Kapitel 8

371 10 0
                                    

Träume waren eine verwirrende Sache. Irgendwie dachte man nicht darüber nach, während man drei Meter hoch sprang oder sich mit einem Weltstar unterhält. Es scheint stets ganz normal, dass das eigene Haus gleich um die Ecke ist, obwohl man eigentlich von einer fremden Stadt träumt und manchmal reagiert man irrational, obwohl man selbst realisiert, dass es bloß ein Traum ist.

In eben diesen Zustand fand sich Ivaine wieder. Der Schnee unter ihren Füßen war nicht kalt, der Wind war nicht beißend, eher angenehm und voller Informationen. Sie roch alle Wölfe um sich herum. Die Gerüche hatte sie selbst noch nie zuvor wahrgenommen, doch sie hinterfragte es nicht. Träume waren manchmal so, man wusste etwas einfach.
So wusste sie, dass sie neben sich Reagan hatte. Er war noch immer so schnell und geschickt, wie sie sich an ihn erinnerte. Auch die grünen Augen war noch immer genau so eindringlich und berechenbar. Man kann all seine Gedanken regelrecht ablesen, schnaufte eine Stimme in ihrem Kopf und Ivaine gab ihr recht.
Jetzt wirkte Reagan überrascht, geschockt, doch Ivaine hielt sich nicht lange mit ihm auf. Sie jagte an ihm vorbei, sobald ihre Beine sie halten konnten. Als ein Wolf ihr im Weg stand, Lycian wie sie unerfindlicher Weise wusste, schnappte sie kurzerhand nach ihm und wurde angeknurrt.
Das Blut in ihrem rötlichen Fell nahm Ivaine gar nicht wahr.
Sie roch Hasen und Füchse in der Nähe, sie hörte den Wind pfeifen und sah einen Weg vor sich, vom Mond erleuchtet. Ohne zu zögern jagte sie diesen entlang, so schnell, dass alle Geräusche um sie herum im Rauschen des Windes untergingen.
Sie musste fliegen, das war es. Sie flog über den Schneeund landete irgendwann wieder in einem dichten Tannenwald, den sie auf der Suche nach einem Beutetier ablief.

Freiheit war so schön und doch war sie uns nur so kurz gewehrt. Der Waldboden unter den Pfoten war weich, die Luft frisch und der Hunger plagte mich, wenn ich auch nur an ein Reh dachte.
Die Nacht der Verwandlung war stets die Schönste. Solange der Mond schien waren die Menschen aus dem Weg geräumt. Oft bekamen sie nicht mal mit was wir machten oder hielten es später für einen Traum.
Narren, aber gut für uns.
"Ich sagte, halt an!", ein wohlbekanntes Knurren erweckte meine Aufmerksamkeit und ich verfluchte meine Dummheit. Warum bin ich in den dichten Teil des Waldes geeilt? Schnelligkeit lag mir, vom Berg ins Tal, in den Wald zu kommen war ein Kinderspiel, doch durch Bäume in zick-zack zu jagen wollte gelernt sein und ich musste seit Jahrzehnten keine Übung mehr gehabt haben.
Dementsprechend nahm mich der trainierte Reagan ein, sprang auf meinen Rücken und riss mich herum. Holz barstete, als ich mit ihm in ein Gestrüpp krachte.
Ohne zu zögern sprang ich auf, drehte mich herum und plötzlich war es, als sei keine Zeit vergangen. Ich kämpfte mit Klauen und Zähnen und Kraft. Aber ich war noch nie eine Kriegerin, Reagan dagegen war schon immer der geborene Mörder. Er hätte mich problemlos umgebracht, auch noch sofort, aber er hatte natürlich nicht die volle Kontrolle über sich und noch bevor seine Wunden verheilt waren, hatten sich zwei weitere Wölfe auf mich gestürzt und nagelten mich fest.
Wir heilten schnell, noch während ich mich freizukämpfen versuchte verheilten all meine oberflächlichen Wunden. Unsere lächerliche kleine Luna würde keine Schmerzen mehr haben, wenn sie aufwacht. "Willst du sterben?! Du rennst auf die Grenze zur Steinwüste zu! Die voller Vogelfreier, die zerreißen dich sofort!" Wir sprachen über Gedankenübertragung, aber Reagans Blick ersetzte jeden vorwurfsvollen Unterton. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, seine Lechzen gehoben und seine Zähne somit entblößt.
Dazu hatte er recht und mir blieb nichts übrig als ergebend zu knurren und erneut zu zappeln. "Ein Wolf sucht nach ihr! Ich weiß nicht wer es ist, aber er ist entschlossen und vermutlich mächtig, also halt sie von da fern", sendete mir Reagan noch hinterher, als ich die Richtung änderte- statt nach Osten nun in den Süden und somit Richtung Herzen des Waldes.
Ich wusste natürlich, dass sie mir folgen würden, mein armes Menschenmädchen würde bei Sonnenaufgang völlig erledigt die Kontrolle übernehmen und jemand musste sie ja einsammeln. Aber bis dahin hatte ich ein paar Stunden Freiheit und musste genug essen, um die drei Tage Schlaf, die dem Mädchen wohl bevorstanden, durchzustehen. Wohl gelaunt beschleunigte ich meine Schritte noch weiter und schreckte die Waldbewohner im Unterholz aus ihrem Schlaf.

Das Zimmer kam Ivaine wieder gleisend hell vor. Diesmal brannten ihre Augen wenigstens nicht mehr, keine Kontaktlinsen – zum Glück. Sie schirmte ihre Augen mit der Hand ab und schaffte es so blinzelnd die Augen zu öffnen....
... um zu merken, dass es nicht das ihr bekannte Zimmer war.
Es war hier ebenso hell, da die grelle Nachmittagssonne direkt auf ihr Gesicht strahlte, doch dieses Zimmer hier war kleiner, das Bett schmaler.
Dunkler Holzboden, ein kuschlig wirkender Teppich in waldgrün sowie ein hölzerner Schreibtisch mit Büchern und diversen Papieren drauf gestapelt. Der Raum wirkte wieder so nichtssagend, Ivaine vermisste unwillkürlich die Gemütlichkeit der Hütte.
Wo sie wohl war? Vorsichtig richtete sich auf, nur um festzustellen, dass sie viel zu schwach dafür war. Keuchend ließ sie sich wieder ins Kissen fallen.
Da fiel ihr ihr Traum wieder ein. Der Traum von Dichten Bäumen, ein warmes Fell und mehreren Wölfen um sich herum. Der Traum, der wahrscheinlich keiner war.
Aus Instinkt wollte sie nach ihrer Brille greifen, um sich selbst genauer zu betrachten, doch es war keine Brille auf dem kleinen Nachttisch und Ivaine realisierte, dass sie den Raum auch so verdammt gut sah.
Hatte sie doch Kontaktlinsen drin? Unmöglich.
Sind auch keine Kontaktlinsen, aber meine Präsenz bringt auch dir gewisse Vorteile.
„Wer war das?", stieß sie sofort heraus und blickte sich verwirrt im Raum um. Die Tür war geschlossen, sie war alleine, woher kamda bitte eine Stimme?
Schau soviel zu willst, aber mich kannst du höchstens im Spiegel finden.
Das folgende Geräusch interpretierte Ivaine als ein Kichern und sie fühlte sich augenblicklich beleidigt.
„Findest du es witzig mich zu verwirren?", zischte sie und bekam sogleich ein weiteres Kichern zu hören.
Ein bisschen, ja und das wirklich witzige ist mir vorzustellen, wie die hohen Tiere des Rudel im Erdgeschoss gerade deinem Selbstgespräch hier belauschen, während sie beschließen wer nach dir sehen soll.
Unverständlich zog Ivaine die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf, da klopfte es schon an der Tür und Anne trat ein. Heute trug sie ihre Haare in einem niedrigen Pferdeschwanz. Sie waren glänzend und ordentlich zurückgesteckt und in ihrem blauen Etuikleid sah sie bereit für ein Bewerbungsgespräch aus.
„Ivaine, angenehm dich wach zu sehen", sagte sie und klang kein bisschen besser gelaunt, als die Tage zuvor. „Du warst zweieinhalb Tage bewusstlos, was überraschend kurz ist. Hast du irgendwelche Beschwerden?"
Anne war trocken und direkt, verschränkte die Hände hinterm Rücken und schritt an Ivaines Bett um sie zu mustern. „Ehm, also... Jemand hat... Da hat jemand geredet und ich-" „Du weißt nicht wer? Das muss dein innere Wolf sein. Frag die Stimme wie sie heißt, wir müssen das alles festhalten" Augenblicklich fuhr Anne herum und kramte auf den Schreibtisch nach einem leeren Blatt sowie einem Stift. „Sie- sie fragen...?" Sollte Ivaine ihr Selbstgespräch jetzt fortführen oder was?
Du kannst in Gedanken mit mir reden, du Dussel. Die hört mich ja auch nicht, diese Stimme ist in deinem Kopf.
Ich kann so mit dir reden?
Offensichtlich ja. Übrigens heiße ich Andromeda, Reagan und der Rest sprechen den Namen immer komplett aus, aber Meda reicht schon.
Meda klang als würde sie sich für sehr großzügig halten, weil sie ihr so ein großzügiges Angebot machte.
„Andromeda", sagte Ivaine laut.
„Ach ja, hat lange nicht mehr gelebt, Luna könnte uns einen Neustart gewähren", antwortete Anne, als wäre es das normalste der Welt.
Vielleicht würde das, das neue normal sein in Ivaines Leben. „Wo- wo bin ich hier? Ist alles gut gelaufen?"
Anne faltete den Zettel sorgsam zusammen und schob ihn in einer Tasche ihres Kleides. Erst dann schritt sie wieder neben Ivaine. „Da du am Leben bist und dein innerer Wolf mit dir spricht, wahrscheinlich. Alles hat geklappt. Zurzeit musst du allerdings noch etwas schwach sein, wir lassen dich von einem Arzt untersuchen und dann geht es los."
„Los womit? "
Anne stieß ein freudloses Lachen aus. „Na womit du wolltest! Du lernst das Rudel kennen und natürlich wirst du noch Unterricht. Ich werde dir ein Haufen Werwolftheorie beibringen müssen und bei Gregor wirst du schön Kampftechniken und Kontrolle lernen, dein Wolf hat eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht ziviliester ist als andere"
Ich mag die Frau nicht, beschloss Andromeda in ihrem Innern.

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt