Kali

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Jeder Mensch kennt es. Jeder Mensch tut es. Jeder Mensch will es. Sich anpassen, normal sein, cool sein, so sein, wie andere dich wollen.

Auch ich kann nichts anderes von mir behaupten. Ich probierte die ganze Zeit, wenigstens annähernd normal zu sein. Ich war sogar relativ beliebt und spielte ihnen allen etwas vor. Außer meiner Familie. Sie wussten davon und waren für mich da. Besonders meine Schwester Kali. Sie ist 'normal'. Sie versteht mehr davon, was in mir los ist, als ich selber.

»Emma? Kannst du mir beim Essen machen helfen?«

»Ich gehe zum Tanzen.«

»Bitte, es gibt doch gleich essen.«

»Ich will grade aber tanzen, Kali. Ich esse später.«

»Ich hab dich lieb.«

Sie sagte es mir jedesmal, wenn wir uns verabschiedeten. Ich hatte nie geantwortet, doch sie sagte es mir immer wieder. Und ich finde es gut, ich weiß nicht wieso.

Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch eine Leidenschaft hat. Wer dies jetzt verneint, hat sie nur noch nicht gefunden. Meine war das tanzen. Ich hatte schon vor meiner Diagnose getanzt. Es ist eine kurze Zeit, in der ich alles vergessen kann und mich kurz normal fühle. Wenn ich tanze fühle ich mich wie schwerelos. Frei.

In unsere Stadt gab es eine kleine Halle mit einer Bühne. Am Wochenende waren dort manchmal Auftritte, doch innerhalb der Woche war sie meistens leer. Ich hatte von der Stadt sogar einen Schlüssel bekommen, und durfte dort üben. Ich tanze eine Art von Ballett. Nicht ganz so, wie man es sich vorstellt. Es ist moderner, mehr ich.

»Na, Emma. Ich bin gleich fertig mit putzen, dann kannst du üben.«

»Okay, Olga«

Olga war eine Putzfrau, die dort manchmal sauber machte. Ich kannte die Leute die dort arbeiten ganz gut.

Als sie endlich fertig gewesen war machte ich das Licht, bis auf die Scheinwerfer aus und stellte mich auf die Bühne. Ich tanzte mir die Seele aus dem Leib, war wieder frei, bis mein Handy klingelte. Scheiß Dinger.

»Was ist Kali? Du weißt doch, dass ich tanzen bin.«

»Tut mir ja leid, dass ich störe, aber dein Freund ist hier und du bist schon so lange weg. Kommst du nach hause?«

Und mit dieser Entscheidung schaufelte ich mir mein Grab immer tiefer.

»Bin schon unterwegs.«

EMMAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt