Pyr humpelte durch das kleine, verschneite Dorf. Sie hörte Leute schreien – ihre Freunde. Als Pyr sich umdrehte, sah sie wie der Wagen über die Brücke gezogen wurde. Der Schnee auf dem Platz war durchwühlt und rotgefärbt. Viele Leute lagen reglos dort, sowohl Fae als auch Menschen. Die verletzen Fae wurden gestützt, allerdings konnten viele von ihnen auch schon wieder alleine Laufen. Pyrs Herz setzte einen Schlag aus, nur um daraufhin doppelt so schnell zu schlagen, als sie erkennen konnte, wie der schwarzhaarige Fae sie ebenfalls ansah. Er grinste breit und zog mit seinem Daumen eine Linie über seine Kehle. Dann deutete er neben sich. Pyr schlug sich eine Hand vor den Mund als sie sah, wer dort neben ihm stand. »Kezia« Der schwarzhaarige Fae schien zu lachen, eine Gänsehaut breitete sich über Pyrs Körper aus. Die alte Frau mit welcher Pyr aufgewachsen war und von der sie dachte, sie hätten so viel gemeinsam, drehte sich ebenfalls zu ihr. Sie sahen sich an, doch Kezia wendete den Blick wieder ab und lief langsam auf die Brücke zu. Der Fae beobachtete Pyr noch eine Weile. Es schien fast so, als ob er überlegte, ob er nicht zu ihr laufen sollte und ihr seine Axt ins Gesicht schleudern solle. Seine Hand glitt tatsächlich zu seiner Waffe, doch er drehte den Kopf zu den anderen. Er ließ seine Hand sinken und joggte zur Brücke. Anscheinend rechneten sie damit, dass sie sowieso sterben würde. Sie würde ihre Zeit vermutlich verschwenden, wenn man extra zu ihr laufen müsse. Pyr drehte sich um, immer noch schockiert von der Tatsache, dass Kezia etwas mit den Fae zu tun hatte. Aber das konnte nicht sein. Sie hasste sie doch, dass hatte sie mehr als deutlich gemacht. Kezia gab Tipps, wie man sich am besten vor Angriffen schützen konnte, sie war diejenige, die half, die Brücke so sicher wie möglich zu machen. Aber vielleicht war der Wagen auch einfach zu voll gewesen, die Leute mussten sich schließlich schon an die Stäbe drücken. Pyr schüttelte den Kopf. »Bleib bei der Sache.« Sie sah sich um. Das Dorf war so still, so leer. Es waren tatsächlich alle Menschen in dem Wagen. Alle, die überlebt hatten. Die Fae hatten mit einem Schlag ihr ganzes Dorf ausgelöscht. Und das mit mehr als zwanzig Leuten. Sie selbst schafften es gerade so mit dreißig Leuten gegen drei Fae. Sie humpelte zu ihrer eigenen Hütte, welche neben der von Gideon stand. Sie wollten ihre Hütten diesen Sommer zusammenbauen, einen Durchgang schaffen. Seit Pyrs Familie von den Fae verschleppt und nie wiedergekommen sind, fühlte sie sich unwohl in diesem Haus. Die einzigen Reste von ihren wurden alle sicher von Pyr verstaut.
Sie drückte die Tür zu ihrer Hütte auf und betrat diese. Die Tür schloss sich leise hinter ihr, woraufhin sie in ihr Haus humpelte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte sie sich auf das löchrige Sofa und öffnete ihre Hose. Angestrengt zog sie sie sich umständlich vom Körper, ließ sie zu den Knien gleiten. An ihrem Oberschenkel war Blut verteilt, welches durch die ganzen Bewegungen verschmiert war. Es war eine große Stichwunde zu erkennen, daneben noch kleinere Wunden. Pyr griff nach ihren übrigen Medikamenten und Verbänden, es war nicht mehr viel, da sie Gideon und sich immer öfter pflegen musste, denn die Angriffe der Fae häuften sich. Sie mussten das hier schon länger geplant hatten. Die Fae mussten mit Absicht immer öfter angegriffen haben, in kleineren Gruppen, um die guten Kämpfer zu finden und zu töten, damit sie heute ein leichtes Spiel hatten. Allerdings nicht mit Elara, sie war unentdeckt geblieben. Aber wenn sie sich selbst in die Luft sprengen konnte, hätte sie nicht die Brücke zerstören können? Nein, das war Unsinn. Sie sollte Elara dankbar sein, dankbar für die Möglichkeit zum Überleben. Es war Schwachsinn, über so etwas nachzudenken, zumal Kezia gesagt hatte, die Brücke könne nicht zerstört werden, durch nichts. Elara hatte ihr das Leben gerettet und sie würde sie in Ehren halten. Sie würde diesen schwarzhaarigen Fae Idioten umbringen. Für Elara und für jeden anderen, den er schon getötet hatte. Aus Spaß.
Pyr hatte ihre Wunde gesäubert und sie verbunden, wie durch ein Wunder schien sie nicht lebensgefährlich viel Blut verloren zu haben. Trotz dessen war ihr teilweise Schwindelig, sie musste sich festhalten oder hinsetzten. Gerade saß sie auf ihrem Sofa und band ihre goldblonden Haare zurück, ehe sie sich über eine Karte vor ihr beugte. Sie lag auf einem kleinen Holzstich, welcher mit Rillen überseht war. Pyr legte einen Finger auf ihr Dorf, welches mit einem kleinen, weißen Punkt markiert war. Sie glitt hinüber zu der Brücke, welche schwarz abgebildet war. Pyr kniff die Augen zusammen, als sie ihren Finger zum Kontinent der Fae führte. Es fühlte sich falsch an alleine schon diesen Finger dort liegen zu haben - obwohl es nur eine Karte war. »Orell« Ihr lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken, als sie den Namen leise flüsterte. »Der Kontinent der Fae – Der Kontinent allen Grauens. Setzte einen Fuß dorthin und du bist tot.« Las sie die Worte vor, welche auf der Karte neben dem Schriftzug Orell standen. Pyr starrte den fremden Kontinent an, ihr Herz pochte schnell gegen ihre Brust. Aber sie würde keinen Rückzieher machen, niemals. Nicht nach Elara. Pyr würde Gideon finden, ihn und alle anderen und sie würde sie retten. Sie faltete die Karte zusammen und stand langsam auf. Mühevoll humpelte sie zu einem alten Rucksack, welcher ihrem Vater gehört hatte. Pyr nahm sich eine Jacke, welche mit Schafsfell gefüttert war und ursprünglich Gideon gehörte, doch er hatte sie ihr Anfang des Winters geschenkt als er herausfand, dass sie ihre eigene Jacke einem streunenden Hund über den Körper gelegt hatte.
Sie lag zitternd in dem kalten Schnee, völlig alleine. Pyr tat diese Hündin so leid, dass sie sie letztendlich mit in ihre Hütte nahm. Die Hündin hatte weißes Fell, welches in der Sonne strahlte. Ihre Augen sahen auf den ersten Blick schwarz aus, jedoch waren sie dunkel braun. Die Hündin war klein, sie ging ihr vielleicht bis kurz unters Knie. Ihre Ohren waren groß und standen aufrecht, immer aufmerksam nach vorn gerichtet. Ihre Rute war entweder gerade nach hinten oder hoch erhoben gehalten worden. Aufgrund ihres durch und durch weißen Fells stachen ihre Augen sowie ihre schwarze, kleine Nase stark hervor. Ihre Zähne waren spitz und kräftig, sie wirkte gesund, nur sehr abgemagert und einsam. Pyr suchte immer wieder nach ihrem Besitzer, aber niemand wollte sie gesehen haben. Also teilte Pyr mit ihr ihr letztes Essen, gab ihr oft mehr als die Hälfte. Sie durfte neben ihr im Bett schlafen, zu dem hatte sie ihre Jacke letztendlich so umgenäht, dass sie der Hündin wie angegossen passte. Denn sie wollte immer mit, egal wo Pyr hinlief. Und da es draußen extrem kalt war und Pyr oft mehrere Stunden an der Brücke postiert war, oder einfach im Dorf half, musste die Hündin ebenfalls draußen bleiben, wenn sie bei ihr sein wollte. Die Hündin schien es allerdings nicht zu stören, dass sie so lange draußen sein musste – sie schien es geradezu zu lieben. Oft sah Pyr wie sie sich im Schnee wälzte, oder in große Haufen sprang, die lachende Kinder angehäuft hatten. Pyr liebte es, in die dunklen Augen der Hündin zu sehen und sie hatte das Gefühl, als würde sie ihr entgegen Lächeln. Die Beiden waren innerhalb von kürzester Zeit ein eingespieltes Team geworden, sie wurden Freunde. Beste Freunde. Und deshalb tat es Pyr umso mehr weh als sie eines Tages von ihrer Schicht nach Hause kam und die Hündin nicht antraf, welche, wie sonst auch, durch das Dorf lief, wenn sie nicht bei Pyr war. Sie suchte überall nach ihr, jedoch fand sie sie nicht. Kleine Pfoten Abdrücke führten aus dem Dorf hinaus und plötzlich waren Schuhabdrücke neben diesen. Die Hündin war anscheinend auf ihrem Weg hinaus jemandem begegnet und sie waren schließlich gemeinsam gegangen. Jedoch tauchten die Abdrücke des Menschen plötzlich auf, sie waren einfach da. Es gab keinen Weg, den diese Person gegangen war, sie war praktisch einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Pyr hockte an diesem Tag lange vor den Spuren und las diese. Sie versuchte herauszufinden, wohin die Hündin gegangen war, allerdings hörten die Spuren mitten im Wald einfach auf. Beide Spuren waren verschwunden, genauso plötzlich wie die Spuren des Menschen gekommen waren. Pyr wartete seit diesem Tag jeden Abend darauf, dass ihre geliebte Hündin wiederkomme. Doch sie hatte kein Glück gehabt – sie war nicht wiederaufgetaucht. Doch in Pyrs Herzen hatte sie immer noch einen festen Platz. An dem Tag an dem die Hündin verschwunden war, taufte Pyr sie Cindy.
Die Schmerzen in ihrem Bein wurden immer stärker, aber sie konnte sich nicht davon unterkriegen lassen, sie durfte es nicht. Also sammelte Pyr all ihre Willenskraft und nahm den Rucksack, sie hatte schon alles gepackt. Ihr restliches Essen, welches aus zwei dünnen Brotscheiben und ein wenig Fleisch bestand, welches sie gestern für Gideon und sie gekocht hatte, lag neben einem Trinkbeutel und einer kleinen Decke. Sie gehörte ihrer Schwester. Pyr stopfte die Karte in ihre Hosentasche, in der anderen ein Kompass, welcher ihre Mutter ihr gegeben hatte. Auf der Rückseite dieses Kompasses waren die Kontinente eingezeichnet, Orell und Okko. Oben, dort wo Norden eingezeichnet war, hing eine goldige Kette, welche allerdings durch die Benutzung schon etwas an Farbe verloren hatte. Mit zusammen gebissenen Zähnen schulterte Pyr den Rucksack und lief aus der Hütte. Sie wollte nicht noch länger dort verbringen, sonst hätte sie es sich vielleicht noch anders überlegt. Aber sie würde zurückkommen, mit Gideon, mit allen Leuten. Mit all denen, die an diesem Tag verschleppt worden waren. Pyr stiefelte durch den Schnee, Gideons Jacke eng um ihren Körper gezogen. Sie kam an all den Hütten vorbei und hielt an, als sie die von Kezia sehen konnte. Kopfschüttelnd lief sie wieder los, auf den Platz vor der Brücke zu. Glauben konnte Pyr es immer noch nicht, wie hatten sie die alte Frau überhaupt gefunden? Sie war doch in ihrer Hütte gewesen, alle Aufmerksamkeit lag auf dem Platz und dem Kampf, es gab kein Anzeichen, dass sie überhaupt dort war. Der Platz war immer noch durch das Blut der Gefallenen rot gefärbt. Erneut hielt Pyr inne und sah in jedes Gesicht, welches gen Himmel sah, in die leeren Augen. Sie nahm sich einen großen Fetzen Stoff, welcher auf dem Boden lag, vermutlich in einem Kampf von einer Hose oder einer Jacke gerissen. Mühevoll zerschnitt sie den Fetzen mit ihrem Schwert, welches in der Scheide an ihrem Gürtel hing, und legte immer ein Stück auf die Augen der Toten. Mehr konnte sie nicht tun, sie hatte selbst keinen Stoff mehr. Pyr steckte ihr Schwert zurück in die Scheide und lief auf die Brücke zu, ihre Hände zitterten vor Kälte. Es dämmerte bereits als Pyr die Hände um ihren Körper schlang, in der Hoffnung sie würden sich aufwärmen, um im Fall eines möglichen Kampfes keinen Nachteil zu haben. Entschlossen ging sie über die Brücke.

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Flammendes Licht
FantasiDie junge Kämpferin Pyr verteidigt ihr Dorf mit allem was sie hat als die Fae erneut angreifen. Doch als ihrem besten Freund Gideon etwas zustößt und Elara sich für sie opfert, ist sie plötzlich ganz allein. So einfach lässt sie sich allerdings nic...