Kapitel 12

279 8 0
                                    

Die Woche bis zum Vollmond verging schneller als gedacht. Ivaine wohnte jetzt wohl bei Rafael, es war sein persönliches Haus, doch alle Rudelanführer lebten da seit Genrationen drin, weswegen es auch das Rudelhaus des Dorfes war.
Die Hütte wurde unscheinbarerweise die Skihütte genannt, galt aber den Aktivitäten, die von den möglichen menschlichen Behörden komplett unbemerkt bleiben sollten, wie eben Verwandlungen, Rituale, man erklärte Ivaine sogar, dass gelegentliche Besucher aus anderen Rudeln ebenfalls dort übernachteten. Diese wollte man meistens nicht ins Herz des Rudels lassen.
Sie erfuhr, dass das Gästezimmer in welches sie im Rudelhaus schlief nur privaten Besuchern galt. Meistens Rafaels Schwester Elena, die bereits Anfang zwanzig war, in einer anderen Stadt studierte und nur gelegentlich zu Besuch kam.
Ivaine erfuhr auch, dass Rafaels Mutter früher den Schrank benutz hatte, weswegen vielleicht noch ein paar Klamotten von ihr drin sein könnten, aber das wäre in Ordnung, denn Isabella käme ehe nicht mehr dort vorbei.
All diese Informationen bekam Ivaine nie von Rafael. Obwohl sie mindestens einmal am Tag irgendwie Zeit miteinander verbrachten, weil Rafael einen Film schaute und Ivaine gelangweilt genug war mitschauen oder weil sie Fragen bezüglich der seltsamen Hausaufgaben hatte, die ihr Anne gab (Sie musste ein Haufen Stammbäume auswendig lernen, ihre Entstehungsgeschichte, Fakten und Normen im Rudel...), während all dieser Gespräch sprach Rafael nie über sich. Über seine Familie genau so wenig, selbst wenn Ivaine es explizit ansprach. Er wechselt dann bloß schnell das Thema.
Lieber erzählte er vom Rudel. Aaron würde der neue Beta sein und war Rafaels bester Freund seit Kindertagen, Lynn ,als ehemalige Vogelfreie, war nun einer der treusten Mitglieder, Gregor stellte sich als Rafaels Onkel väterlicherseits heraus.
Oft musste Rafael aber gar nicht reden, weil ehe Besuch da war.
Meistens Aaron, der fast jeden Tag kam und eine lockere Stimmung verbreitete.
Sarah hatte sie auch ins Herz geschlossen. Sie war Nicks Schwester, gleichzeitig allerdings deutlich netter und weniger sarkastisch veranlagt.
Den Rest, den ihr abwechselnd Rosalia, Anne, Rafael oder Sarah vorstellten konnte Ivaine nicht ganz einordnen.
Die einen behandelten sie lächerlich höflich, die anderen waren skeptisch.
Trotzdem hatte Ivaine eine unerklärliche Verbindung zu allen. Alle rochen ähnlich und irgendwie vertraut. Natürlich trotzdem unterscheidbar und einzigartig, aber dieser warme Geruch des eigenen Rudels hing an alle. Das Gefühl, das ihr inzwischen Sicherheit vermittelte.
Seit der Sache mit Luke fehlte ihr das, vor allem nachts. Rafaels unruhiger Schlaf, den sie sehr genau hörte, half ihr nicht gerade. Er war genauso gestresst wie sie und Ivaine hasste es, das mitzubekommen.
Dementsprechend glücklich war sie, wenn sie aus dem Haus kam. 

„Hey", begrüßte sie Sarahan einem morgen knapp eine Woche nach ihrer Verwandlung. Sarah sah ihrer Mutter kein bisschen ähnlich, so hell ihre Augen und ihr Haar war, dafür umso mehr Benedict. „Du siehst müde aus"
Ivaine war es. Der Vollmond rückte näher, das ganze Rudel wurde irgendwie aufgekratzter. So auch Andromeda und Reagan, Rafaels Wolf und irgendwie auch er selbst.
„Lange Geschichte", hauchte Ivaine, weil sie wusste, dass Rafael einen Raum weiter in der Küche alles hören konnte, was sie sagt, „Gehen wir?" Sarah erfasst sofort die Situation und nickte.
„Du weißt, dass in drei Nächten Vollmond ist?
Die Sache ist... An den Tag findet die Zeremonie statt, dann wirst du zur offiziellen Luna und Rafael zum Alpha ernannt und alles"
„Müssen wir dafür...?"
„Nein, nein, das hat nichts miteinander zu tun. Ihr müsst irgendwann, weil der nächste Alpha auf die Welt kommen muss, aber für die Ernennung müsst ihr euch nicht mal berührt haben.
Trotzdem gib es was, was dir gegenüber vielleicht noch nicht erwähnt wurde..."
Sarah wirkte sehr jung, war ihr Gesicht doch glatt und schmal und ihre Kurven nicht nennenswert. Ivaine schätze sie auf 16, obwohl sie schon 18 war und damit sogar älter als Ivaine selbst. In dieser großen Meute von Machos und egozentrischen, eingebildeten Wölfen empfand Ivaine das zuerst mehr als Nachteil. Bis jetzt.
Unschuldig verzog sie das Gesicht und beunruhigte Ivaine so kein bisschen mit ihrem Eingeständnis.
„Worum geht's denn?", fragte sie also gelassen, während sie gemeinsam weiter ins Innere des Dorfes spazierten.
„Anne ist bei dir nicht allzu weit mit der Politik, nicht wahr? Trotzdem, du weißt, dass westlich von uns die Kadras sitzen?"
„Das Kadra-Rudel, ich weiß. Ihre Anführer sind Gerad und Quinn"
„Genau. Sehr mächtig die da drüben. Jedenfalls wollen sie uns seit langem, wirklich langem angreifen. Wir haben seit Jahrhunderten Grenzstreitigkeiten, immer und immer wieder, weil sie unser Waldstück westlich erobern wollen" Noch aus Annes Hausaufgaben wusste Ivaine, dass ihr Rudel quasi westlich und östlich Wald hatte. Westlich war es allerdings ein Mischwald, mit anderem Wilde, als in den Nadelwald östlich, indem sie auch von Luke überrascht wurde. Er war für das Rudel sehr wichtig und doch schwer zu halten.
„Greifen sie an?", fragte Ivaine ungeniert. Sarah stieß gestresst Luft aus und blickte sich etwas besorgt auf den Straßen rum. Zum Glück hatte wohl keiner auf sie geachtet und Sarah sprach mit ruhigerem Gesichtsausdruck weiter.
„Um Lunas Willen, nein, nein tuen sie nicht! Rudel anzugreifen, während der Beta reagiert ist einer unserer vielen ungeschriebenen Regeln. Luna duldet sowas nicht, der Angriff steht unter einem sehr schlechten Omen. Aber sobald du und Rafael quasi im Amt seid fällt das weg" Sie seufzte theatralisch und strich sich die hellen, fast platinblonden Haare hinters Ohr. „Ich sag dir das damit du vorbeireitet bist. Viele glauben, dass du das nicht zu wissen brauchst, weil du so jung bist und diesen Konflikt ehe nicht beeinflussen kannst. Teilwiese stimmt das auch. Wir werden kämpfen. Natürlich bist du für die Friedenserhaltung da, aber dieser Kampf ist nicht was wir verhindern können.
Die Kadras werden die Unsicherheit unseres Rudels nutzen und angreifen. Ich glaube trotzdem... Stellt dich einfach drauf ein.", als wäre nichts gewesen lächelte Sarah sie optimistisch an. Die Straßen wurden voller, je näher sie der Innenstadt, quasi, kamen und Ivaine hatte das Gefühl ihre Stimme hier senken zu müssen.
„Unsicherheit? Wegen mir etwa?"
„Du bist sehr jung Ivaine. Die Luna des Kadra Rudels ist 36, Quinn ist dazu seit 11 Jahren die Luna! Isabella hat dazu kein besonders ruhiges Rudel hinterlassen..."
Im Rudel sprach man tatsächlich nicht über Isabella, soviel hatte Ivaine gemerkt. Rafael hat sie nie auf Isabella angesprochen, doch sowohl Anne, als auch Aaron und Rosalia hatten ihr erklärt, dass Isabella noch um ihren Mann trauerte und deswegen mit niemanden reden möchte. Rafael nähme das mit also sollte sie ihn bloß nicht drauf ansprechen.
Die Geschichte mit der Trauer klang nicht gelogen, aber langsam bekam Ivaine das Gefühl, dass mehr hinter steckte.
„Wir sind da!" Vor lauter Gesprächsstoff hatte Ivaine Sarah heute gar nicht gefragt wo sie hin gingen. Jeden zweiten Tag versuchte diese ihr einen anderen Teil des Rudels vorzustellen oder das Dorf zu zeigen. Am Nachmittag hatten sie dann meistens Training bei Gregor, wenn auch ihres noch sehr unspektakulär war. Sporteinheiten und Kampfsport und Unterhaltungen mit Andromeda. Alles angeblich notwendig, allerdings auch gelegentlich langweilig und anstrengend.
Den Vormittag genoss Ivaine viel mehr.
„Was ist jetzt hier?", Neugier schielte Ivaine auf die Hausfassade. Sie wirkte moderner als das restliche Dorf und neben den Eingang hing eine versilberte, längliche Tafel.

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt