Mein Kopf ist vollkommen leer, als ich am nächsten Morgen aufwache und in das grelle Licht starre.
Verdammt, Amelie, was sollte das gestern?
Bei dem Gedanken an den Kuss schmilzt mein Herz erneut zusammen, verkrampft sich jedoch und rennt ängstlich in die nächste Ecke.
Stöhnend ziehe ich die Decke über den Kopf, als gerade Evelyn frisch geduscht den Raum betritt.
»Du warst doch sonst nie die Letzte im Bett? Ist etwas passiert?«, fragt sie besorgt und setzt sich an meine Bettkante.
Wie kann sie immer noch für andere da sein, obwohl sie selbst leidet?...
»Ich...Ich habe mich gestern mit Danny geküsst«, murmle ich und setze mich zögernd auf, während meine Hände meinen schweren Kopf stützen.
»Was?? Wirklich? Aber das ist doch super!«, lächelt Evelyn, doch bemerkt sofort, dass nicht nur das passiert ist.
»Amelie? Sage nicht...«
Sie bricht ab und als ich nicht antworte, steht sie ruckartig auf und starrt auf mich herab.
»Amelie! Wie konntest du nur Danny alleine lassen danach! Er ist ein netter junger Mann und Rafe hat mir erzählt, dass er es nicht leicht hat, sich jemanden zu öffnen. Seine Kindheit hatte einige Haken und du tust ihm so etwas an?«Meine Neugierde steigt sofort, als Evelyn dies erzählt, doch zuerst will ich meine Sicht erklären.
»Evelyn, ich habe einen fast fünf Jahre alten Sohn und bin verheiratet mit-«
»Du liebst Harry nicht!«, unterbricht sie mich hysterisch und funkelt auf mich hinab.
»Amelie, du hast verdient, mit jemanden zusammen zu sein, den du liebst und der dich richtig behandelt. Ich merke doch, wie offen du eigentlich bist, aber Harry dich wie einen Vogel in einen Käfig sperrt. Als ihr geheiratet habt, da warst du 16! Sechzehn! Und nun bist du eine erwachsene Frau und kannst selbst für dich entscheiden. Trenne dich von Harry, damit du endlich leben kannst.«Evelyn wirkt erschöpft.
Erschöpft von diesem Vortrag hier, von den Schichten im Lazarett, aber vor allem wirkt sie erschöpft wegen den Gedanken um Rafe.
...und genau in diesem Zeitpunkt legt sich der Schalter in meinem Kopf um.Sie hat Recht. Nick braucht keinen Vater, oder besser gesagt nicht so jemanden wie Harry.
Mein Sohn braucht nur seine Mutter. Mich.Mit einem besseren Selbstwertgefühl erhebe ich mich, sodass das seidige Nachthemd auf den Boden fällt und sehe von dem Tageslicht zu Evelyn.
»Ich muss zu Danny.«, bringe ich nur heraus und schnappe mir flink etwas zum Anziehen.Mein Herz klopft mir wild in der Brust, wenn ich daran denke, welche Möglichkeiten ich ohne Harry an meiner Seite habe.
Bevor ich aus dem Haus stürme, drücke ich Evelyn ganz fest an mich.
»Danke, du bist die Beste!«
Ihre Lippen verziehen sich endlich Mal wieder zu einem echten Lächeln, während ich zur Tür laufe und mich auf den Weg zum Flugplatz mache.Bitte Danny... Sei dort...
×××
Als ich über den riesigen Platz laufe, sehen mich einzelne Männer schräg an, doch machen sich dann wieder an ihre Arbeit.
»Hey, das ist doch Dannys Mädchen.«, höre ich jemanden neben mir sagen und drehe den Kopf zu den beiden Typen.
»Wo ist Danny?«, frage ich hektisch, wobei ich sie flehend ansehe.
Ihre Mundwinkel gehen dreckig grinsend in die Höhe.
»Der hat dich ja ganz schön um den Finger gewickelt, Süße.«, lacht der Eine, bis der Nächste einstimmt.
Und hier Ladies und Gentlemans haben wir die Arschlöcher.Seufzend drehe ich mich von ihnen weg und laufe zu der großen Halle, wobei mir der rothaarige Schopf bekannt vorkommt.
»Red!«
Erschrocken zuckt er zusammen und runzelt die Stirn als er mich sieht.
»Amelie? Was machst-t du denn hier?«
»Wo ist Danny?«, rufe ich.
»Mit Gooz zu so einem Boxkampf auf der West Virginia, glaube ich.«, brummt er, weswegen meine Schultern langsam nach unten sacken.
»Okay. Danke, Red!«Nach diesen Worten drehe ich mich um und laufe wieder über den Platz.
Erst jetzt fallen mir die ganzen Flugzeuge wirklich auf, weswegen ich kurzzeitig stehen bleibe und sie anstarre.
Mit so etwas fliegt Danny also...
...und mit so etwas will die USA in den Krieg ziehen...Schnell verbanne ich diese Gedanken aus meinem Kopf und will gerade meinen Rückweg antreten, als ein dunkler Wagen vor mir hält.
»Amelie!«
Von dem Beifahrersitz aus springt Danny aus dem Wagen und kommt auf mich zu gejoggt.
Sein Blick wandert über den Platz, bevor seine Augen wieder auf mir landen.
»Was machst du denn hier?«, murmelt er, wobei mir dieser leere Blick in seinen Pupillen auffällt.
Alles meine Schuld...Meine Gefühle überfluten meinen Körper, als ich sein Gesicht in beide Hände nehme und ihn zu mir herunterziehe.
In den ersten Sekunden ist er so perplex, dass er sich nicht bewegen kann, doch schließlich landen seine Hände wieder an meinem Rücken, während Danny uns noch enger aneinanderschiebt.
Im Hintergrund höre ich seine Freunde pfeifen und klatschen.Schweratmend, aber mit einem Lächeln, lösen wir uns und sofort wirkt Danny wieder hellwach.
Sein Brustkorb hebt sich so stark, dass es aussieht, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen.Bevor seine Lippen sich zum Reden öffnen können, greife ich nach seiner Hand und ziehe ihn mit.
In dem kleinen Café halten wir und setzen uns in die kleine Nische.
»Was?«, bringt Danny nur hervor und sieht mir fest in die Augen.
Meine Mutter hat mir immer beigebracht, dass die Wahrheit der beste Weg ist.
»Danny... Was ich dir jetzt sagen werde, ist nicht leicht, aber bitte, du musst mich verstehen.«Seine Augen sind starr auf mich gerichtet, während er kräftig schluckt, doch schließlich nickt.
Aus meiner Tasche hole ich ein kleines Foto von Nick heraus, sehe es ein paar Sekunden an, bevor ich es vor Danny lege.
Seine Augen wandern von dem Bild zu mir und wieder zu meinem Sohn.
»Ist das dein kleiner Bruder?«
Fast hätte ich über diese Aussage gelacht. Fast.
»Nein, Danny, Nick ist mein Sohn.«
Sofort erkenne ich, wie sich etwas in seinem Kopf ändert.Eine undurchdringbare Hülle bildet sich um den Körper des jungen Mannes, während er mit starren Augen zu mir sieht.
»Wie? Der Kuss?«, stammelt er und wirkt wie ein kleines Kind, welches seine Eltern nicht mehr finden kann.
»Als ich 16 war, hat mein Vater mich mit dem reichsten Mann der Stadt verheiratet, da wir in finanziellen Schwierigkeiten waren, vermute ich zumindest. All die Jahre musste ich wie seine Sklavin in seinem Schatten stehen und wurde auch so behandelt.«Zögernd zeige ich meine Handgelenke, welche nicht mehr die starke bläuliche Farbe besitzen, sich jedoch in rote Male verwandelt haben.
Danny neben mir hält die Luft an, als ich wieder zu ihm aufsehe.»Doch dann habe ich endlich die Chance bekommen, von ihm wegzukommen und habe dabei dich getroffen, Danny. Als ich dich das erste Mal sah, war mein ganzer Körper nach dir sehnsüchtig und der Kuss gestern Abend war das schönste Gefühl auf Erden, nur hat mich die ganze Angst wieder eingeholt... Doch heute Morgen ist mir etwas klar geworden. Ich mag dich, Danny.«
Den letzten Satz flüstere ich nur, in der Angst (so absurd es auch klingt) Harry könnte es hören.Dannys Lippen öffnen und schließen sich wieder, als er meinen Blick einfach nur erwidert und keine Worte findet.
»Es tut mir so leid, aber die Sehnsucht in mir war größer als alles andere, was ich je verspürt habe...«, hauche ich und unterdrücke die Tränen, die in mir aufquellen.
»Amelie, ich... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«, erwidert er ruhig.Mein Herz bekommt einen Riss, als ich diesen Blick sehe und langsam stehe ich auf.
»Es...Es ist okay, wenn du Zeit brauchst, ich ich gehe.«, stammle ich und stoße die Café Tür auf, bevor ich mit schnellen Schritten und brennenden Augen die Straße entlanglaufe.
Verdammt.
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SEHNSUCHT ▹ 𝘥𝘢𝘯𝘯𝘺 𝘸𝘢𝘭𝘬𝘦𝘳
Fanfic"chemistry between people is the strangest science of all." credit; thelakeisfullofblood © 2020