Die Schneeschlangen

74 2 0
                                    


Es gab schönere Arten nachts zu schlafen. Das dachte sich Valtor, als er zum fünften Mal in dieser Nacht auf dem Boden der kleinen Höhle aufwachte. Alynn benutzte seine Füße wieder als Kopfkissen, da sie ihr Bett - ein Berg aus Blättern, Gras und Heu - sofort an Celeste abgetreten hatte. Wahrscheinlich, weil sie sich einen guten Eindruck verschaffen wollte. Valtor zog seine Füße zu sich und stand auf. Vorsichtig trat er aus der Höhle heraus und sah auf das Dorf, das von der langsam aufgehenden Sonne angestrahlt wurde. Dann sah der Magier hinter sich. Der Berg vor ihnen schien tatsächlich aus Silber zu bestehen, denn selbst jetzt sah er silbern aus.
Valtor erinnerte sich wieder an den Ort, an dem die geheime Kraftreserve der Urhexen liegen sollte. Im Herzen der silbernen Krone. Er musste sich einen Überblick über das Gebirge verschaffen, damit er sich sicher sein konnte, wo sie hinmussten. Celeste war der gleichen Meinung, als ihr Bruder ihr seinen Vorschlag zum Frühstück machte. Und so machten sie sich daran, so schnell wie möglich den Berg zu besteigen.
Nun dauert so ein Aufstieg nicht unbedingt ein oder zwei Stunden. Die nächsten zwei Tage verbrachten die drei Reisenden damit zu klettern, zu wandern und Höhlen zum schlafen zu suchen. Der erste Tag war begleitet von einer warmen Sonne, der zweite von Starkregen, der sich, je höher sie kamen, immer weiter in Schnee verwandelte. Celeste hatte sich einen Umhang zum wärmen gezaubert, während Valtor sich mit seinem Feuer warmhielt, weil Alynn sich seinen Mantel geborgt hatte – zumindest hat sie es so bezeichnet, als sie dem Feuermagier in der ersten Nacht auf dem Berg heimlich den Mantel ausgezogen hatte, als er schlief. In der zweiten Nacht auf dem Berg holte Valtor sich seinen Mantel dann aber doch zurück. An keinen der beiden Tage gab es irgendwelche Vorfälle mit Agent Juste. Der Feuermagier hatte schon gewitzelt, dass er seine Gegnerin wohl schon am anderen Ende des Planeten suchte. Celeste war aber nicht zum Lachen zumute gewesen. Sie hatte nur gesagt, dass Valtor sich nicht über das Glück der Truppe lustig machen sollte.
Nun brach bereits der dritte Tag auf dem Berg an. Das letzte bisschen Regen war zu Schnee geworden und vor lauter Schnee konnte man die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Die Reisenden hatten in der letzten Nacht lediglich unter einem Vorsprung gesessen und Valtors Magie hatte herhalten müssen, um sie zu wärmen und zu schützen. Nun brauchten sie einen guten Plan, wie sie vorankommen sollten.
Alynns Plan, den Schneesturm einfach auszusitzen, wurde sofort verworfen, weil sie sowieso schon ein viel zu leichtes Ziel waren. Valtors Plan, einfach mit einem Schutzschild herumzulaufen, wurde aus demselben Grund verworfen. Auch wenn Valtor es nicht ganz verstand. Er dachte sich, dass sie sich bewegen müssten, um kein zu einfaches Ziel zu sein, und den Schutzschild hätte man durch den Schnee sowieso nicht gesehen.
Gerade als Alynn den nächsten Vorschlag brachte, dass sie doch einfach zur nächsten Höhle gehen könnten, krachte etwas in den Vorsprung. Mehrmals. Gestein splitterte herab. Dann tauchte eine menschengroße und noch längere weiße Schneeschlange vor ihnen auf.
Valtor stand schnell auf: „Dein Vorschlag ist gar nicht so dumm, wie ich dachte, Alynn. Schneeschlangen leben in Höhlen. Sie kann uns hinbringen."
Die Schlange zerbrach Valtors Schild, der um den Vorsprung war, und Celeste sagte zischend: „Zumindest wenn wir nicht ihr Frühstück sind. Diese Biester sind schlau."
Alynn hörte nicht und schleuderte einen Zauber gegen die Schlange. Diese bekam ihn in ihr Maul und zerdrückte ihn. Dann schnappte sie zu. Gerade noch konnte die Hexe ausweichen, bevor die Schlange sie erwischte.
„Wir müssen überlegter vorgehen", sagte Celeste ruhig, „Greift sie nicht an oder bewegt euch. Das reizt sie nur. Wir müssen sie irgendwie überlisten."
„Schmeichel ihr doch", scherzte Valtor, „Schlangen verstehen sich doch untereinander ganz gut."
Seine Schwester schnaufte: „Ich verfüttere dich gleich an das Biest."
„Wie wäre es stattdessen damit?", sagte Valtor und führte seine Hand langsam hinter den Rücken. Mit dieser ließ er einen Zauber entstehen. Hinter der Schlange stieg eine Feuerwand auf und das Schneetier ließ sich kurz ablenken. Celeste ließ dunkle Fäde naus dem Boden schießen, die die Schneeschlange sofort umwickelten. Gemeinsam griffen die Geschwister das Tier immer wieder an, bis es sich fügte.
„Du darfst", Celeste wies mit einem Grinsen auf das Tier und Valtor verpasste ihr sein Zeichen. Die Schlange legte sich untergeben vor den Feuermagier. Alynn rannte vor und machte Faxen. Dann fragte sie: „Und jetzt?"
Valtor sprang auf das edle Tier auf und sagte dann: „Sie wird uns zu ihrer Höhle führen."
Die beiden Frauen folgten ihm. Die jüngere Hexe schlang ihre Arme um den Magier, während die Großhexe die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht zog. Valtor zog seinen Mantel fester und gab der Schlange den Befehl sie zur nächsten Höhle zu führen. Eine halbe Stunde schlängelte sich das edle Tier über Vorsprünge und an tiefen Rissen vorbei, bis sie schließlich eine Höhle erreichten. Damit beendeten sie ihre Reise auf der Schlange aber noch lange nicht. Valtor entzündete eine Flamme in seiner Handfläche und sie ließen sich weiter tragen. Es ging abwärts. Weit abwärts. Es gab keine einzige Abzweigung. Nur diesen einen Weg. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich der Gang zu einer kreisförmigen Höhle und die Geschwister bemerkten, dass sie eine wichtige Sache vergessen hatten. Schneeschlangen hielten sich selten alleine auf. Zwei riesige Schlangen lagen vor ihnen. Im Durchmesser 5 Meter lang, die Länge schien unendlich. Um sie herum wuselten viele ihrer Kinder, die allesamt so groß waren wie die, die Valtor verzaubert hatte. Und hunderte von Schlangenköpfen, sowie die Eltern, streckten ihre teils auglosen Köpfe in Richtung der Flamme.
„Was jetzt?", fragte Valtor leise.
„Da hilft nur eins", sagte Celeste und stand langsam und vorsichtig auf. Sie stieg über Alynn hinweg und trat Valtor mit voller Wucht, sodass er auf den Boden stürzte und die volle Aufmerksamkeit der Tiere hatte. Hunderte von Schneeschlangen näherten sich langsam, während die Großhexe die Kontrolle über Valtors Schlange brachte und sich zum Rand der Höhle zurückzog. Dort angekommen rief sie noch: „Denk dran, wer du bist."
„Nicht hilfreich", knurrte Valtor und überlegte panisch, wie er diese Schlangen ausschalten sollte. Er versuchte sein ganzes Wissen über Schneeschlangen zu aktivieren. Sie lebten nur auf Domino. Früher hatten sie auf dem ganzen Planeten gelebt, doch dann kam der große Drache und hatte die biestigen Geschöpfe in die Berge vertrieben. Plötzlich ging Valtor ein Licht auf. Natürlich, das hatte Celeste gemeint. Er besaß doch einen Teil der Drachenflamme. Er ließ sich von den Schlangen umrunden. Immer weiter türmten sie sich vor ihm auf. Sie schnalzten mit den Zungen und die Augen derer, die noch welche hatten, blickten hungrig auf den kleinen Snack.
Valtor dachte an Bloom. Wut stieg in ihm auf. Wie oft hatte sie ihre ach-so-tolle-Magie gegen ihn eingesetzt? Dabei wusste sie doch gar nicht, was sie mit ihrem Teil der Magie anrichten könnte. Valtor spürte das grässliche Ziehen seiner Haut und das Stechen in seinem Rücken, als er sich in den Dämon verwandelte, der er doch war.
Ganz in Flammen stand er, als er so an die Göre dachte und er breitete das Feuer in der Höhle aus. Die Schlangen, deren Augen noch nicht verkümmert waren, zogen sich augenblicklich zurück. Die Blinden versuchten ihn zu beißen, schnappten sogar zu, aber verbrannten bei ihrem Versuch. Das Feuer breitete sich immer weiter aus und verbrannte weitere Schlangen, die nicht schnell genug waren. Nachdem die Eltern mehrere ihrer Kinder verbrennen sahen, spien sie wahre Schneestürme aus, aber das konnte Valtor nichts anhaben. Er stellte sich Bloom vor, die ihn angriff. Seine Wut wuchs und ein Feuersturm brannte über die ausgewachsenen Schneeschlangen hinweg.
Als alle Schlangen ausgerottet waren, ließ sich Valtor zu Boden sinken. Er nahm seine wahre Form an.
Celeste klopfte ihm auf die Schulter: „Gut gemacht, Flämmchen."
Valtor atmete schwer: „Die Drachenflamme kann so viel mehr, als dieses Prinzesschen zu erkennen vermag. Ich habe es gespürt. Selbst ich könnte so viel...mehr."
Plötzlich sank Valtor in sich zusammen und bewusstlos zu Boden.
„Alynn", kommandierte Celeste sofort, „Schau ob du hier fließendes Wasser findest. Es muss welches geben."
Als die Geschwister alleine waren, kniete sich die Großhexe zu ihrem Bruder und flüsterte: „Gib dich deiner Wut hin. Entfessele die wahre Macht der Drachenflamme und werde mein Hündchen. Gemeinsam setzen wir mich auf den Thron aller Dimensionen."

Das silberne GebirgeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt