Pyr lief einen der verschneiten Wege, welcher durch ihr kleines Dorf verlief, entlang. Den Weg, welcher zur Dorfältesten führte. Zu Kezia. Gideon war vorhin zu ihrem Posten an der Brücke gekommen und hatte gesagt, sie wolle gerne mit ihr sprechen. Um die alte Dame nicht warten zu lassen, war sie sofort nach ihrer Schicht zu ihr gegangen. Pyr passierte einige der wenigen Holzhütten, einzelne von ihnen ganz, andere schwer von den Angriffen getroffen. Es schmerzte in ihrem Herz an die Opfer des letzten Mals zu denken, sie kannte sie alle. Sie kannte alle die hier lebten.
Kezias Hütte umgab ein alter Holzzaun. Als Pyr das Tor öffnete, welches ein leises quietschen von sich gab, betrat sie den kleinen Vorgarten der Ältesten. Im Sommer wuchsen hier überall die verschiedensten Kräuter, doch der Schnee bedeckte diese nun. Pyr ging einen schmalen Weg zur Tür entlang, wobei ihr Schwert in der Scheide an ihr Bein schlug. Sie klopfte, ihre eisigen Finger bei schmerzten bei der Berührung mit dem dunklen Holze der Tür leicht, und musste nur einige Sekunden warten, bis Kezia ihr diese öffnete. »Du bist ja voller Schnee Liebes«, war das Erste was Kezia sagte, als sie Pyr erblickte. «Tritt deine Schuhe ab und komm schnell rein. Ich habe gerade Tee gekocht. Du musst durchgefroren sein.« Pyr trat mit ihren Stiefeln auf den Boden, um diese vom Schnee zu befreien, bevor sie in die Hütte trat. Kezia bog gerade in ihre Küche ab, man konnte noch ihr langes, weißes Haar sehen, welches hinter ihr her wehte. Nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen und an den Rand gestellt hatte, folgte Pyr ihr in die Küche. Kezia stellte zwei Tassen mit frischem Ingwertee auf den Tisch und setzte sich. Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber, weshalb Pyr ihr Schwert ablegte und Platz nahm. Lächelnd betrachtete die Älteste sie und nahm einen Schluck von ihrem Tee. Pyr legte beide Hände um die Tasse und seufzte leise auf, als sie die Wärme an ihren Fingern spürte. »Du fragst dich bestimmt, wieso ich dich hierherkommen lassen habe«, sagte sie, wobei sie leicht lächelte. »Nun es ist so, dass ich etwas gefunden habe, das ich dir unbedingt zeigen wollte. Als Erstes.« Sie kicherte leise. »Und worum handelt es sich?«, die ersten Worte von Pyr an Kezia seit sie die Hütte betreten hatte. Sie kannte die Älteste schon ihr Leben lang – genauso wie viele andere im Dorf die hier geboren wurden. Jedoch gab es immer dieses besondere zwischen den Beiden. Trotz des großen Altersunterschiedes verstanden sie sich schon gut, als Pyr noch sehr klein war. Sie durfte Kezia im Garten helfen und lernte viel von der weisen Frau, vor der so viele Respekt hatten. Kezia lehrte sie sowohl über Pflanzen und die allgemeine Natur, als auch über die Welt. Über ihren eigenen Kontinent, über Okko, aber auch über Orell, den Kontinent der Fae. Kezia bedachte sie mit einem kleinen Lächeln. »Nun«, begann sie, »Ich dachte es würde dich interessieren Liebes.« Pyr zog eine Augenbraue in die Höhe. »Mich interessiert vieles Kezia«, erwiderte sie und nahm einen Schluck von ihrem Tee, nachdem sie an ihm gerochen hatte. Die Älteste nickte wiederum und stand auf. Kezias Rücken war leicht gebogen als sie an Pyr vorbei aus der Küche ging, woraufhin Pyr ihre Tees in die Hand nahm und ihr folgte. Sie gingen durch ihren Flur und erreichten anschließend Kezias eigene, kleine Bücherei. Dies war einer von Pyrs Lieblingsräumen. Sie las vielleicht nicht für ihr Leben gern, aber die alten Schriften und Bücher, welche sich hier stapelten, packten sie jedes Mal aufs Neue. Man konnte durch Jahrhunderte von Geschichten springen. Kezia sah sie lächelnd an und betrat anschließend den Raum, nachdem sie die alte Holztür geöffnet hatte. Pyr folgte ihr hinein und stellte die Tassen auf einen kleinen Tisch direkt neben der Tür. Kezia lief auf die beiden Regale voller Bücher zu, welche sich wiederum gegenüber von der Tür befanden. Die einzige Lichtquelle in dem Raum war das Fenster auf der linken Seite des Raumes. Abends zündete Kezia meistens Kerzen an, denn hier hatte sie keinen Kamin. Man musste es ihr lassen. Obwohl sie schon so alt war, pflegte sie ihr Haus besser als die jungen Leute des Dorfs. Kezia streckte die faltigen Hände nach einem Buch aus, welches Pyr noch nie gesehen hatte. Sie hielt es mit beiden Händen vor ihrem Körper und drehte sich langsam zu Pyr herum. »Dies ist es. Das, was ich dir zeigen wollte Liebes«, sagte die Frau in einem ruhigen Ton. »Ein weiteres Buch?« Pyr freute sich zwar über das neue, offensichtlich sehr alte, Buch, allerdings verstand sie nicht, warum Kezia sie deshalb anscheinend so unbedingt sprechen wollte. Die Älteste lachte rau und schüttelte den Kopf, wobei ihre Haare durch ihre Bewegung hin und her schwebten. »Nein. Dies hier, dies ist ein besonderes Buch. Setzt dich und ich werde es dir zeigen«, erzählte Kezia und Pyr tat was sie verlangte. Sie setzte sich auf den Boden, damit Kezia sich in den roten Sessel setzen konnte. Er hatte an dem Anfang der Lehnen jeweils eine goldene Kugel, zudem waren in der Rückenlehne Muster aus goldenem Stoff eingearbeitet worden. Pyr wusste nicht, woher Kezia den Sessel hatte, konnte sich aber vorstellen, dass er ihr vielleicht von jemandem aus dem Dorf geschenkt worden war. Wie vermutet schritt sie auf den Sessel zu und ließ sich langsam in diesen sinken. Pyr rückte etwas näher zu ihr und betrachtete das Buch nun interessierter als zuvor. Man konnte einige Wörter erkennen, allerdings verstand sie diese nicht. Es musste in einer anderen Sprache geschrieben worden sein. Kezia sah Pyr lange und still an, bevor sie begann zu sprechen. »Erinnerst du dich noch daran, dass wir alte, kleine Bücher gefunden hatten? In Sprachen die dir unbekannt waren?« Pyr nickte langsam.
Kezia und sie waren letzten Sommer auf ihrem Dachboden gewesen, eigentlich um diesen aufzuräumen und die wichtigen Dinge für den Winter herunterzuholen. Dabei war Pyr auf ein Buch gestoßen, auf dessen Einband Wörter erkennen zu wahren, die sie nicht lesen konnte. Also hatte sie es Kezia gebracht, welche es überrascht anschaute. Sie sah Pyr in die Augen und lächelte etwas. Die beiden Frauen waren anschließend noch lange auf dem Dachboden geblieben und Kezia hatte ihr erzählt, was in diesem Buch stand.
»Dieses Buch ist in der gleichen Sprache geschrieben. Allerdings unterscheidet es sich doch gewaltig von den anderen Büchern. Pyr, dies hier ist das Buch der Träume.« Kezia bedachte sie mit einem breiten Lächeln. »Das Buch der Träume?« Pyr sah die Älteste verwirrt an. Sie hatten zwar über dieses Buch gesprochen, allerdings dachte sie immer, es sei nur ein Märchen. Allerdings nickte Kezia und musterte sie. »Du erinnerst dich doch, oder nicht?« Ein enttäuschter Ausdruck trat in ihre Augen, weshalb Pyr schnell nickte. »Doch natürlich erinnere ich mich. Es ist nur so... ich dachte immer, es sei lediglich ein Märchen, welches man sich über die Jahre erzählt hatte.« Kezia nickte verständnisvoll und klopfte leicht auf das Buch. »Ich habe es heute Morgen zufällig gefunden. Ich dachte, ich würde es nie wiedersehen. Weißt du Pyr, Liebes, mein Vater hatte mir davon erzählt. Es war sein größter Wunsch, dieses Buch erneut in den Händen halten zu können.« Trauer trat in die Augen der Frau. Aber auch Glück – man sah ihr die Freude, welche sie gerade empfand, mehr als deutlich an. Freude darüber, dass sie es wiedergefunden hatte. »Also wird das Buch in eurer Familie vererbt?« Kezia kicherte leise und musste anschließend einige Male husten. »Man könnte es so sagen, ja.« Sie sah Pyr lächelnd an.
»Das Buch der Träume erfüllt die größten Wünsche eines jeden Lebewesens. Allerdings fordert es auch seinen Preis, Zimtblüte.« Er lächelte breit, voller Freude und Stolz über das Buch. »Was denn für einen?« Sie sah ihren Vater neugierig an. Der Mann auf dessen Schoß das junge Mädchen saß legte eine große, warme Hand an ihre Wange und sah ihr voller Liebe in die Augen. »Laut einer Legende, welche man sich über Jahrhunderte nun schon erzählt, wird jenes Buch dich mit einem Fluch bestrafen, wenn du es für falsche Träume verwendest. Man erzählt sich von drei Brüdern, welche dieses Buch nur für ihre Zwecke besitzen wollten. Sie stritten sich angeblich darum, wer es zuerst benutzen durfte. Allerdings wurden sie alle samt verflucht. Man hat sie nie wiedergesehen.« Das Mädchen nickte und fragte gespannt: »Und was machte dieser Fluch mit ihnen?« Der Mann sah ihr in die Augen, antwortete mit tiefer, ruhiger Stimme. »Es bringt dein wahres Ich ans Licht.« Sie legte den Kopf schief. »Dein wahres Ich?«
Kezia strich sich ihre weißen Haare mit den alten, zittrigen Händen hinter die Ohren. Ihre warmen, braunen Augen sahen in Pyrs. Sie legte eine Hand auf das Buch, ihr Ausdruck wich einem ernstem. Es wirkte so als ob sie gerade etwas sagen wollte, jedoch glitt ihr Blick zu dem Fenster. »Pyr-« Das Warnsignal erklang. Das Horn, welches in ihrem Dorf stand, wurde von Gideon geblasen. Ein Angriff. Die Fae.
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Flammendes Licht
FantasyDie junge Kämpferin Pyr verteidigt ihr Dorf mit allem was sie hat als die Fae erneut angreifen. Doch als ihrem besten Freund Gideon etwas zustößt und Elara sich für sie opfert, ist sie plötzlich ganz allein. So einfach lässt sie sich allerdings nic...