10. Kapitel

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             Rastlos lief ich durch den Wald. Auf der Suche nach Hayes. Meine Beine trugen mich einfach weiter, ohne Pause. Die kalte Luft, die wie Nadeln auf meinen Wangen und Händen stach, war mir dabei vollkommen egal. Ich ignorierte es grundsätzlich einfach. Ich versuchte aus diesem inneren Drang in mir schlau zu werden, doch ich konnte es nicht. Stattdessen folgte ich einfach dem inneren Drang, ihn zu sehen. Mittlerweile viel der erste Schnee vom Himmel. Einzelne Flocken landeten auf meinen Wangen und eine sogar auf meiner Nasenspitze.
           Ich hatte das dringende Bedürfnis die Flocken mit meiner Zunge aufzufangen, doch dieses kindische Verhalten drängte ich in die Tiefen meines Körpers zurück. Der Weg durch den Wald kam mir endlos vor. Noch immer war Hayes Hütte nicht in Sicht. Seufzend blieb ich für einen Moment stehen und sah mich um. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in mir breit, je länger ich auf der Stelle stand. Also lief ich wieder los, doch das Gefühl blieb. Besorgt sah ich mich um, konnte aber niemanden erkennen.
           Ein kleiner Teil in mir bekam Panik. Ich war allein im Wald und es würde bald dunkel werden. Dazu schneite es und war bitter kalt. All diese Komponenten spielten zusammen. Doch nicht nur das spielte eine Rolle. Es war wieder dieses Gefühl beobachtet zu werden. Nicht von Hayes. Es fühlte sich wie dieses andere Gefühl an. Wie an dem Tag, als ich nach Hause gefahren bin und mich ebenfalls beobachtet gefühlt hatte. Ein kalter Schauer jagte meinen Rücken hinab und ich rannte los. Meine Füße trugen mich in irgendeine Richtung. In welche konnte ich nicht genau sagen. Sie taten es einfach.
           Und ich ließ mich von ihnen leiten. Ein paar Minuten später knallte ich gegen etwas... Zuerst dachte ich, es sei ein Baum oder vielleicht ein Tier. Doch für einen Baum war es viel zu weich und für ein Tier hatte es zu wenig Haare. Erst nach ein paar Sekunden stieg mir dieser vertraute Duft in die Nase. Und dann schlang er seine Arme um mich und drückte mich fest an sich. »Was machst du nur für dumme Sachen, Rieka?«, hauchte er und strich beruhigend über meine Rücken, da ich zu zittern schien.
              Ich versuchte mich zu beruhigend, doch mein Körper wollte nicht gehorchen. Im Gegenteil. Ich zitterte immer mehr und immer mehr. »Rieka, alles ist gut. Ich bin bei dir«, wisperte Hayes. Seine Worte drangen zwar zu mir durch, waren aber nicht beruhigend. Nicht genug jedenfalls. Vielleicht lag es daran, weil sich ein Teil in mir noch immer dagegen wehrte, dass er meinte, ich würde zu ihm gehören. Es gab nämlich nur einen erklärbaren Grund, warum er das denken würde und genau das war... nicht gut. All die Jahre hatte ich mir gesagt, dass ich Werwölfe respektieren würde aber ihnen nie zu nahe kommen würden. Das war der Plan gewesen.
                 Doch wenn es um Hayes ging, schien nichts davon mehr eine Rolle zu spielen. Überhaupt keine. Ich fragte mich, warum ausgerechnet ich es sein sollte. Ich hatte ihn nicht wirklich danach gefragt, ob ich seine... seine Seelenverwandte war. Ich wollte es aber auch nicht. Die Angst vor der Antwort war viel zu groß. Vielleicht wollte er ja nur seinen Spaß mit mir. Ich konnte es nicht sagen. Ich glaubte aber nicht, dass er nur seinen Spaß wollte... obwohl...er hatte die letzten drei Jahre als Wolf verbracht. Vielleicht sehnte er sich nach einer Frau... und menschlicher... Nähe...
                Schnell verdrängte ich die Gedanken aus meinem Kopf. Hayes strich weiter über meinen Rücken. Es hatte nur keinen Effekt auf mich. Ich hasste es, wenn man mich dort streichelte. Ich war eher der Typ Mensch, der es liebte, wenn einem über den Kopf gestrichen wurde. Vielleicht, weil das mein Opa immer getan hatte, um mich zu beruhigen. Als könnte er meine Gedanken lesen, machte er im nächsten Moment genau das. Ich spürte, wie Ruhe in meinen Körper kam.   So viel Ruhe. Ich war ruhig. Zufrieden. Und in seinen Armen fühlte ich mich so verdammt sicher.
»Ich weiß, dass du mir nicht glaubst und das es dir zu schnell geht, aber du kannst mir vertrauen. Du musst keine Angst haben und du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde das    Thema vorerst nicht mehr ansprechen aber bitte stoß mich nicht von dir weg«, flüsterte er. In seiner Stimme lag so viel Ernst aber in seinem letzten Satz lag eine Bitte. Es flehte mich fast schon an. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, drei Jahre lang allein zu leben. Niemanden zu sehen. Und ich wusste, dass ich ihn nicht mehr wegschicken würde. Ich wusste es instinktiv.
Gerade als ich antworten wollte, wurde die Welt um uns herum dunkel und langsam aber sicher löste sich Hayes vor mir auf, bis niemand mehr zu sehen war und ich in der Dunkelheit allein war. Erst, als ich ein vertrautes Geräusch hörte, schreckte ich auf.

Hayes - "Sie gehört zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt