26. Kapitel

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          Während die Kinder spielten und lachten, machte ich mir Gedanken um Hayes. Immer wieder glitten meine Gedanken zu ihm zurück. Zu dem Mal an meinem Hals, was schon den ganzen Tag juckte und es mir praktisch unmöglich machte, nicht an ihn zu denken. Ich versuchte es. Wirklich. Aber es juckte immer. Die ganze Zeit. Liv redete weiter und fröhlich über ihre Verlobung und ihre Pläne für die Hochzeit. Und ich? Ich verschwieg, dass ich einen Gefährten hatte. Dabei kam ich mir komisch vor. Sie war meine beste Freundin und sollte eigentlich alles wissen.
          Dennoch verlor ich kein Wort über Hayes. Vielleicht, weil ich nicht wollte, dass sie schlecht über ihn sprach? Ich wollte keinen Streit. Doch auch ich wusste, dass sie mich am Anfang vor dem Alpha gewarnt hatte, dass allein durch die Wälder streifte und skrupellos war. So ungefähr jedenfalls. Wie würde sie reagieren, wenn ich ihr sagte, dass er mein Gefährte war? Vermutlich so wie meine Mutter. Nur noch schlimmer. Ich stellte mir vor, wie sie mir sagen würde, dass ich mich von ihm trennen sollte, dass sie sagen würde, wie naiv und dumm ich war. Spätestens wenn sie meine Markierung sehen würde, würde sie mich abschreiben.
         Bei dieser Vorstellung rann ein kalter Schauer meinen Rücken hinab. Liv gehörte zu den Letzten, die mir nahestanden. Ich wollte und konnte sie nicht verlieren. Auf der anderen Seite würde ich Hayes niemals verlassen. Niemals. Selbst, wenn sie es wollen würde. Hayes und ich gehörten zusammen. Für immer. Daran würde sie nichts ändern können. Meine Mutter konnte das ja auch nicht. »Rieka, hörst du mir überhaupt zu?«, riss mich Livs Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah zu ihr.
         »Nein, tut mir leid. Ich bin in Gedanken«, entschuldigte ich mich und setzte ein kleines Lächeln auf, dass sie besänftigen sollte. Liv hasste es nämlich, wenn man ihr nicht zuhörte. Hatte mit ihrer Vergangenheit zu tun. »Du bist schon seit ein paar Wochen so. Gibt es da vielleicht einen Mann in deinem Leben? Du siehst glücklicher aus«, sagte sie und musterte mich von oben bis unten. Es war ihr typischer Laserblick. Liv konnte einem alles ansehen. Das schien einfach ihre Gabe zu sein. Da blieb ihr Blick an meinem Hals hängen und sie runzelte die Stirn.
         Gerade als ich meinen Schal richtigen wollte, zog sie schon daran und entblößte Hayes Markierung. Ihre Augen wurden groß. »Das ist... du hast einen Seelengefährten?«, stotterte sie und ließ meinen Schal los. Eilig richtete ich den Schal, damit die Kinder das nicht sahen. Stumm nickte, während Scham mich überflutete. Nicht, weil sie es gesehen hatte, sondern weil ich es ihr verschwiegen hatte. »Warum hast du denn nichts gesagt, Rieka? Das ist doch super«, fragte sie und stellte damit diese Frage, die ich ungerne beantwortete. All ihre Fragen zu diesem Thema wollte ich nicht beantworten.
           Aus Angst, sie zu verlieren. Denn das würde ich. »Ich wusste nicht, wie. Außerdem bist du selbst so beschäftigt, da wollte ich nicht damit ankommen«, murmelte ich und spielte nervös am Saum meines Hoodies. Meinem Lieblingshoodie, der mir sonst immer Glück brachte. Heute schien mich das Glück verlassen zu haben. »Und? Wer ist der Glückliche?«, hakte sie nach und ging nicht auf meinen ersten Satz ein. Diese Frage allerdings war viel schlimmer. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, den ich schnell wieder hinunterschluckte.
           »Hayes«, sagte ich und sah meine beste Freundin dabei an. Ihre Augen weiteten sich. Angst trat in ihre Augen. Und dann geschah genau das, was ich vorausgesehen hatte. »Hayes Mc'Grady? Der Hayes? Der Hayes, dessen Rudel gestorben ist? Der Hayes, der drei Jahre lang verschwunden war und der Hayes, der Kindern Angst macht und anderen Leuten im Wald auch? Tickst du noch ganz richtig?! Der Typ ist gefährlich! Wie kannst du den ersten Schritt der Bindung zulassen? Was hat er mit dir gemacht? Dich gefesselt und dir keine Wahl gelassen?«
         Schmerz durchzuckte meine Brust bei ihren Worten. Kalter, bitterer Schmerz. Es tat mir weh, dass sie so über ihn sprach. Da jeder so über ihn sprach. Niemand gab sich Mühe ihn verstehen zu wollen. Vielleicht stand ich deswegen so rasch auf. Wenn man ihn angriff, griff man auch mich an. Und ich würde nicht zulassen, dass sie so über ihn sprach. »Ja, Hayes Mc'Grady. Der Hayes, der sein Rudel verloren hat und drei Jahre lang nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Der Hayes, der drei Jahre lang allein war und gelitten hat. Der Hayes, der von allen missverstanden wird. Der Hayes, der mir sogar gesagt hat, ich sollte mir das mit dem ersten Schritt in Ruhe überlegen! Der Hayes, der mir eine Wahl gelassen hat! Und der Hayes, der mich liebt!«, zischte ich und spürte, wie Tränen in meinen Augen aufstiegen.
          Sie verschleierten mir die Sicht, doch das war gleichgültig. Mein Körper bebte. Ich zitterte, so wütend war ich. Niemand verstand Hayes. Niemand. Und ich würde nicht zulassen, dass man so über ihn sprach. Nicht in meiner Nähe. Vielleicht war das impulsiv, aber bei Hayes war ich so. Früher hätte ich das nie gewagt. Früher hätte ich meine Meinung für mich behalten. Doch nicht, wenn es um ihn ging. Erst nach ein paar Sekunden wurde mir bewusst, was ich als letztes gesagt hatte. Es war Instinkt gewesen und war einfach so mit den anderen Wörtern über meine Lippen geflossen.
           Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass es stimmte. Er liebte mich. Und wenn ich ehrlich war, dann liebte ich ihn auch. Wir mussten es nicht sagen, um es zu wissen. Seine Blicke sagten mehr als tausend Worte. Seine Taten ebenfalls. »Rieka-«, setzte Liv an. Doch ich unterbrach sie. »Nein! Komm mir nicht so. Sieh mich nicht so an, als wäre ich verrückt. Er liebt mich und er würde alles für mich tun! Er hatte Jahre lang zu kämpfen. Langsam öffnet er sich. Ich lasse nicht zu, dass ihr das kaputt macht!«, fauchte ich. Mittlerweile hatten wir die Aufmerksamkeit der Kinder, doch das war mir in dem Moment egal. Keiner würde so über ihn sprechen. Nicht mal Liv.
           Ich zitterte noch immer. Alles in mir zitterte. Meine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen. In dem Moment spürte ich eine zweite Emotion in meinem Körper. Sie war nur ganz leicht und im ersten Moment konnte ich sie nicht identifizieren. Doch dann wurde es mir klar. Es war Sorge. Und sie kam nicht von mir. Sie kam von Hayes. Ich hatte ganz vergessen, dass er meine Aufruhe und meine Wut durch unser verstärktes Band spüren konnte. »er ist ein Monster und hat dich ganz vernebelt«, blieb Liv bei ihrer Meinung. In dem Moment rastete ich ganz aus.
        Das Wort „Monster" hatte sich in meinen Kopf gebrannt. Ich konnte es nicht glauben. Sie nannte ihn ein Monster. Einfach so. Obwohl sie ihn nicht kannte! »Wie hast du ihn genannt?«, fragte ich mit ruhiger, aber kalter Stimme. Wenn ich ruhig wurde, konnte ich für nichts garantieren. Liv schluckte. Sie war es nicht gewöhnt, dass ich so mit ihr sprach. Ich war es ja selbst nicht gewohnt, aber das änderte nichts an der Tatsache. Sie hatte ihn ein Monster genannt. Das konnte sie sich einfach nicht erlauben.
           »Merkst du nicht, wie manipuliert du bist? Wie sprichst du mit mir? Nur wegen ihm?«, fuhr Liv fort. Ein kaltes Lachen kam über meine Lippe und ich schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal fühlte ich mich unter so vielen Menschen allein. Keiner verstand meine Gefühle zu Hayes. »Ich bin manipuliert, ja? Wer lässt sich denn von Gerüchten beeinflussen, anstatt sich eine Meinung zu machen? Ganz sicher nicht ich!« In dem Moment ging die Tür auf und die Chefin trat ein. Ihr Blick glitt zwischen uns beiden hin und her.
           »Was ist denn hier los?«, fragte sie sofort. »Nichts. Nur ein kleiner Streit«, sagte Liv, bevor ich dazu kam. Unsere Chefin runzelte die Stirn. »Ein kleiner Streit? Man hat euch sogar auf dem Klo gehört.« Betretendes Schweigen herrschte im Raum. Die Anspannung war deutlich spürbar und lastete schwer auf meinen Schultern. Alle Blicke lagen auf uns. Da ich noch ein paar Überstunden hatte, entschied ich mich dazu, mir jetzt frei zunehmen. Einfach, weil ich Liv für den Rest des Tages, besser gesagt für eine ganze Weile nicht sehen konnte. Doch dafür würden Überstunden nicht ausreichen.
         Mein Urlaub begann allerdings erst in zwei Wochen. Eine Schande. Zwei Wochen würde ich niemals mit ihr aushalten. Nicht, wenn sie Hayes so beschimpfte. »Ich... ich würde gerne Überstundenfrei für heute nehmen«, platzte es auch schon aus mir heraus. Unsere Chefin musterte mich überrascht. Ich war neu. Eigentlich konnte ich das nicht so einfach sagen, auf der anderen Seite konnte ich aber nicht anders. Ich musste... ich musste Hayes sehen. Jetzt. »Seid ehrlich. War der Streit so schlimm?«, hakte unsere Chefin nach. Ich nickte.
         »Sie hat meinen Gefährten beleidigt. Mehr als einmal. Und das kann ich nicht einfach hinnehmen. Wenn Sie also nicht wollen, dass ich vor den Kindern rumbrülle und sie anschreie, dann erlauben Sie mir bitte zu gehen. Ich kann einfach nicht. Nicht heute. Nicht morgen. Ich kann das einfach nicht einfach so tolerieren. Er bedeutet mir alles«, sagte ich und sah sie ernst an. Ihr Blick glitt zu Liv, die den Blick gesenkt hatte. Dann nickte sie. »Dann nehmen Sie sich den Rest des Tages frei und morgen teile ich Sie einer anderen Gruppe zu, bis Sie beiden wissen, ob Sie sich noch einmal versöhnen.«
       Dankbar lächelte ich sie an. »Vielen Dank.« Dann glitt mein Blick zu den Kindern. Sie wirkten traurig und fast etwas verunsichert. Das hier hatten sie noch nie mitbekommen. Liv und ich hatten noch nie gestritten. Jedenfalls nicht so. Es war neu für sie, so wie für mich. Nur konnte ich ihren Satz nicht einfach so hinnehmen. Jeder durfte seine Meinung haben, aber wenn sie diese Meinung behielt, konnte ich nicht mehr ihre Freundin sein. Diese Gedanken schmerzten mich. Ein kalter Schmerz durchzog meine Brust. Mal wieder.
         Letzte Woche hatten wir noch darüber gesprochen, wann wir ihr Kleid für die Hochzeit kaufen würden und dass ich Brautjungfer werden sollte. Jetzt aber schienen diese Tage in weiter Vergangenheit zu liegen. Jahre schienen letzte Woche und heute zu trennen. Alles war auf einmal anders. Und das nur, weil ich gesagt hatte, wer mein Gefährte war. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Eigentlich sollte ich nicht so überrascht sein. Dennoch hatte ein Teil in mir gehofft, dass Liv mir zuhören würde. Stattdessen hatte sie genau das getan, was alle anderen auch getan hatten.
         Das tat weh. Ich hatte gehofft, dass sie es nicht tun würde. Dass sie an meiner Seite stehen würde. Traurig wandte ich den Blick von den Kindern ab und ging meine Sachen holen. Leise verabschiedete ich mich von allen, bevor ich meine Mütze anzog und die Tür öffnete. Der Gang bis zur Eingangstür kam mir diesmal unendlich lag vor. Die Blicke der anderen schienen sich durch die Tür zu bohren und lagen auf mir. Besonders Livs Blick. Doch es war mir egal. Ich wollte nur nach Hause. Kaum hatte ich das Gebäude verlassen, kam mir ein eisiger Wind entgegen, der mich frösteln ließ.
         Seufzend holte ich mein Handy heraus, um Hayes zu schreiben, bis mir einfiel, dass er kein Handy mehr hatte. Er hatte es vor zwei Jahren im Wald verloren und hatte keine Gelegenheit gehabt, sich ein neues zu kaufen. Somit steckte ich es wieder weg. Genau in dem Moment hörte ich ein Rascheln, dass vom Waldrand zu kommen schien. Alarmiert und ruckartig hob ich den Kopf, nur um mich zu entspannen. Hayes stand dort in seiner menschlichen Gestalt. Seine Haare waren wirr und seine Klamotten schien er in Eile übergestreift zu haben. Von hier aus war schwer zu sagen, wie er mich ansah.
        Ein paar Sekunden standen wir beide einfach nur reglos da, dann rannte ich auf ihn zu. Meine Beine trugen mich wie von selbst. Mit jedem Schritt schien ich schneller zu werden. Das Bedürfnis, mich in seine Arme zu werfen, war groß. Ich musste seine Nähe spüren. Jetzt sofort. Vergessen war das Jucken seiner Markierung an meinem Hals. Vergessen waren die harten Worte, die ich mit Liv gewechselt hatte. Ich sah nur noch ihn. Kurz darauf schmiss ich mich in seine starken Arme und drückte ihn fest an mich.
         Meinen Kopf vergrub ich in seiner breiten Brust und seufzte erleichtert. »Was ist passiert? Ich habe auf einmal diese plötzliche Wut von dir gespürt. Du warst ganz aufgewühlt, also bin ich so schnell gekommen wie möglich«, hauchte Hayes und strich über meinen Rücken. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich schon wieder zitterte. Vermutlich waren die harten Worte doch noch nicht ganz vergessen. »Liv... ich habe ihr gesagt, dass du mein Gefährte bist, weil sie das Mal gesehen hat. Und da ist sie ausgerastet und hat dich beschimpft. Das hat mich wirklich wütend gemacht und wir haben gestritten«, wisperte ich und drückte mich noch fester an ihn.
        »Was hat sie gesagt?«, fragte er. Schnell schüttelte ich den Kopf. »Ich widerhole das sicher nicht, sonst kann ich nicht dafür garantieren, dass ich nicht zurückgehe und ihr eine klatsche.« Hayes lachte leise, was seine Brust gegen meine Wange vibrieren ließ. »Ach, Rieka. So schlimm war es sicher nicht, sie ist deine Freundin.« Ungläubig sah ich zu ihm auf. »Es war schlimm. Sonst hätte ich nicht diese Wut empfunden, Hayes. Sie hat dich ein Monster genannt. Es hat mich alle Selbstbeherrschung gekostet, sie nicht zu schlagen. Wirklich. Das war pure Selbstbeherrschung. Sonst bin ich eigentlich nicht so, aber das hat mich echt wütend gemacht«, erwiderte ich.
        Hayes hob überrascht eine Braue und sein Blick glitt zum Kindergarten. Er runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen. Dann sah er wieder zu mir. »Das hat sie gesagt?«, fragte er nach. Ich nickte. »Was denkst du, wieso ich so zittere? Meine Wut zu unterdrücken war noch nie so schwer.« Hayes schenkte mir ein kleines Lächeln und strich weiter über meinen Rücken. Seine Berührung tat gut, besonders, da sie das Jucken an meinem Hals schwächte. »Ist schon gut. Man hat mich weitaus schlimmer beleidigt. Aber es ist süß von dir, dass du mich so verteidigst. Das würdest du nicht bei jedem machen.«
          Da hatte er recht. Eigentlich hielt ich mich mit so etwas immer zurück. Doch jetzt konnte ich das einfach nicht mehr. Sie hatte ihn schwer beleidigt. Auch, wenn Hayes das nichts auszumachen schien. Mir machte es etwas aus. Sogar sehr. »Aber sie ist deine Freundin. Bist du sicher, dass du dich ab jetzt für immer mit ihr str-«, fing er an, doch ich ließ ihn nicht ausreden. »Sie hat dich beleidigt und hat mir nicht mal geglaubt, als ich ihr sagte, dass du mir nie wehtun würdest. Sie hat sogar gesagt, ich sei von dir manipuliert«, erklärte ich hart und sah ihn ernst an.
»Sie lässt sich von Gerüchten beeinflussen. Denkst du, dass ich das einfach so hinnehme? Ich möchte keine Freundin haben, die sich so von Gerüchten beeinflussen lässt, Hayes. Besonders nicht, wenn sie dich dann auch noch beleidigt. Jeder lässt sich mal von Gerüchten beeinflussen, klar. Aber man sollte sich doch die Mühe machen, den anderen zu verstehen.« Hayes sah mich lange stumm an. Er schien zu verstehen, dass er mich heute davon nicht mehr überzeugen konnte. Dennoch sagte er: »Sie sorgt sich nur um dich.«
           Ein kaltes Lachen kam über meine Lippen, bevor ich es verhindern konnte. Dieses Lachen war mir fremd, doch heute kam es schon zum zweiten Mal. Ob das gut oder schlecht war, konnte ich nicht genau beurteilen. »Wenn sie sich wirklich um mich sorgen würde, oder ich ihr wichtig wäre, dann würde sie mir auch zuhören und mir glauben. Sie würde wissen, wie wichtig du mir bist und würde versuchen es zu verstehen.« Hayes schüttelte den Kopf. »Nicht wenn sie denkt, dass ich der Böse bin und dich manipuliert habe.«
         Ich bewunderte ihn. Alles in mir wollte sie hassen, während Hayes versuchte mir ihrer Intentionen klar zu machen. Eigentlich sollte er wütend auf sie sein, sollte sie hassen und sollte diese Beleidigung nicht einfach so hinnehmen. Doch genau das tat er nicht. Er nahm es einfach so hin und versuchte mir klar zu machen, dass sie sich um mich sorgte. »Siehst du? Genau deswegen sollten die Leute das nicht über dich sagen. Du bist viel zu gut für diese Welt«, hauchte ich und spürte, wie Tränen in meinen Augen aufstiegen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen, dann drückte er einen Kuss auf meine Stirn.
         »Warum sollte ich sie hassen? Das würde nur beweisen, dass ich so bin, wie sie über mich sagen. Außerdem möchte ich nicht, dass eure Freundschaft wegen mir zerbricht. Sie sorgt sich nur um dich. Das ist nichts, wofür ich sie hassen sollte«, hauchte er und sah mich an. Da war so viel Güte in seinen Augen. So viel, dass es fast wehtat. Ich verstand nicht, wie man diesen Mann falsch verstehen konnte, warum sich keiner Mühe gab ihn auch nur zu verstehen. Ich verstand es nicht und wollte es auch gar nicht erst verstehen.
        Das alles machte keinen Sinn. Er war so gutherzig, so toll und fürsorglich. Wenn sie sich alle mehr Mühe geben würden hinter die Gerüchte zu blicken, würden sie einen Mann sehen, der so toll war, wie sonst keiner. Ich wünschte mir, dass die Leute ihn besser verstehen würden. Doch so schnell würde das wohl nicht passieren. Da konnte ich lange davon träumen. »Ich wünschte, es wäre nicht so.
          Ich wünschte, dass die Leute dich verstehen würden. Aber sie lassen sich von Gerüchten leiten«, meinte ich und sah ihn an. Er lächelte leicht. »So ist das Leben, Rieka. Doch es stört mich nicht. Weißt du auch warum nicht?« Fragend sah ich ihn an. »Warum?« Das Lächeln auf seinen Lippen wurde breiter. »Weil die Person, die mir am wichtigsten ist, an mich glaubt und mein wahres Ich sieht. Da ist der Rest der Welt egal.« Seine Worte rührten mich zu Tränen und ich drückte mich noch fester an ihn.
        Meine Lippen wollten wie von selbst den Weg zu den Seinen finden, doch er hielt mich auf. »Wenn du mich jetzt küsst, kann ich nicht mehr aufhören und es ist sehr kalt. Lass uns lieber nach Hause«, hauchte er. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Es war zwei. Die Mädchen würden jetzt nach der Schule wieder mit ihnen trainieren. In der Früh hatten sie das heute auch getan, da ein wichtiges Spiel bevorstand. »Ich möchte gerne mit zum Training«, sagte ich und sorgte so dafür, dass Hayes überrascht blinzelte.
       »Bist du sicher, Rieka? Das dauert zwei Stunden.« Grinsend nickte ich. »Ja, ich weiß. Aber ich will trotzdem mit«, hauchte ich. Hayes lächelte. Es war ein strahlendes, ehrliches Lächeln.

Hayes - "Sie gehört zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt