Kapitel 11

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Es schien zu einem wahren Muster zu werden, dass Ivaine in einem überhellten Raum aufwachte, diesmal kannte sie ihn aber wenigstens. Es war das Wohnzimmer, durch das sie am Morgen gelaufen war.
Irgendjemand trug sie ihm Arm, denn Ivaine lag offensichtlich an eine Brust gelehnt, wie sie durch den Herzschlag und dem regelmäßigen Atmen merkte.
"Sie ist wach", hauchte eine Stimme leise, als könnte Ivaine sonst zusammenzucken.
Sarah, das blonde Mädchen von heute Morgen, hatte sich vor das Fenster gestellt und schirmte Ivaine so vom direkten Licht ab. Ihr Lächeln war sanft und sie legte mitfühlend den Kopf schief. "Bring sie nicht nach oben. Sie braucht keinen Schlaf, sie braucht Essen."
"Das einzige was sie braucht ist etwas mehr Verstand" Die Brust vibrierte bei diesen Worten, weshalb Ivaine davon ausging, dass derjenige der sie trug, sprach, "Wir haben es Andromeda gesagt! Andromeda wusste es, sie kannte auch den Geruch, warum zur Hölle ist sie nicht gerannt, als sie noch konnte?
Warum ist sie im ersten Moment weggerannt?", Die Stimme zeugte von zwanghaft zurückgehaltener Wut und bei Ivaine stellten sich tatsächlich Schuldgefühle ein.
"Was wenn wir jemanden verloren hätten? Luke ist unfassbar stark.
Wir müssen raus finden wer sein innerer Wolf ist, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen! Wie kann er so schnell sein und gleichzeitig so unbemerkt? Wie kann er so stark sein?
Dieses Mädchen muss endlich-" Er schien sich etwas verkneifen zu müssen, während er langsam auf die Couch zu trottete.
Ivaine war zu schwach für eine Entschuldigung, in ihrem Innern verfluchte sie sich aber selbst. Sie wollte nie jemanden in Gefahr bringen, auch sich selbst nicht und sie wollte ganz sicher nie, dass sich jemand wegen ihr in Gefahr begab.
Sie spürte das weiche Polster, als man sie mit dem Rücken zum Fenster hinlegte und hörte die Küchentür, als Sarah und Rosalia mit einem Tablett voller Essen sowie Tee hereinkamen.
Blinzelnd öffnete sie komplett die Augen und ließ sich bereitwillig beim Aufrichten helfen.

Im Nachhinein ging Ivaine ernsthaft davon aus, Andromeda die Kontrolle während dem Essen überlassen zu haben, anders konnte sie sich die geradezu animalische Fokussierung auf das Essen vor ihr nicht erklären. Sie aß nicht hastig, jedoch ohne Unterbrechung und immer weiter bis der Teller leer war.
"Du hast fast drei Tage nichts mehr gegessen, du solltest jetzt aufhören, sonst wird dir noch schlecht", warnte Rosalia gutmütig, nahm ihr das Tablett und gab ihr stattdessen eine Tasse dampfenden Tees. Zufrieden begann sie zu schlürfen.
Endlich nahm sie die Welt wieder klar wahr, erkannte, dass ihr jemand eine Decke um die Schultern gelegt hatte, wofür sie wirklich dankbar war, das sie immer noch nur ihre Unterwäsche trug.
Dazu war das Haus viel leerer als noch nach ihrem Aufwachen. Bloß Sarah, Rosalia und Rafael waren da.
Ivaine blinzelte überrascht, als sie das realisierte. Rafael war auch hier. Er musste sie hergetragen haben und er musste auch derjenige mit der unterdrückten Wut sein. Zweiteres war leicht an seinen Augen zu erkennen. Obwohl sie noch nicht grün glühten war die Wärme in ihnen verschwunden und das braun war soweit verblasst, dass man sie grün nennen konnte. Grün und aufgewühlt.
Außer seiner Augen verriet aber nichts an ihm seine Gefühle. Regellos saß er in einen Sessel, die Beine überschlagen, den Rücken nach hinten gelehnt. Regellos und stumm blickte er Ivaine an, vermutlich unentschlossen wie er hierauf reagieren sollte.
Ivaine schluckte ihren Schluck Kamillentee hinunter und strich sich verlegen die Haare aus dem Gesicht. "Das hier tut mir leid, aber ihr wisst, dass ich keine Ahnung hatte und als er schon neben mir war... Da konnte ich überhaupt nicht mehr handeln"
"Du bist noch ein Welpe, meine Liebe, du musst sobald wie möglich lernen mit Andromeda zusammen zu arbeiten in solchen Momenten", antwortete Rosalia ruhig.
"Ich wollte doch!", Ivaine blickte über die Schulter verzweifelt zu Rosalia hin, "Aber sie hat nicht reagiert! Ich habe sie gerufen und alles, aber sie hat nicht mit mir gesprochen und sogar meine Ohren und meine Nase waren wieder auf dem Niveau eines normalen Menschen, ich weiß auch ni-"
"Als Luke in deiner Nähe war?", fiel Rafael ihr ins Wort. Alarmiert lehnte er sich jetzt nach vorne, "hat der Verlust von alldem mit Luke zutun gehabt?" Rafael klang panisch und Ivaine zuckte bei seinem Tonfall unwillkürlich zurück.
"Du erschreckst sie Rafael, beru-" "Ach und mir hat sie nette Träume bereitet oder worauf willst du hinaus? Sie hat gesehen was ihr Angst zu machen braucht, wenn sie noch immer den Schwanz einzieht wenn einer energischer wird hätte sie hier nichts zu suchen!"
Sarah, die Ivaine zu verteidigt versucht hatte, sah so aus als wollte sie widersprechen, da legte ihr Rosalia beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, um sie zurück zu halten.
"Ja", sagte Ivaine schnell, weil sie nicht wollte, dass auch diese Situation eskalierte, "ja, ich glaube schon, dass es mit Luke zu tun hatte. Als er losgerannt ist und sich so nicht mehr auf mich konzentrieren konnte, kam schon mal mein Geruchssinn zurück.
Was hat das zu bedeuten Rafael? Wer ist Luke überhaupt?", fügte sie sofort hinzu, als Rafael den Blick nachdenklich abwandte. Stille breitete sich im Raum aus, Sarah seufzte und blickte unschlüssig zu Rosalia. "Zeigen wir ihr morgen schon die Frauen?"
"Ja, ich glaube das wäre angebracht, jetzt sollte sie sich vielleicht einfach ausruhen"
Ivaine wollte nicht ins Bett geschickt werden ohne Erklärung und sie setzte bereits zu einem energischen Widerspruch an, da ergriff schon Rafael das Wort. "Sie wird sich ausruhen, bald, aber dafür braucht sie eure Hilfe nicht mehr, ihr könnt nach Hause gehen. Jetzt." Fügte er mit Nachdruck hinzu, als er Rosalias und Sarah unsichere Blicke bemerkte.
Ergebend nickten sie und zu Ivaines Überraschung umarmten beide sie einmal kurz.
„Wir holen dich morgen gegen zehn Uhr ab, zieh dich hübsch an", rief ihr Sarah noch zum Abschied zu.
Dann waren sie allein. Ivaine war sich peinlich bewusst, dass sie nur eine Decke wirklich verdeckte und Rafael sprach nicht weiter. Sollte sie selbst nach oben? Sie war erschöpft, glaubte aber nicht, dass sie so früh schon schlafen konnte.
"Wenn ihr mir nichts sagt, kann ich nicht-"
"Ich weiß", knurrte Rafael sofort. Ivaine verkniff es sich, sich darüber zu beschweren, dass er sie erneut unterbrochen hatte.
"Die Sache mit Luke... Die hätte ich dir erzählt, bald, ich wollte dir nur noch keine Angst machen"
"Das ist irgendwie nicht ganz aufgegangen."
Rafael schnaubte verächtlich. "Merke ich auch langsam"

"Luke ist mein Bruder", begann er schließlich, deutlich ruhiger, "Mein Halbruder zwar, aber er ist älter und wir haben denselben Alpha zum Vater, deswegen wollte er eigentlich das Rudel reagieren. Keiner wollte das jemals so richtig, weil ein Alpha eine Luna zur Mutter haben soll. Er wäre nur in Frage gekommen, wenn ich irgendwie aus dem Rennen wäre.
Nun, gut 12 Jahre meines Lebens habe ich ihn so ziemlich als normalen, etwas egozentrischen großen Bruder gesehen, da hat er versucht mich tatsächlich aus dem Rennen zu schaffen.
Vater hat ihn direkt zum Vogelfreien ernannt, damit aus dem Rudel geworfen und versprochen ihn töten zu lassen, falls er dem Rudel wieder zu nah käme.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er ihn gleich getötet hätte" Ein grüner Blitz leuchtete in Rafaels Augen auf. Kurz aber intensiv und Ivaine erkannte, wie wütend er noch sein musste und zwar nicht auf sie, wie zuerst gedacht, sondern auf Luke und seinen Vater.
"Das hält ihn jetzt allerdings nicht davon ab sich neue Wege zu suchen. Er will dich markieren, damit du nicht an meiner Seite die Luna sein kannst. Das Rudel wäre gezwungen auf ihn als Alpha zurück zu greifen, damit du trotzdem dein Amt eintreten kannst. Es hat noch nie ein Paar regiert, welches nicht auch seelenverwandt war, aber glaub mir, es gab schon schlimme Szenerien gegeben, wenn sie Gefährten waren, die Skrupellosigkeit ohne wenigstens diesen Hauch von Bindung möchtest du dir nicht antun.
Du musst vorsichtig sein, wirklich vorsichtig. Du warst mitten im Wald auf unserem Territorium. Wenn er unbemerkt dahin kam... Wer weiß wo er noch hinkommt"
Ivaine glaubte ihn zum großen Teil. Alles konnte wirklich so sein, wie er sagte, aber seine Schlussfolgerungen klangen so wage.
Er war also um sie besorgt? Sie sollte dieses Amt nicht mit jemanden anderem als ihn antreten, weil es schlimm für sie wäre? War das nicht ungeheuer praktisch, wenn man die Macht unbedingt haben wollte?
Ivaine dachte an Lukes Worte zurück, dass Rafael sie nur benutze um die Macht zu ergreifen. Natürlich hatte Luke auch nichts anderes vor, doch das änderte nichts daran, dass Rafael alles so formulierte, als ging es um sie und nicht um seinen Wunsch nach Macht.
"Hat Luke mich also nicht angelogen? Die Sache mit dem Gefährten...", sie beschloss das Thema nicht anzusprechen, sie wollte erstmal abwarten und etwas mehr beobachten.
"Du bist meine Gefährten, in der Hinsicht hat er die Wahrheit gesagt. Ich vermute ehe, dass er generell nicht gelogen hat, Luke war nie besonders feinfühlig, aber dafür ziemlich sensationsgierig. Er wollte dich wohl nochmal mit der Wahrheit schocken oder so" Rafael zuckte mit den Schultern, während er aufstand und seine Teetasse in die Küche bringen wollte. Den Tee hatte er nicht angerührt.
"Außerdem glaubte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, egal was du weißt. Ab jetzt wird er aber vorher keine Zeit verlieren", ein warnender Unterton schwang in Rafaels Stimme mit, ehe er die Küche betrat.
Auch Ivaine erhob sich, die Decke schlang sie fest um sich, während sie langsam auf die Treppe zu tappte.

Beim Anblick ihre Füße beschloss sie noch kurz duschen zu gehen. Sie waren noch vom Waldboden komplett verdreckt. "Ich gehe nicht mehr in den Wald und wenn bleibe ich in eurer Nähe...", versprach sich hinter einem Vorhang aus Haaren
"Für jetzt ist das ein sehr weißes Vorhaben, Ivaine, aber es wird nicht reichen. Bis... Bis sein Vorhaben sinnlos wird" Rafael schritt wieder aus der Küche und Ivaine blickte verlegen auf den Boden, als sie realisierte, wovon Rafael sprach. Er musste sie markieren, damit Luke aufgibt
Rafael unterbrach sich sobald er ihre Verlegenheit bemerkte "Ich habe dich entführen lassen, aber nur wegen ihn Ivaine. Der eigentliche Plan war dir alles zu erklären, gegebenenfalls einfach auf deine Verwandlung zu warten. Doch dann war plötzlich Luke da und kam dir offensichtlich immer näher... Ich konnte nichts riskieren, das heißt aber nicht, dass ich dich... Dich zu etwas zwingen werde.
Diese ganze Seelenverwandtschaftsscheiße endet sowieso nur selten in einem Happy End, es muss nicht auch noch scheiße anfangen", die Verbitterung in Rafaels Stimme überraschte sie ein wenig. Natürlich hatte sie schon bemerkt, dass diese Verbindung weniger romantisch war, als sie in all den Filmen wirkte, Rafael wollte sie nicht dringend berühren, er warf ihr keine verliebten Blicke zu oder fasste sie mit Samthandschuhen an.
Was Ivaine jedoch immer wieder hinbekommen hatte, war es starke Gefühle in Rafael auszulösen, wenn auch meistens Wut. Glaubte Rafael deswegen, dass sie niemals glücklich zusammen werden würden?
So viel Pessimismus stimmte sogar Ivaine traurig. Sie konnte sich nicht unbedingt vorstellen Rafael zu lieben, aber sie realisierte, dass sie es hasste ihn so entschlossen hoffnungslos zu sehen.
Ihre Füße tapsten Ohrenbetäubend laut, als sie Rafael den Rücken zu drehte und eilig die Treppe hinauf lief.

Lichter am hellen HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt