4 - Mona

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Donnerstag

Der neue Junge sieht super aus. Braune, volle und gelockte Haare. Vorhin als er in den Raum gekommen ist, hat mir als erstes der Atem gestockt. Sein Haltung war desinteressiert und doch selbstbewusst. Als er sich mit Johannes irgendetwas vorstellt, konnte ich nicht auf den Inhalt seiner Worte achten, sondern nur dieser wundervollen Stimme lauschen. Und dann setzte Herr Larsen ihn ausgerechnet neben Henriette. Oberzicke des Jahrgangs und so stark geschminkt, dass der Puder gefühlt bei jeder Bewegung in alle Richtungen fliegt. Dann hat Tim mich angestupst und ich bin aus diesem kurzen "Rausch" rausgekommen. Schon beeindruckend, wenn jemand eine solche Wirkung auf Menschen hat. Der Junge sieht ja schon atemberaubend aus, ist aber leider nicht so mein Typ. Eher der von Lena. Sie steht auf die Braunhaarigen und ich eher auf die Blonden. Das ist auch gut so, denn dann kommt man einander als beste Freundinnen nicht in die Quere. Ich stehe eher auf Typen, die so ähnlich aussehen wie Tim. Mein bester Freund. Natürlich stehe ich nicht auf ihn, aber sein Aussehen ist so das wonach ich Ausschau halte. In dem Moment lehnt sich Tim zu mir rüber und flüstert:

"Der wäre doch jemand für Lena. Er würde so gut passen." Ja, Tim hat schon recht. Optisch wären die beiden zusammen ein Dreamteam. Deshalb antworte ich: "Wäre wirklich voll süß." Kurz schaue ich mich um, obwohl ich eigentlich weiß, dass es niemanden aus der Klasse interessiert, worüber ich mit Tim oder wenn sie gerade da wäre auch mit Lena spreche.

"Wo ist Lena eigentlich gerade?"

"Frau Lidrut wollte noch mit ihr sprechen - wegen gestern." Sofort muss ich ein lautes Lachen unterdrücken, aber es gelingt anscheinend nicht so ganz, denn Herr Larsen schaut mich böse an. Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu, der eine Entschuldigung für die letzten zwei Jahre sein könnte, denn seit da habe ich weder in Biologie noch in Deutsch aufgepasst. Ich weiß noch nicht mal, was das Thema der heutigen Stunde ist. Entsprechend wandert mein Blick an die Tafel. Dort steht groß: Das Auge. Hm. Keine Ahnung, was wir dazu können müssen. Ich habe nur mal so Worte wie Stäbchen und Zäpfchen aufgeschnappt, wobei ich mir dabei noch nicht mal so sicher bin. Später muss ich unbedingt Lena fragen, was es damit auf sich hat. Ich schreibe noch die Überschrift von der Tafel ab und hinterlege sie mit einem Schatten, sodass es wirkt, als würde die Schrift schweben. Meine Gedanken wandern nach Hause. Wahrscheinlich kommt Papa heute mal wieder nach Hause, denn Mama war schon heute morgen richtig übel gelaunt. So geht das nun schon seit Wochen. Immer wenn Papa von einer seiner Unternehmensreisen zurückkommt, beginnt der Streit zwischen den beiden und endet auch nicht, wenn er wieder fliegt. Es ist anstrengend und ich will irgendwie schon gar nicht mehr nach Hause, da dort nur schlechte Luft auf mich wartet. Lena und Tim habe ich noch nichts von der Situation erzählt. Irgendwie ist es mir auch peinlich, denn beide verstehen sich perfekt mit ihren Eltern und der Familie insgesamt. Lotta ist halt schon vor einem Jahr ausgezogen und studiert  jetzt in England Jura. Von ihr habe ich gefühlt seit Ewigkeiten nichts mehr gehört. Wir schreiben nur selten, da sie anscheinend immer so viel fürs Studium zu tun hat. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob sie überhaupt weiß, was zu Hause vor sich geht und auch nicht, ob es sie interessiert.

Die Tür zum Raum wird geöffnet und Lena rutscht neben Tim auf den freien Platz. Sofort komme ich aus meinen miesen Gedanken zurück in den Klassenraum. Ich muss anfangen zu lachen und Lena schaut mich böse an. Da muss auch Tim lachen und Lena keift: "Nein, das war überhaupt nicht so lustig." - ich kann nur den Kopf vor Lachen schütteln. Lena ist so wie so die Lieblingsschülerin von Frau Lidrut. Da werden die einmal vergessenen Hausaufgaben nichts dran ändern - "Hey. Mona. Tim. Hört mir zu." - sie scheint wirklich ganz schön angepisst zu sein, aber es war ja total selbst verschuldet. Sie hätte uns nicht die Handtücher direkt nach dem Schwimmen wegnehmen und dann verschwinden müssen. Den nächsten Teil von dem was sie sagt kann ich durch das Lachen von Tim und mir nicht verstehen. Herr Larsen schaut und noch mal böse an, aber auch das kann mein Lachen nicht dämpfen. Ich schaue Tim an und wir meine beide gleichzeitig: "Doch, war schon witzig." "Leute, ihr bekommt das doppelt und dreifach so was von zurück. Das kann ich euch versprechen." Doch jetzt muss auch Lena grinsen. Mir vergeht das Lachen und ich starre sie an. Sie starrt zurück. Herausfordernd. Das kann nicht sein! Meint sie das gerade ernst? Fordert sie mich dazu heraus, wer bessere Streiche dem Anderen spielen kann? Dann muss ich mir ja noch was ausdenken. Das Gute ist: wir verstehen einander auch ohne Worte, sodass Lena nur noch fragt: "Wollen wir?" Und ich kann nur stumm nicken. Meine sonst so strebsame Lena meint es also wirklich ernst damit. Wow. Das muss erst einmal sacken. Nur Tim muss mal wieder fragen: "Was wollt ihr?" Als Lena ihm dann von unserem geschlossenen Pakt erzählt, fordert er auch sofort, mitmachen zu dürfen und wir gestatten es ihm natürlich ... nett wie wir sind.

Am Ende der Stunde weiß ich immer noch nicht, was wir bisher alles zum Auge durchgenommen haben und was ich für die nächste Klausur wissen sollte, aber ich kann sagen, dass Lena Johannes genau so süß findet wie Tim und ich vermutet haben. Leider schien er den ganzen Unterricht lang überall hinzuschauen, nur nicht zu uns. Ich hätte gerne auch gesehen, ob er vielleicht an ihr interessiert ist. So ist das nun mal als beste Freundin. Da hält man schon mal nach dem richtigen Typen für die Freundin Ausschau und die beiden würden wirklich perfekt zusammen passen, doch er hat ja nahezu angestrengt gewirkt, nicht zu uns zu schauen.

Als wir den Raum verlassen, ist Johannes schon mit Henriette im Schlepptau gegangen. Ist ihm eigentlich bewusst, dass er sie von nun an für immer am Hals kleben haben wir? Jemand sollte den armen Jungen warnen! Ich begleite Lena und Tim noch zu den Spinden, da die beiden jetzt noch Philosophie haben. Ich habe frei. Danach verabschiede ich mich von den beiden, wünsche ihnen noch viel Spaß im Unterricht und warte dann an der Haltestelle vor der Schule aus den Bus. Da mich gerade niemand meiner Freunde ablenkt, versinke ich wieder in Gedanken.

Vor ein paar Tagen:

"Warum muss es immer wie auf der Müllhalde aussehen, wenn ich nach Hause komme? Das ist ja nicht zu ertragen!" Das ist eindeutig Papa. Seit gefühlten Stunde schreien er und Mama einander an. Ich habe mich auf meinem Zimmer verkrochen und versuche, den Streit mit lauter Musik zu übertönen. Leider bekomme ich trotzdem jedes Wort mit. "Sei doch einfach öfter zu Hause, dann kannst du ja selbst hier putzen und aufräumen. Ich habe auch nicht den ganzen Tag Zeit!" Mama. Ich verstehe sie ja - sogar beide irgendwie - , aber ich wünsche mir einfach nur, einer würde nachgeben und sie würden aufhören zu schreien und zu streiten. Manchmal ist es jetzt sogar schon so weit, dass ich mir wünsche, Papa würde einfach wieder abreisen, sodass ich das Geschrei nicht ertragen muss. Ich liebe meinen Papa. Wirklich. Aber ich kann auch nicht den ganzen lieben Nachmittag lang einen Streit mit anhören. Ich merke schon, dass sich meine Laune insgesamt verschlechtert und ich nicht mehr so viel und natürlich Lachen kann wie noch vor ein paar Wochen. "Und wie soll ich das bitteschön machen? Kündigen? ... Das kann ja nicht dein Ernst sein, Molli! Weißt du, was passieren würde, wenn ich wirklich meinem Chef sage, dass ich kündige? Wir hätten Probleme, Molli. Wir hätten wirklich große Probleme." Was meint er damit? Warum haben wir Probleme, wenn er keinen Job mehr hätte? Mama arbeitet ja auch. Sie ist Journalistin.

Nach einer kurzen Pause meint Mama: "Es tut mir Leid, dass es so kommen musste, aber ich versuche wirklich mein bestes, um möglichst bald wieder anzufangen, Paul!" "Und wenn das nicht reicht? Was ist dann? Dann sitzen wir im Sand." Das wirft bei mir nur noch mehr Fragen auf. Warum sollte Mama mit irgendetwas neu anfangen? Und wobei würde das dann genau helfen?

Ich fühle mich dumm. Meine Eltern, die seit etwa zwei ein halb Jahren meinen, ich sei alt genug, um für mein Handeln und so was die Konsequenzen zu tragen und dass ich schon erwachsen sei, halten es offensichtlich nicht für nötig, mich einzuweihen in ihr ach so großes Geheimnis, wobei doch klar ist, dass zur Zeit überhaupt nichts in Ordnung ist. Wie ich mir doch wünsche, sie würden mal reinen Tisch vor mir machen, damit ich mich nicht von meiner eigenen Familie ausgeschlossen fühle! Wie ich mir doch wünsche, sie würden nicht immer verstummen, wenn ich den Raum betrete, in dem sie sich gerade lautstark gestritten haben!

Heute:

Der Bus kommt, ich zeige meine Fahrkarte vor und setzte mich auf einen der hintersten Plätze. Dann setze ich mit Kopfhörer auf und drehe die Lautstärke hoch. Schon schallt One Direction aus allen Richtungen und Happily muntert mich - wie schon so oft in letzter Zeit - zumindest ein bisschen auf.

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