»𝐂𝐡𝐚𝐩𝐭𝐞𝐫 𝟏«

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Grace Lodge

Man sagt jede Wunde heilt mit der Zeit, doch das stimmt nicht

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Man sagt jede Wunde heilt mit der Zeit, doch das stimmt nicht. Ich fühle immer noch diesen grauenhaften Schmerz, obwohl es schon ein Jahr her ist. Der Schmerz hat mich nie richtig verlassen, ich trage ihn immer in mir.
Es tut noch genau so weh, wie am ersten Tag. Mittlerweile weiß ich, dass mich dieser Schmerz nie verlassen wird, doch ich habe mich daran gewöhnt. Der Schmerz ist ein Teil von mir geworden.

Nachdem Zac ums Leben kam, verlor meine Existenz an Bedeutung. Denn seit ich ohne ihn bin, fühle ich mich so unvollständig.

Die Gesellschaft erwarten, dass die Zurückgebliebenen irgendwann über die Toten hinwegkommen und weiter Leben. Aber wie soll man weiter Leben, wenn einem die Seele brennt? 

Im Endeffekt muss man selbst über eine Tragödie hinwegkommen. Es ist nicht einmal möglich, dass Außenstehende diese Situation verstehen.
Egal was passieren wird, ich werde diese grausame Leere in mir bis ins Grab mitnehmen.

Er hat mein Leben verändert, er hat mich geprägt, er hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Wir waren schon als Kinder unzertrennlich, bis er ging...ohne mich mitzunehmen. Aber jetzt bin ich bereit, mit ihm zu kommen. Jetzt bin ich bereit dem Leben, Lebewohl zu sagen, um wieder bei ihm zu sein.

Mein Körper ist lebendig, doch meine Seele ist schon längst zu Asche geworden. Ich fühle mich verlassen, ausgestoßen von der Gesellschaft, ausgeschlossen vom Leben. Ich möchte nur bei ihm sein. Ich möchte wieder sein Atem auf meiner Haut spüren. Seine warme Nähe. Seine tiefgründige Liebe.
Ich habe nichts mehr, woran ich mich halten kann.

Meine Familie wird es verstehen, sie müssen es verstehen! Je länger ich am Leben bin, desto schwieriger wird es für mich. Ich muss zu ihm! Ich möchte ihn nicht allein lassen! Ich möchte nicht allein gelassen werden...

Das Leben hat keinen Sinn mehr ohne ihn, ich sehe ihn überall, ich habe das Gefühl verrückt zu werden. Ich rede mit ihm, aber er existiert nicht mehr, sein Herz schlägt nicht mehr. Deshalb sollte ich auch nicht mehr existieren, mein Herz sollte auch nicht mehr schlagen!

Seit ich ohne ihn bin, habe ich keine Angst mehr vor dem Tod, denn alles ist besser als ohne ihn auf dieser Erde zu sein.

Ich habe mich schon längst für den Tod entschieden.

Ein letztes Mal atme ich tief durch, der Sauerstoff durchströmt schnell mein Körper. Es ist eiskalt - das perfekte Wetter, um diese Welt zu verlassen.

Doch nun steh ich hier, allein auf diese Holzbrücke nah am steilen Wasserfall. Was habe ich noch zu verlieren? Was hält mich noch hier?
Er wird nie mehr zurückkommen, nie mehr wird seine Haut meine Haut berühren, nie mehr werde ich mich in seinen strahlend blauen Augen verlieren, nie mehr wird er hier bei mir sein, nie mehr.

»Ich werde zu dir kommen Zac«, sage ich, und steige daraufhin entschlossen über die Holzbrücke. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, ich spüre den plötzlichen Adrenalinschub. In diesem Moment ist die Kälte vergessen. Das Wasser ist tief schwarz durch die Spiegelung der Dunkelheit. Die Stille ist angenehm, das weiße Kleid was ich bewusst anzogen habe lässt mich erzittern, aber so will ich gehen.

»Goodbye Leben«, flüstere ich kaum hörbar. Dabei schließe ich die Augen, nehme mein ganzen Mut zusammen, lasse die Hände hinunter sinken und halte mich nicht mehr am Geländer fest.

Ich stoße mich in die tiefe Dunkelheit.
(558 Wörter)

𝐒𝐄𝐂𝐑𝐄𝐓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt