von ihm zu lösen. Es wird wehtun, ja, aber hier geht's um ein ganzes Rudel. Deine Seele ist jung, sie wird seinen Abgang aushalten"
Ihre Augen funkelten, nicht wie Rafaels grün oder ihre eigenen blau, sie blieben bernsteinbraun, nur heller, gefährlicher.
Ivaine hatte nie wirklich realisiert, dass Isabella ebenfalls eine Werwölfin war und unwillkürlich fragte sie sich, ob die schrecklich, große Narbe neben ihrem Auge nie zustande gekommen wäre, wenn sie weniger Temperament an den Tag legen würde.
„Das Rudel, auf meiner Seite?" Isabella nickte entschieden. „Du musst ihn nicht umbringen Ivaine, er muss bloß in Valentinas Reichweite. Bring ihn zum Treffpunkt, den sie dir genannt hat. Spring über dein Schatten, du bist keine Jugendliche mehr, die nur noch an ihr eigenes und das Wohl ihres Liebsten denken muss.
Wenn du es trotzdem ausschließt müssen wir dieses Rudel nämlich angreifen, bis sie selbst bereit sind ihren Alpha zu stürzten oder er im Kampf stirbt"
Tod und Leid hunderter, gegen ihr eigenes und das von Rafael. Ivaine hatte sich noch nie so in die Ecke gedrängt gefühlt. Als Andromeda plötzlich drängte die Kontrolle zu übernehmen sprang Ivaine sofort auf und verließ das Haus, noch bevor die erste Pfote auf den Kiesweg donnerte.

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt