1- Alles beginnt (immer) mit einer Leiche

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          Nichts verschönert den tristen Anblick eines Waldes so sehr wie eine gut gekleidete Leiche. So, oder ein so ähnlicher Gedanke musste dem Jäger durch den Kopf gegangen sein, als er sich zu dem Körper der jungen Frau niederbeugte. Es war wahrlich nicht seine erste Leiche. Meistens waren es Fremde. Flüchtige aus den Pessel-Mienen, die einen Weg nach unten suchten und nicht wussten, welche dieser Beeren giftig waren. Schmuggler, die die Kraft der Clevishen Sonne unterschätzten. Und hin und wieder- alle sieben oder acht Jahre, wenn die Konstellation stimmte- einen Springer. Kaum mehr als ein widerlicher, roter Krater. 

Sie alle warteten zwischen den hohen Tannen auf ihn. Friedlich und bewegungslos.
Auf Letzteres legte er besonders wert. Das wurde ihm allerdings erst bewusst, als der Körper der jungen Frau auf seine Berührung hin empfindlich zusammenzuckte.

Sie lag auf dem Bauch, die Arme ausgebreitet, als wäre sie gefallen und nicht mehr aufgestanden. Ihre rötlich-braunen Haare hatten sich zur Hälfte aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst und allerlei Blätter aufgesammelt. Vielleicht als sie durch den Wald gerannt war. Aber wahrscheinlicher war, dass jemand sie hierher geschleift hatte. Ihre Haut war gebräunt und selbst auf den bloßen Armen von Sommersprossen übersät.

Sommersprossen. Kein sündenfreies Lebewesen unter Des Sonne wurde mit Sommersprossen gestraft.
Kritisch starrte er auf ihren schmalen Körper hinunter. Konnte er es wagen ihr die Geldbörse abzunehmen? Wenn er Pech hatte, waren da ohnehin nur fremde Taler drinnen, die in diesem Zirkel nichts brachten.

Und kam sie ihm nicht irgendwie bekannt vor? Soweit einem der Hinterkopf einer Person eben bekannt vorkommen konnte.
Vorsichtshalber bewaffnete er sich mit einem Stock und trat wieder näher an sie heran. Mobile Leichen waren ihm nicht geheuer. Ein Schubsen mit dem Ende drehte ihren Kopf zur Seite und entblößte ein spitzes, dreckverkrustetes Gesicht.

 Unter lautem Fluchen, das die Eichhörnchen beschämte, ließ er den Stock wieder fallen und stolperte zurück, bis er sich den Kopf an einem tief hängenden Ast anschlug. Jeder Springer wäre ihm in diesem Moment lieber gewesen. Bei der Unendlichkeit der Wiedergeburten, ihm wäre sogar keine Leiche lieber gewesen.

An Tagen wie solchen wünschte er sich, näher am Rand zu wohnen. Menschen verschwanden vom Rand der Inseln, egal ob man eine Mauer drum herum zog oder nicht. Ein Stoß und es gab keine Leiche mehr. Auf dem Festland war sie kaum mehr, als ein feuchter Fleck, aus dem Himmel gefallen. Aber Clevem war groß und der Rand zu weit entfernt. Er fluchte noch einmal. 

Einige Stunden später preschte eine Kolonne aus zwölf Pferden zwischen den Bäumen hindurch. Zu zweit galoppierten sie nebeneinander her, während die silbrigen Rüstungen ihrer Reiter die Strahlen der mittäglichen Sonne reflektierten.

Es sollte einer der letzten warmen Tage werden, aber keinen der Männer interessierte das Wetter. Nicht einmal den Jüngsten unter ihnen, für den es unbegreiflich blieb, weswegen eine Leiche im Wald so interessant sein solle. Oder warum sie nicht bis nach dem Mittagessen mit ihrem Ausritt hatten warten können. Der Lärm, den die Soldaten machten, scheuchte sogar die Tiere aus ihren Verstecken und hätten auch die junge Dame in ihrem Bett aus Moos wecken sollen. Tat sie aber nicht. Auch nicht als die ersten Ritter auf der Lichtung ihre Reittiere zügelten.

Der Erste unter ihnen war ein Mann mittleren Alters, der aufgrund anhaltender Kopfschmerzen auf einen Helm verzichtet hatte. Eine große Sünde in den Augen Des, die mindestens vier Sommersprossen wert war.
Mit behandschuhten Händen schob er sein Kopftuch zurück und entblößte kurz geschorene braune Haare, sowie ein freundliches, weiches Gesicht.
Als er das Mädchen auf dem Waldboden sah, war er sich sicher, dass seine Kopfschmerzen erst wirklich begonnen hatten. Und dieses eine Mal sollte er Recht behalten.

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt