Vergessene Göttin

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Alynn machte Ene, Mene, Muh und zeigte auf den linken Gang: „Da lang sollten wir gehen."
Valtor und Celeste nahmen sich die Zeit, um ihr einen verständnislosen Blick zuzuwerfen. Danach wurden sie wieder vom Gefühl der Anspannung übernommen. Die Soldaten versuchten wieder zu ihnen zu stoßen. Sie mussten sich entscheiden. Für Celestes Zauber fehlte die Zeit, weshalb sie sagte: „Valtor, entscheide du dich."
Der Feuermagier starrte noch angespannter auf die drei Durchgänge und entschied sich schlussendlich für den mittleren Gang. Er hatte so ein Gefühl gehabt, dass nur dieser der richtige sein konnte. Bereits nach wenigen Minuten hörten sie das Echo von den Soldaten, die sich wieder einen Durchgang geschaffen hatten. Noch wussten diese aber nicht, dass die Bösen ihnen eine weitere Blockade geschaffen hatten.

Die Durchgänge führten wieder nur in eine Richtung. Nach mehreren Stunden, in denen der Gang abwärts ging, erreichten sie eine weitere große Öffnung in der Höhle - Nein, es war mehr ein Saal. Der Boden war glatt geschliffen. Die Wände waren mit Bannern und brennenden Fackeln behangen. In der Mitte des Saals hing ein riesiger Kronleuchter, der ebenfalls aus Fackeln bestand. In der Mitte stand eine Art Brunnen, der statt Wasser Lava führte.
„Sind wir da?", fragte Valtor und näherte sich dem Lavabrunnen. Er spürte eine seltsame Kraft, die ihn näher zu sich zog. Er zog seinen linken Handschuh aus und hielt die Hand nah über der Lava. Es fühlte sich so gut an, dass er seine Hand eintauchen wollte.
„Nein", antwortete Celeste nun und kam interessiert näher, „Aber ich frage mich, was das für ein Ort ist."
Geschafft wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und auch Alynn fragte von hinten: „Ist dir das nicht zu heiß?"
Valtor sah die beiden Frauen an. Seine Schwester entfernte sich wieder. Spürte er die Hitze nicht? Er machte einen Test und hielt seine Hand in die Lava. Sie fühlte sich an, wie die perfekte Temperatur beim Baden, aber war gar nicht heiß.
„Bist du verrückt?", fragte Celeste erst, sah dann aber, dass es ihrem Bruder nichts ausmachte.
Plötzlich hörten sie eine unbekannte Stimme: „Ich spüre die Kraft der Drachenflamme. Wer seid ihr, Fremde?"
Eine alte Frau erschien. Ihre Haut war faltig und eingefallen. Ihre Augen waren komplett weiß, genauso wie ihre Haare. Die Haut dagegen war fast schwarz. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid, das über die Jahre abgenutzt war und an ihrem dürren Körper nur schlaff herunterhing. Mit einem Stock suchte sie den Weg zum Brunnen. Auch ihr schien die Hitze nichts auszumachen.
„Wer seid Ihr?", fragte Celeste lieber, als ihr zu antworten.
Die Frau griff Valtor an der Schulter: „Du, sag den Außenstehenden, dass ich nur mit dem Träger der Drachenflamme spreche."
Valtor sah nur kurz zu den anderen beiden und sagte, „Das haben sie selbst schon gehört."
Die Frau sah Valtor durch ihre blinden Augen an: „Du bist nicht der Hüter der Drachenflamme. Dennoch besitzt du sie. Du hast ein dunkles Herz, doch die Drachenflamme wurde geschaffen, damit sie selbst Gutes schaffen kann. Es ist dein Schicksal Gutes zu tun."
Valtor spürte die verwirrten Blicke der anderen auf sich und schüttelte die Hand der Alten ab: „Wer seid Ihr?"
„Ich bin die Älteste der Ältesten der magischen Dimension", sprach sie ruhig, „Ich habe den großen Drachen mit eigenen Augen gesehen. Zum Schutz vor den Urhexen brachte mich der königliche Rat hierher. Aber mit dem Kampf gegen die Dunkelheit ging die Information um meine Existenz. Nun warte ich hier, bis die Drachenflamme zu mir kommt. Und heute kamst du zu mir, Kind des Feuers."
Sie nahm eine Glasflasche hervor und füllte etwas Lava hinein, dann übergab sie diese an Valtor: „Du bist nicht der Hüter, aber die Prophezeiung sagt, dass jemand zu mir kommen wird und ich dieser Person einen Schluck aus der goldenen Quelle des großen Drachens geben soll."
„Warum?", fragte Valtor, „Ich bin nicht gut. Ich habe ein dunkles Herz. Ich bin durch und durch Böse. Und ich habe auch nicht vor, das zu ändern."
„Sieh mir in die Augen", sagte sie und Valtor erkannte in ihr plötzlich die Göttin, die ihn in der letzten Nacht im Traum gewarnt hatte. Dann sagte sie: „So dunkel die Herzen auch sein mögen, in ihnen kann trotzdem das Licht des Guten aufleuchten. Und ist es nicht die Dunkelheit, in der das Licht am stärksten leuchtet?"
Der Schwarzmagier war verwirrt. Ihm würde es nicht freiwillig in den Kopf kommen, Gutes zu tun. Dafür war er nicht geschaffen worden. Die Urhexen hatten ihn geschaffen, um zu zerstören. Genauso wie seine Schwester. Und da bemerkte er, dass sie sich bereits ihren eigenen Lebensweg gewählt hatte.
„Du bist ein freies Wesen", flüsterte die alte Frau, dann wurde sie lauter, „Geht. Eure Verfolger sind bald hier."
Von einem Augenblick auf den anderen verschwanden die Fackeln, die Banner, der Brunnen – einfach alles. Valtor war verwirrt, aber nicht so sehr, dass er seine Umgebung vergaß. Er ließ eine Flamme in seiner Hand entstehen. In der anderen hielt er immer noch das Glas mit der Lava. Alynn und Celeste kamen angerannt.
„Was zur Hölle war das?", fragte die Junghexe und wurde nur kurz verwundert angesehen. Celeste drängte darauf, von diesem Ort zu verschwinden. Valtor entschied sich für einen Durchgang und Celeste ließ einen anderen einstürzen, um die Soldaten, die langsam näher kamen, in die Irre zu führen. Dann rannten sie. Zweifellos gehörte jeder der Tunnel zu den Schneeschlangen. Sie führten alle nur geradeaus. Nach mehreren Stunden kamen die Reisenden wieder draußen an. Sie schnappten nach der frischen Luft und merkten, dass sie auf der anderen Seite des Berges angekommen waren. Die Sonne ging gerade auf und lange Schatten zogen sich über das Tal, das inmitten des runden silbernen Gebirges lag. In der Mitte des Tales stand ein einzelner Berg, der schon fast an einen Würfel erinnerte.
„Wer sagt's denn?", Celeste grinste, „Das Herz der silbernen Krone."

Das silberne GebirgeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt