1.2 - "Gegen den Strom schwimmen muss anstrengend sein."

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22:57 Uhr

Nummer Vier: Eyas

Was tust du auf einer Feier, auf der du Niemanden außer der viel zu freundlichen Gastgeberin kennst?
Auf andere zugehen? Neue Bekanntschaften schließen? Das klang für mich nach reichlich viel Aufwand.

Doch bevor ich umdrehen konnte, um endgültig zu verschwinden, öffnete sich die Tür.
Ich wusste beim besten Willen nicht, wie lange ich schweigend da stand und Augenkontakt mit der Person gegenüber von mir vermied.

"Oh hi! Du gibst Clementine Nachhilfe in Mathe, richtig?", fragte mich eine männliche Stimme.

Daraufhin traute ich mich ihn zu mustern und stellte fest, dass es der ältere Bruder von meiner Nachhilfeschülerin war.
Ich wusste zwar, dass er Jasper hieß und auf die gleiche Schule ging, wie Clementine aber noch nie hatten wir miteinander ein Gespräch geführt. Bloß hastige Blicke ausgetauscht.

Er war gekleidet in einem karierten Hemd, sportlich gebaut, hatte hellbraune Haare und das was ich nie aus meinem Kopf bekam, zwei verschiedene Augenfarben. Sein linkes Auge war blau, wie das von seiner Schwester aber sein rechtes besaß eine braune Farbe. Der Typ war einfach ein Adonis, natürlich hatten wir vorher noch nie ein Wort miteinander gewechselt.

"Wie war dein Name nochmal?", wollte Jasper dann wissen, ohne noch länger auf eine Antwort auf seine vergangene Frage zu warten.

"Eyas.", gab ich wieder und wollte am liebsten von der Hecke neben mir, verschluckt werden.
Hier stand ich und schwärmte von seinem Aussehen, während er nichtmal wusste wie ich hieß.

Mein Gegenüber trat zur Seite: "Na dann Eyas, komm rein!"

Dies war die erste richtige Hausparty zu der sich meine Wenigkeit überhaupt hintraute und das bloß, weil ich ab morgen nichtmehr in Vilheim wohnen würde.
Den letzten Abend wollte ich eigentlich nicht alleine in meinem Zimmer hocken, wobei ich gerade gerne dort wäre, in meinen eigenen vier Wänden. Fuck.
Nach einem viel zu schüchternem Lächeln, betrat ich schließlich das Haus. Es war laut und stickig. Mein Zimmer war niemals laut und stickig.

"Es ist ziemlich voll, huh?", sprach Jasper mit mir über die Musik, "Magst du erstmal etwas trinken?"

Ich nickte. Ohne Alkohol würde ich hier gar nichts überleben.
Auch wenn ich selten auf Parties ging, hatte ich eine Schwäche für Substanzen, die mir freundlicherweise meine Nervosität entnahmen.
Er führte mich durch den Flur zur Küche, wo sich deutlich weniger Leute aufhielten.

Mit einer Handbewegung zeigte er dann auf den Tisch voller Flaschen und Becher: "Also zur Auswahl stehen-"

Selbstsicher griff ich nach der Glaßflasche voll Weißwein.

Jasper hob überrascht seine Augenbrauen: "Ein Mann, der weis was er will. Mir gefällt's."

Daraufhin stieg mit Hitze in die Wangen, während er mir einen Becher hinhielt.

"Ich bin, uhm, zur Hälfte Italiener.", erzählte ich und füllte dabei den Becher, "Wenn ich keinen Wein trinken würde, würde sich mein Großvater im Grab umdrehen."

"Ach, so ist das also!", mein Gegenüber lachte, was bei weitem besser als die dumpfe Musik klang, "Dann müsste ich ja Whiskey pur trinken, um meine irischen Vorfahren stolz zu machen."

Lächelnd legte ich die Flasche weg, nahm den Pappbecher aus seiner Hand und wollte noch etwas dazu sagen, doch in dem Moment kamen drei Personen in den Raum.

"Oh, hey Jasper!", begrüßte eine der drei Mädchen den Jungen und ignorierte mich dabei komplett.
Sie war hübsch, hatte lange, wellige Haare und eine Bluse mit Sonnenblumen drauf an. Wäre ich nicht homosexuell, würde ich Jasper wahrscheinlich gerade beneiden.

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