Das alte Holz knarzte unter ihren Schuhen, die gesamte Brücke schaukelte im Wind. Das wilde Meer tobte unter ihr, die Wellen schlugen gegen den fremden Kontinent, so als ob sie ihn verschlingen wollten. Orell wirkte immer so fern, doch durch die Brücke bestand trotzdem eine Gefahr und Verbundenheit mit dem Kontinent auf der anderen Seite des Meeres. Sie konnte von ihrem Dorf immer nur den alten Wald sehen, die gewaltigen Bäume. Doch nie sah sie die Wesen welche dort leben mussten, geschweige denn von den Fae. Das einzige was man an Tagen mit klarer Sicht sehen konnte, waren Silhouetten von dem, was dort leben musste. Ein unangenehmes kribbeln lief ihren Rücken hinunter. Pyr griff nach ihrem Dolch, welcher an der einen Seite ihrer Hüfte hing. Sie ließ ihren Blick über die Küste des Gebietes gleiten, welches sie in ein paar Minuten betreten würde – auf der Suche nach Anzeichen einer Gefahr. Doch dort war nichts. Pyr legte ihre Arme enger um ihren Körper als der Wind begann immer stärker zu werden, je näher sie Orell kam. Sie zwang ihren Atem zu einem gleichmäßigen Rhythmus, sie musste die Kontrolle behalten. Gideon war dort. Alle waren dort. Sie durfte nicht umkehren, konnte es ganz einfach nicht. Also hielt Pyr weiter auf den Kontinent vor ihr zu.
Ihr Herz raste als sie vor dem Kontinent stand, von welchem sie schon so viele Sagen gehört hatte. Die Wellen unter ihr tobten und wuchsen immer mehr. Der Wind schrie und die Bäume gaben tiefe Geräusche von sich, wenn dieser gegen sie prallte. Doch ein leises flüstern drang an ihr Ohr. »Geh Pyr.« Ihr Unterbewusstsein redete auf sie ein, ihr Herz welches nach ihrem besten Freund schrie, nach der einzigen Familie die sie noch besaß. Pyr band sich die blonden Haare mit einem Leder Stück zu einem hohen Zopf, lockerte die Arme und ließ sie schließlich an ihrem Körper hinunter hängen. »Ihr habt mein Volk terrorisiert und abgeschlachtet. Ich hole mir zurück was mir gehört.« Sie wisperte es in den Wind – er solle es hinaustragen. »Denn ich habe keine Angst.« Damit setzte sie einen Fuß auf Orell. Und ihr Herz raste nicht, es schlug in einem stetigen, kräftigen Tempo gegen ihre Brust. Mit erhobenem Kopf setzte Pyr ihren anderen Fuß ebenfalls auf den Kontinent. Der Wind ebbte langsam ab, doch das Meer tobte weiter. Sie legte eine Hand an ihren Dolch und zog diesen aus seiner Scheide. Entschlossen ging sie ihre ersten Schritte auf Orell. Der Winter hatte auch das Land der Fae nicht verschont. Schnee lag in hohen Massen auf dem Boden, die Bäume hatten ihre Blätter verloren. Es war ganz still in dem Wald, in welchem sie stand. In dem Wald, den sie sonst immer nur von der anderen Seite gesehen hatte. Der sonst direkt hinter der Brücke lag, alt und gefährlich wirkte er immer auf sie. Und das tat er auch jetzt noch, doch Pyr achtete nicht darauf. Sie erlaubte es sich nicht. Also ließ sie ihren Blick auf den Boden gleiten und suchte nach Fußabdrücken oder Radspuren. Ihre Ohren fingen ein knacken hinter ihr auf. Pyr erstarrte. Sie wirbelte herum, den Dolch in der einen Hand, zog mit der anderen ihr Schwert aus der Scheide an ihrer Hüfte. Sofort ging sie leicht in die Knie, beide Waffen bereit um abzublocken. Doch als sie nun dorthin sah, wo das Geräusch herkam, sah sie nichts. Ihr Blick glitt unruhig hin und her, während sie versuchte den Grund für das Geräusch ausfindig zu machen. Ihre Aufmerksamkeit schoss nach links, als sie ein Schnaufen vernahm. Es war definitiv zu tief für ein Pferd. Aber sie befand sich auch auf Orell – wer wusste, was es hier alles gab? Langsam ging sie zurück, sie wusste, egal was es war, sie hatte keine Chance. Nicht wenn sie immer noch am Oberschenkel verletzt war. Doch erneut ließ sie etwas innehalten. Hinter einem Baum trat langsam eine Gestalt hervor, eine jung aussehende Frau. Pyr wollte gerade in Deckung gehen, als sie die Frau plötzlich ansah. Sie starrte ihr mit ihren hellen, rein blauen Augen direkt in die eigenen grün-blauen. Mit einem Atemzug nahm sie ihren Langbogen vom Rücken und spannte einen Pfeil ein, auf sie gerichtet. Pyrs Herz blieb stehen, bevor es doppelt so schnell wie zuvor weiterschlug. Diese Frau war niemand aus ihrem Dorf. Die tödliche Ruhe, welche von der Frau ausging, sagte genug über sie aus. Es kam ihr so vor, als ob sie nicht mal atmen müsse. Alleine durch ihren Präsenz wirkte sie einschüchternd und gefährlich. Und als Pyr sich plötzlich komisch fühlte, als es sich anfühlte als ob sie in einem Traum sei, musste sie nicht einmal mehr die spitzen Ohren der Frau sehen, welche durch einen Windstoß aufgedeckt wurden. Als die Fae die Sehne des Bogens losließ, wirbelte sie instinktiv herum, die Augen geweitet. Der Pfeil hätte genau in ihr Herz getroffen, hätte sie zu spät reagiert. Ihr Körper gehorchte ihr wieder. Und sie machte sich daran weg zu kommen. Adrenalin wurde in ihren Körper gepumpt und sie rannte so schnell es ihre Beine ihr erlaubten. Mit einem kurzen Blick über die Schulter erkannte sie nur noch die dunklen Haare der Fae, welche durch stärker aufkommenden Wind wild in der Luft wehten. Pyr sah wieder nach vorne und rannte um ihr Leben. Die Fae war sich anscheinend zu Schade um ihr nach zu rennen – doch Pyr wollte sich nicht darüber beschweren. Sie lief immer tiefer in den Wald hinein, die Bäume knarrten hinter ihr und der Schnee erschwerte es ihr, ihr Tempo bei zu behalten. Als ein Schmerz durch ihren Oberschenkel stach, kippte sie nach vorn und ließ die Waffen fallen, um sich auffangen zu können. Das Adrenalin versiegte immer mehr und ihr wurde plötzlich der Schmerz immer bewusster. Sie hatte ihren Oberschenkel einer großen Belastung ausgesetzt. Schwer atmend starrte sie in den Schnee. Sie mochte Schnee immer schon, aber gerade könnte sie ihn verfluchen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht drückte sie sich auf die Beine und sammelte ihre Waffen auf, ehe sie sie wieder wegsteckte. Ihre Hände waren unglaublich kalt, ihre Hose war teilweise durch den Schnee völlig durchnässt, die Schuhe durchgeweicht. Sie sah sich um. Und ihr rutschte das Herz in die Hose. Sie wusste bei den Göttern nicht, wo sie war. Verzweifelt blickte sie sich um nach ihren Fußspuren, doch diese waren durch den starken Wind schon wieder verschwunden. Sie ließ ihren Kopf in den Nacken fallen, wobei dieser leise knackte. Pyr sah in den Himmel als sie Gideons Namen leise flüsterte. »Wo bist du nur...« Sie seufzte leise und rieb sich über die Augen, wobei sie den Großteil ihres Gewichts auf ihr gesundes Bein verteilte. »Okay reiß dich zusammen Pyr.« Sie schluckte schwer. Ihr Blick viel auf den Boden, sie suchte einen stabilen, großen Stock, welchen sie als Stütze benutzen konnte. Langsam beugte sie sich runter, wobei sie ihre Zähne zusammenbiss, um keinen Laut von sich zu geben. Die Wunde zahlte ihr das wegrennen heim. Pyr nahm einen passenden Stock und befreite diesen etwas vom Schnee, ehe sie sich an diesem Stütze. Erleichterung ließ sie aufseufzen. Mit langsamen und wackeligen Schritten ging sie voran, die Gedanken immer noch bei dieser Fae. Sie war beeindruckend gewesen – Pyr war verwirrt von diesem Gedanken. Bisher hatte sie so noch nie über die Fae nachgedacht. Aber wie diese Frau völlig reglos dort stand und der Pfeil trotz der Entfernung in ihr Herz getroffen hätte war wirklich unglaublich. Sie schüttelte den Kopf um die Gedanken los zu werden. Was war nur los mit ihr, dass sie so dachte? Sie musste Gideon und ihr restliches Dorf finden und dann schnell von hier verschwinden. Gideon.
Nach einiger Zeit in welcher sie einfach nur auf dem Boden nach Spuren gesucht hat, was sich nach und nach als unmöglich entpuppte, da der Wind die Spuren bereits verwischt hatte, suchte sie nach einem Unterschlupf. Es hatte begonnen zu schneien, ihre Finger froren, genauso wie der Rest ihres Körpers. Die Nacht brach bereits an und sie wollte nicht draußen sein, wenn es dunkel war. Wer wusste, was nachts hier herumschlich? Sie sah sich um, ihre Zähne klapperten aneinander. Pyr stütze sich mit dem Stock weiter voran – was hatte sie sich nur vorgenommen? Aber es war die einzige Möglichkeit zu überleben die Anderen zu suchen. Wie solle sie alleine gegen einen weiteren Angriff ankommen? Außerdem schuldete sie es Elara. Sie schuldete ihr die Rache an dem Fae, welcher ihr Haus anzünden lassen hat, wodurch er ihre Eltern umgebracht hatte. Sie musste ihren kleinen Bruder retten, die Leute welche ihr so viel bedeutet hatten. Und das würde sie nicht einfach ignorieren. Ihr viel ein schmaler Schlitz in einem kleineren Berg auf. Mithilfe des Stocks lief sie so schnell sie konnte darauf zu, ihr Oberschenkel schmerzte immer noch. Als sie vor dem Schlitz stand, versuchte sie hinein zu blicken, um sich zu vergewissern, es war niemand dort. Pyr sah sich draußen um und versuchte sich schließlich in den Berg zu drücken, was nicht so einfach wie geplant war. Sie hatte es mit ihrer linken Schulter bereits zwischen den Stein geschafft, doch ihre Kleidung war der Hauptgrund, neben ihren Waffen, dass sie nicht so schnell hineinkam. Sie flüsterte ein Gebet zu den Göttern – es solle niemand kommen, denn genau jetzt war sie unglaublich leichte Beute. Nach einigen versuchen, zwängte sie sich zwischen dem Stein entlang und atmete auf, als sie sich in der Höhle befand. Sie war nicht besonders groß, doch das war nicht schlimm, schließlich wollte sie nur hier schlafen. Ihr Blick glitt zur Höhlendecke. Hier drinnen konnte sie definitiv kein Feuer entfachen, denn die Decke war geschlossen. Aber so oder so hätte sie es nicht gewagt, vielleicht war die Fae noch in der Nähe? Oder andere Wesen? Ihr lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken als sie sich erneut auf den Stock stützte und zu der Wand ging, welche links neben dem Eingang war. So konnte man sie hoffentlich nicht all zu schnell entdecken, wenn man von außen hineinsah. Sie ließ sich auf den Boden sinken und seufzte erleichtert auf. Sie hatte es geschafft. Pyr stellte ihren Rucksack neben sich und lehnte den Rücken an die Wand, wobei der Stock neben ihr auf dem Boden lag. Mit ihren Händen formte sie eine Halbkugel vor ihrem Mund und pustete warme Luft in diese, wobei sie ihre Augen schloss. Als sich ihre Hände nicht mehr ganz so taub anfühlten, zog sie ihren Rucksack näher heran und öffnete diesen. Pyr griff nach ihrem Trinkbeutel und nahm diesen heraus. Das Wasser war durch die Temperatur draußen ziemlich kalt geworden. Doch sie war so durstig, dass sie trotz dessen den Trinkbeutel ansetzte und einige Schlucke trank. Als das Wasser durch ihren Hals floss, erschauderte sie und hörte auf zu trinken. Mit knurrendem Magen griff sie schließlich eine der beiden Scheiben trocknen Brots und biss davon ab. Den Kopf ließ sie gegen den Stein hinter ihr stoßen und lächelte leicht. Sie lebte. Pyr ließ den Trinkbeutel auf ihrem Schoß ruhen und aß noch ein wenig Fleisch nach dem Brot, bevor sie erneut etwas trank. Sie wusste, sie müsse sich morgen daran machen, irgendwie an etwas essbares zu kommen.
Sie sah still auf die Wand ihr gegenüber, selbst als es schon dunkel war. Pyr hatte bereits alles wieder in ihrem Rucksack verstaut, außer die kleine Decke ihrer kleinen Schwester, welche sie eng um sich gelegt hatte. Mit einem kleinem lächeln auf den kaputten Lippen schloss sie die Augen und schlief ein.

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Flammendes Licht
FantasíaDie junge Kämpferin Pyr verteidigt ihr Dorf mit allem was sie hat als die Fae erneut angreifen. Doch als ihrem besten Freund Gideon etwas zustößt und Elara sich für sie opfert, ist sie plötzlich ganz allein. So einfach lässt sie sich allerdings nic...