7 - Tim

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Freitag Nacht/Morgen

"Hey, Tim! Wach auf. Ich brauche deine Hilfe."

Müde blinzle ich Alex entgegen, der vollständig angezogen vor meinem Bett steht und mir einen kleinen Rucksack entgegen hält. Seine Augen sind vor Angst geweitet und ich bemerke die Flecken auf seiner Kleidung. Alles voller Matsch. Als ich ihm wieder in sein Gesicht schaue, bemerke ich die Kratzer auf seiner Wange und das blaue, angeschwollene Auge. Was ist denn mit dem passiert? Mit einem Blick auf meinen Wecker bemerke ich: es ist 3:47 Uhr. Was will denn Alex um diese Uhrzeit von mir?

"Was ist denn los Alex? Du siehst schrecklich aus. Was ist mit deinem Gesicht passiert?"

"Hey, Bruder. Versteck doch bitte einfach erst einmal diesen Rucksack. Ok? Alles andere geht dich nichts an." Genervt, aber auch flehend schaut er mich an. Was ist denn bloß los mit ihm? Uns was ist in dem Rucksack?

"Was ist denn so wichtiges drin? Du weißt schon, dass ich erst vor drei Stunden nach Hause gekommen bin, oder?" Dabei bemerke ich: mein Schädel dröhnt stark. Au. Wie viel habe ich denn bei Susanne getrunken, dass es mir gerade so schlecht geht? Was habe ich vorhin überhaupt gemacht?

Donnerstag, etwa Mitternacht:

Als ich mit schweren Lidern die Augen öffne, liege ich in einem fremden Bett. Wo bin ich hier? Da fällt es mir wieder ein: Susannes Party. Ich habe getrunken und bin dann auf ein Zimmer getaumelt, in welchem glücklicherweise schon Lena und Mona waren und dann ... keine Ahnung. Wahrscheinlich habe ich dann geschlafen. Was hat mich denn geweckt? Da spüre ich es: jemand tippt mir auf den Rücken.

"Tim? Kann ich mich zu dir legen? Ich will gerade nicht so alleine sein." Das ist Mona. Als ich mich umdrehe, schaue ich in ihre hellblauen Augen, die mich merkwürdigerweise gerade total gefangen nehmen. Sie ist mir viel zu Nahe, als dass ich klar denken kann. "Tim? Wäre das ok?" Ich kann nur nicken und sie holt sich eine Decke vom anderen Bett und, nachdem ich ein Stück zur Seite gerutscht bin, legt sie sich mit dem Kopf zu mir gedreht neben mich. Aus hellblauen, traurig schauenden Augen sah sie mich an. "Danke, Tim." Was ist denn mit ihr? Wieso scheint sie so traurig? Erstaunt blickt sie mich an, beugt sich vor und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, um sich dann an mich zu kuscheln und einzuschlafen. WTF. Was ist da gerade passiert? Sie ist neben Lena meine beste Freundin. Scheiße. Warum hat sie das gemacht?

Ich muss sagen, ich finde sie wirklich süß und habe wirklich auch schon mal so an sie gedacht, als wäre sie nicht nur meine beste Freundin, aber richtig darüber nachgedacht und etwas mehr an Gefühlen zugelassen habe ich nicht, da ich das vertraute Verhältnis von uns als 3er-Clique wirklich mag. Wie soll ich denn jetzt damit umgehen? Ihre Lippen sind so voll und weich. Ich blicke sie an. Sie sieht entspannt aber auch verletzlich im Schlaf aus. Sie beißt leicht auf ihre schönen Lippen und ich überlege wie es wäre, sie richtig zu küssen.

Jetzt:

Scheiße. So welche Gedanken sollte ich gar nicht erst zulassen. Als Alex mir einfach nur weiter den Rucksack hinhält, nehme ich diesen ohne weiteres Hinterfragen entgegen und verstaue ihn unter meinem Bett.

"Danke, Tim. Das ist wirklich ... danke. Könntest du mir noch einen zweiten kleinen Gefallen tun? Bitte?" In den Gedanken immer noch bei Mona, nicke ich leicht und Alex spricht weiter: "Bitte schau einfach nicht in den Rucksack. Ok? ... Ich gehe dann auch mal schlafen. Gute Nacht, Bruderherz."

Ich muss leicht grinsen, obwohl ich immer noch nicht vollständig anwesend bin. Alex ist genau so wie ich von Thomas und Martin - unseren Vätern - adoptiert worden. Wir sind zwar Stiefgeschwister, aber für mich ist er wie ich mir einen echten Bruder vorstellen würde. Wir wurden beide adoptiert als ich vier und er acht Monate alt war. Somit kennen wir uns schon unser ganzes Leben lang. Es behandelt mich auch so wie ich's von einem älteren Bruder erwarten würde. Als kleine Kinder hatten wir im Kindergarten immer total viel Zoff. Als das auch in der Grundschule nicht besser wurde, beschlossen Matin und Thomas, uns zumindest auf verschiedene Gymnasien in Frankfurt zu schicken, damit wir nicht mehr im Konkurrenzkampf stehen. Auf der neuen Schule blieb Alex auch noch direkt in der fünften Klasse sitzen, weil ... keine Ahnung, warum. Den Grund kenne ich nicht, aber seine Noten waren einfach übel und niemand kam an ihn heran und konnte ihm helfen. Ich leider auch nicht. Seit dem verstehen wir uns zwar immer noch super, wenn wir uns mal sehen, was halt aber wirklich selten geschieht. Ich bekomme seit Jahren nahezu gar nichts mehr von ihm mit. Eigentlich schade, wenn ich so länger darüber nachdenke. Aber wahrscheinlcih ist das unter Geschwistern einfach so.

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