Kapitel 1

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Revanna

"STOOOPP!! Gott verdammt nochmal! Da ist eine verfickte Ampel und sie ist rot. Argh! Komm sofort zurück!" Energisch packte ich meinen Schützling an den Schultern und stieß ihn, noch während ich selbst einem Auto auswich, auf den Gehweg zurück. Zu behaupten, dass ich überfordert sei, wäre an dieser Stelle eine gnadenlose Untertreibung.

Bei einem erneuten Versuch den Mann, der immer noch seine Nase in der Zeitung stecken hatte, auf dem Gehweg zu behalten, trat ich in eine abgestandene Pfütze, drehte mir meinen Fuß um, stolperte über den Bordstein und legte mich der Länge nach hin. "Verfickte Scheiße!" Aus den Augenwinkeln konnte ich wahrnehmen, wie die Fußgängerampel grün wurde und mein Schützling sich gemütlich auf den Weg machte. Ich knurrte, drückte mich vom Asphalt hoch und humpelte, in rekordverdächtiger Zeit hinter dem Mann her.

Ich hasste ihn. Ich hasste ihn. Ich hasste, hasste, hasste ihn. Und das, Ladies and Gentlemen, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Wenn ein gewöhnlicher Mensch einen anderen Menschen hasste, gab es, für ihn viele wundervolle Optionen, um diesen Menschen loszuwerden. Freundschaft kündigen. WhatsApp Account blockieren. Zur Adoption frei geben. Kidnappen und nach Mexiko verschiffen lassen. Massakrieren. In ein anderes Land ziehen. Den eigenen Tod vortäuschen. Den Haien in Sea World zum Fraß vorwerfen. Kannibalismus. Mord. Bedauerlicherweise, musste ich viele dieser Optionen ausschließen.

"Straßenlaterne! Ey! Da ist ne Straßenlaterne!" Meinem Schützling war dies egal. Offen gesagt war ihm, in dieser Sekunde scheinbar alles egal. Seinen Kaffee schlürfend und seine Zeitung lesend, lief er über den überfüllten Fußgängerweg mitten in Aberdeen und das zur absoluten Rush hour. Autos und Menschen soweit das Auge reichte.

"Stopp! STOPP! Da ist ein ‚Parken Verboten Schild'!" Ohne eine Sekunde zu zögern, lief ich neben den, sicherlich geistig verwirrten Mann und stieß ihm in die Seite. Mit einem leisen "Uff" wich er dem Schild somit aus. Ohne aufzusehen. Ich dagegen trat fast in Hundescheiße, versuchte dieser noch auszuweichen und schlug so meine Schulter gegen die Metallstange. Ja. Jetzt war es offiziell. Mein Tag war am Arsch.

Wütend blieb ich stehen. Meine Gelenke und Knochen knacksten laut, als ich sie wieder einrenkte und für einige Momente dachte ich darüber nach, vor das nächst beste Auto zu springen. Vielleicht vor einen Lamborghini oder einen Porsche. Dann hätte mein sinnloser Abgang wenigstens etwas Stil. Wow, kaum zu glauben, zu welchen Gedanken mich mein Job angestiftet hatte. Nur langsam glitt mein sehnsuchtsvoller Blick von der Straße wieder auf den Gehweg.

Scheiße! Wo um alles in der Welt...

"Aua! Hey! Haben Sie keine Augen im Kopf!" Gefunden.

Lautes Hundegebelle und die wütenden Schreie einer alten Dame, ließen mich schnell wieder zu meinem Lieblingsmenschen zurück finden. Dieser lag in einigen Metern Entfernung mit dem Gesicht voraus auf dem Boden. Sein Kaffee war verschüttet und seine Zeitung war dabei vom Wind zerpflückt zu werden. Stöhnend hielt er sich sein Bein, während er versuchte den wütenden Blicken der alten Dame und ihres fetten Köters auszuweichen. Bei dem Anblick seines aufgeschrammten Knies und der kaputten Hose, zischte ich einmal leise auf und ließ meinen Kopf zwischen meinen Schultern verschwinden.

Oh, ich würde ja sowas von meinen Job verlieren!

"Du völlig beschränkter, dämlicher, inkompetenter Idiot! Da guck ich einmal, nur ein einziges, verdammtes mal weg und was machst du?! Du stolperst über das einzige Kieselsteinchen, das sich auf diesem Gehweg befindet", fauchte ich Horst an.

War sein tatsächlicher Name Horst? Nein. War ich ihm bereits seit einem Jahr zugeteilt? Ja. Hatte ich seinen richtigen Namen schon nach zwei Tagen vergessen und ihn kurzfristig einfach Horst genannt? Möglicher Weise.

The One who was ForgottenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt