9.

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Die Rückfahrt verlief nahezu identisch zu der Hinfahrt. Er sah gerade aus, ebenso wie ich. Der Nachrichtensender lief, es wurde von einem Unfall erzählt, ausgelöst von ein paar ausgebüchsten Kühen, aber ich hörte nicht wirklich zu. Mein Blick  flog über die Einfamilienhäuser, an denen wir vorbei fuhren. In meinen Gedanken herrschte ein riesen Chaos, auf der einen Seite sah ich Ivar, wie er liebevoll auf mich Acht gab und mir Sicherheit schenkte, als ich kurz davor war zu gehen und dann kam auf einmal die Szene, in der er mich an meinen Haaren zu sich hoch zog. Natürlich war mir bewusst, dass zu dieser Art von Beziehung auch Schmerzen gehörten, aber das war es nicht, was mich beunruhigte. Es waren seine Augen. Sein Blick war eiskalt, als er auf mich herabsah, erbarmungslos.
"Du hast zwei Seiten", unterbrach ich die Stille zwischen uns. Wir waren fast bei mir zuhause angekommen und ich wusste, dass meine Zeit begrenzt war. Ivar sah kurz zu mir herüber, dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße: "Ja, ich kann mit dir zusammen auf der Couch sitzen und dich in meinem Arm halten und im nächsten Moment eiskalt bestrafen ohne mit der Wimper zu zucken." "Habe ich gemerkt", murmelte ich und dachte zurück an meine erste Bestrafung, die wohl noch sehr harmlos war, "ein einfaches Nein hätte auch gereicht." "Ja hätte es", gab er mir recht, "aber es ist nur fair, dass du mich kennst, bevor du einen Vertrag unterschreibst, der dein Leben verändern kann. Das heute war noch gar nichts." "Was für ein Glück ich doch habe", mein Sarkasmus war kaum zu überhören. Ich sah kurz zu Ivar. Er schüttelte lachend den Kopf und stoppte dann den Wagen. "Da wären wir", meinte er dann und richtete seinen Blick auf mich, "ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen." "Hoffe ich auch", murmelte ich, unwissend darüber, was ich wollte. "Schau mal ins Handschuhfach", wies er mich an. Mit einem unguten Gefühl in meiner Magengegend öffnete ich das kleine Fach und holte einen rosa farbenden Karton heraus. "Mach ihn erst auf, wenn du dich entschieden hast." Ich nickte überfordert. Dann stieg ich aus und drehte mich nochmal zu ihm um, bevor ich die Autotür schloss. Ivar zwinkerte mir noch einmal aufmunternd zu, dann fuhr er los und ließ mich komplett überrumpelt von meinen Gedanken zurück. Noch einige Minuten stand ich einfach stumm da und starrte in die Richtung, in welche er weggefahren war.
"Was machst du nur mit mir?", flüsterte ich leise und fuhr mir mit meinem Zeigefinger über meine Lippen, die sich bereits nach den seinen sehnten. Das laute Krachen des Donners brachte mich wieder zurück in das hier und jetzt. Erschrocken zuckte ich zusammen, presste den Vertrag noch stärker an mich. Ich sah nach oben. Der Himmel, der bis vor wenigen Minuten noch strahlend blau war, wirkte nun sehr bedrohlich in seinem schwarzen Kleid. Ein weiterer Blitz jagte durch ihn, erleuchtete die Straßen für den Hauch einer Sekunde, dann fing es an zu regnen. Innerhalb nur weniger Augenblicke waren die Straßen um mich herum mit Pfützen übersät. Es tropfte von den Dächern. Das Prasseln des Regens war so laut, dass ich nicht einmal meine eigenen gehetzten Schritte hören konnte, als ich schnell zu dem Mehrfamilienhaus rannte, indem ich mit meiner besten Freundin Mary lebte. Meine Haare waren nass, als ich die Tür aufschloss. So leise wie möglich öffnete ich die Tür. Meine Gedanken waren total durcheinander, so wollte ich mich nicht den neugierigen Fragen meiner besten Freundin stellen. Ganz langsam zog ich mir meine Schuhe aus, meine Socken waren klitschnass und hinterließen kleine Spuren auf dem hellen Parkett. Meine durchgeweichte Jacke schaffte ich schnell in das Badezimmer und hängte sie über die Badewanne an einen Haken, sodass sie in Ruhe abtropfen und trocknen konnte. "Olivia?", hörte ich dann plötzlich Mary rufen gerade, als ich vor meiner Zimmertür stand und meine Hand schon auf der Klinke hatte. Ertappt kniff ich meine Augen zusammen und verharrte in meiner Position. "Ich bin hier", gab ich mich dann zu erkennen und ließ meine Hand von der Klinke sinken. Sofort ertönten eilige Schritte zu mir. Ich drehte mich in Richtung Wohnzimmer, wo Mary herkam. Sie trug ihre hellgrüne Jogginhose, kombiniert mit einem weiten schwarzen Pullover. Ihre schwarzen Haare waren zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden. "Da bist du ja!", vorwurfsvoll sah sie mich an. Ihre Arme verschränkte sie vor der Brust. "Was ist denn los?", verwirrt legte ich meinen Kopf schief. Stirnrunzelnd legte ich den Vertrag auf eine Kommode, um Mary meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. "Dein Sicherheitsplan", dramatisch malte sie  zwei Anführungszeichen in die Luft, "kann nur dann funktionieren, wenn du dich auch daran hältst. Von wegen du meldest dich." "Oh." Nun fiel es mir wieder ein, ich wollte mich immer nach einem bestimmten Zeitpunkt bei ihr melden, sodass sie sich um mich keine Sorgen machen musste und ihm Extremfall sofort die Polizei verständigen konnte. Ein Glück, dass sie letzteres nicht getan hatte, obwohl ich mich seit dem Anruf in dem kleinen Cafe nicht mehr bei ihr meldete.
"Das habe ich total vergessen...", gab ich dann peinlich berührt zu. Wir hatten alle Hände voll zu tun hätte es besser umschrieben, aber so viele Informationen wollte ich ihr dann doch nicht geben. "Ich hoffe wenigstens, dass der Typ kein Reinfall war", murrte Mary dann nur und sah dann auf das gelblich gefärbte Papier auf der mit unseren Bildern bestückten Kommode, "was ist das?" Ich erkannte sofort den skeptischen Unterton in ihrer Stimme. "Nur ein bisschen Papierkram", versuchte ich mich aus der  Affäre zu retten, da Mary nichts von meinen heimlichen Neigungen zu dominanten Männern wusste, doch natürlich ließ sie sich davon nicht beeindrucken. "Dein Date gibt dir Papierkram mit?", hinterfragte sie noch einmal mit hochgezogener Augenbraue. Mary war nicht dumm, sie konnte sich ihren Teil denken. "Ja", bestätigte ich sie nur und griff nach dem Vertrag, bevor sie ihn weiter inspizieren konnte. "Okay", meinte sie dann nur, noch nicht wirklich überzeugt, "denkst du denn er ist der Richtige?" "Ich hoffe es."

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