Chapter 2

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Zu spät bemerkte Emily, dass sie immer noch die Zigarette im Mund stecken hatte.
„Miss Brown, im Schulgebäude wird nicht geraucht." Mit einem kleinen Lachen drehte die Braunhaarige sich um. Vor ihr stand Connor in seinem Footballdress und mit hochgezogenen Augenbrauen. Emily nahm mit einem Augenverdrehen die Zigarette aus dem Mundwinkel. Ohne zu zögern löschte sie die Glut in ihrer Handinnenfläche. Wie immer. Connor zuckte kurz zusammen.
„Jedes Mal bekomme ich Gänsehaut, wenn du das tust." Emily schmunzelte.
„Musst du nicht beim Training sein?" fragte sie während sie ihre Hände in die Jackentasche steckte. Connor lächelte nervös.
„Hab mich mal wieder mit Garrit geprügelt. Der Coach hat mir eine Auszeit gegeben." Schon wieder, dachte Emily. So oft wie Connor und Garrit sich prügelten, konnte Emily schon gar nicht mehr zählen. Eigentlich waren Connor und Garrit ziemlich enge Freunde. Wieso, konnte Emily nicht verstehen. Garrit war genauso wie Connor ein Fuckboy. Nur das noch extremer. Während Connor bei der Sache noch einen gewissen Anstand hatte, schreckte Garrit vor nichts zurück.
„Das ist ja was ganz neues." gab sie sarkastisch wieder. Connor verdrehte die Augen. Die Tatsache, dass Emily mal wieder den Unterricht schwänzte ignorierte er. Emily machte was sie wollte und die Meinung anderer war ihr egal. Wenn jemand etwas an ihrem Aussehen auszusetzen hatte, lachte Emily nur. „Ich bin was besseres als jeder andere an dieser Schule." waren ihre Worte. Manche sagten sie wäre arrogant. Vielleicht hatten sie Recht. Emily war, was manche Dinge anging, arrogant. Doch sie war einfach nur selbstbewusst. Für den Geschmack anderer zu selbstbewusst. Doch es war ihr völlig egal. Das mochte er so an ihr.
„Was ist zwischen dir und Julia vorhin eigentlich passiert?" Emilys Lächeln verschwand. Wieder ging es um Julia und sie. Emily hatte es so satt.
„Wir hatten nur einen kleinen Streit." Automatisch musste sie an die Backpfeife denken, die Julia ihr gegeben hatte.
„Ich bin vielleicht ein kleines bisschen zu weit gegangen." Sie schmunzelte und zuckte mit den Achseln. Julia hatte es verdient, dachte sie. Emily musste weitaus mehr durch machen. Plötzlich hatte sie wieder Bilder vor Augen. Das Auto. Die Lichter. Ihr wurde das Licht im Schulflur viel zu hell. Die Narben, die Emily aus dieser Nacht hatte brannten und sie bekam Panik, während ihr Herzschlag schneller wurde. Sie musste weg und in Sicherheit. Ihr Atem wurde schwerer. Connor merkte, dass etwas nicht stimmte.
„Hey, alles gut?" Nein. Sie hatte wieder eine Panikattacke und es war nicht das erste Mal. Sie brauchte einen ruhigen Ort. Schnell sah sie sich um. Das Mädchenklo. Das Mädchenklo war zu dieser Zeit der ruhigste Ort, weil alle Schüler in ihren Klassen waren. Ohne etwas zu sagen ging sie an Connor vorbei ins Mädchenklo. Aus ihrer Jackentasche holte sie eine weiter Zigarette heraus. Es beruhigte sie, denn ihre Tabletten hatte sie in ihrem Spint, welcher zu weit weg war. Die Braunhaarige wollte gerade die Zigarette anzuzünden, als sie merkte, dass sie nicht allein war. Auf einem Waschbecken saß ein blondes Mädchen. Vor ihr stand ein rothaariger Junge. Beide waren dabei miteinander rum zu machen. Als sie Emily bemerkte sahen sie diese geschockt an. Emily sah den roten Lippenstift um den Mund des Rothaarigen. Sie tat als wäre nichts und zündete mit ihrem Feuerzeug ihre Zigarette an. Besser gesagt versuchte sie es. Ihr Feuerzeug war schon seit längerem kaputt. Aber sie hatte noch nicht die Zeit gefunden sich ein neues zu besorgen. Sie inhalierte den Qualm, ließ ihn für zwei Sekunden in ihrer Lunge, blies ihn wieder aus.
„Ich will kein Gestöhne oder der gleichen von euch hören." War alles was sie sagte bevor sie sich in eine Kabine setzte. Wieder hatte sie die Bilder vor Augen. Die Glassplitter, die überall herum geflogen waren. Immer noch brannten ihre Narben an ihrem rechten Auge. Sie hatte das Blut vor Augen und Haileys lebloser Körper. Der metallischer Geschmack kam in ihren Mund. Sie hörte in ihrem Kopf Charlies Schreie nach Hilfe. Ihr Atem wurde wieder schwerer, so dass ihr die Zigarette aus ihrem Mund fiel. Ihr ganzer Körper zitterte und schmerzte. Sie brauchte ihre Tablette, so sehr es sie nervte. Der Versuch aufzustehen, scheiterte. Verzweifelt lehnte sie sich zurück.
„Verdammt." stöhnte Emily. In ihrem Ohr war ein durchgehendes Piepen. Plötzlich knallte die Kabinentür auf. Bevor Emily irgendwas realisieren konnte, versuchte Julia sie schon wach zu rütteln. Emily erkannte schwach die Silhouette von Thomas. Die Braunhaarige fing an zu husten. Ein stark metallischer Geschmack machte sich in ihrem Mund breit. Erschrocken merkte sie, dass sie Blut ausgespuckt hatte. Vor Emilys Augen wurde alles schwarz. Sie versuchte dagegen anzukämpfen. Hecktisch holte Thomas Emilys Tabletten aus seinem Mantel und eine Wasserflasche aus seinem Rucksack. Vorsichtig legte Julia Emily die kleine weiße Tablette in den Mund.
„Hey Emily, du musst die Tablette runter schlucken." Aber Emily reagierte nicht.
„Hey, Einstein komm wieder zu dir." Langsam öffnete die Brünette ihren Mund, so dass Julia ihr die Tablette runter spülen konnte. Emily fing wieder an normal zu atmen. Vor Erleichterung atmete Julia auf. Sie musste Emily jedoch immer noch stabilisieren. Als sie ihre Haarsträhne aus dem Gesicht strich sah sie Emilys Narben. Eine kleine, die durch ihre rechte Augenbraue ging und eine etwas gebogene an ihrer rechten Schläfe bis runter zu ihrem Wangenknochen. Sofort musste sie an die Nacht denken, in der Emily diese Narben bekam. Es war der Tag nach Julias Geburtstag gewesen. Julia erinnerte sich daran wie sie im Krankenhaus waren und wie sie Emily's Krankenzimmer betrat. Wie Emily da gelegen hat, blutverschmiert durch die Schnitze in ihrem Gesicht, in dem weißen Bett. Sie erinnerte auch an den gerade Schnitt an ihrem Hals, der immer noch deutlich als Narbe zu sehen war. Tränen bildeten auch in Julia's Augen. Sie schlang ihre Arme im Emily's Körper und hielt sie als würde sie jeden Moment verschwinden. Oft schon war Emily bei einer Panikattacke bewusstlos geworden. Ihr Arzt meinte, dass es nichts zu befürchten gäbe und viele bei so etwas bewusstlos wurden. Aber noch nie war sie so lange bewusstlos gewesen. Selbst Thomas machte sich langsam sorgen. Besorgt sah er zu Connor, der nervös auf seiner Lippe biss. Es war eine schlechte Angewohnheit von ihm, aber damit aufzuhören war für ihn quasi unmöglich. Stöhnend fand Emily wieder zu sich und sah verwirrt Julia an, als sie realisierte, dass sie sie umarmte.
„Ähh...Prinzessin, ich stehe nicht so auf Körperkontakt. Also bitte nimm deine Finger weg." Die alte Emily war wieder da, die sofort von Julia losgelassen wurde. Sie stand auf und machte auf dem Absatz kehrt. Währenddessen half Thomas seiner besten Freundin auf die Beine und schüttelte dabei den Kopf.
„Was?" fragte Emily genervt. Wie konnte sie etwas falsch gemacht haben, wenn sie nicht mal bei Bewusstsein gewesen war. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Der Grund, wieso er ziemlich sauer auf sie war, war ihr Verhalten gegenüber Julia. Hätte sie nicht so schnell reagiert, dann wäre Emily sonst etwas passiert. Dafür hätte sie wenigstens ein bisschen Dankbarkeit zeigen.
„Du hättest dich wenigstens mal bedanken können." Emily sah ihn ungläubig an.
„Soll ich ihr jetzt einen Präsentkorb schicken oder was?" Thomas stöhnte auf, während er seine Augen verdrehte. An Tagen wie diesen konnte er sie nicht ausstehen.
„Gott verdammt Emily. Du machst es mir echt schwer dich in Schutz zu nehmen." Ihr Blick wurde härter. Mit aller Kraft biss sie die Zähne zusammen.
„Ich hab dich nicht darum gebeten mich in Schutz zu nehmen." knurrte sie. Thomas strich sich eine Strähne seiner schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Sie waren ziemlich lang geworden
„Unter Freunden macht man so etwas aber." Er drehte sich um und verschwand aus dem Mädchenklo. Connor, der Julia hinterher gelaufen war, stand vor der Tür.
„Ist alles gut bei ihr?" fragte er besorgt und sah dabei leicht auf den Boden. Er gab sich ein wenig die Schuld dafür, weil er nicht früh genug realisiert hatte, dass sie eine Panikattacke hatte. Verzweifelt fuhr Thomas sich durch die langen schwarzen Haare.
„Sie ist so wie immer." Connor lachte und klopfte Thomas auf die Schulter. Viele würden nicht glauben, dass Thomas und Connor beste Freunde waren. Nicht nur ihr Aussehen auch ihre Persönlichkeiten waren so unterschiedlich. Aber seit Connor in der achten Klasse versucht hatte bei Thomas in einem Chemie Test abzuschreiben und ihn danach nicht mehr in Ruhe gelassen hatte, waren die beiden Jungs ein Power-Duo.
„Mach dir keinen Kopf, ich bring sie nach Hause, Tommy." Er nickte. Währenddessen war Emily aus der Toilettenkabine rausgekommen. Die Blondine und der rothaarige Junge sahen beide völlig verwirrt zu Emily. Die beiden hatte Emily schon völlig vergessen.
„Ist was?" Beide schüttelten heftig mit dem Kopf. Sie stellte sich vor dem Spiegel und wischte sich das Blut vom Mund. Sie hatte sich vor Schmerzen so doll auf die Zunge gebissen, dass sie angefangen hatte sehr doll zu bluten.
„Ach scheiße." murmelte sie. Ihr Blick blieb bei ihren Narben hängen. Dabei ließ sie einen tiefen Seufzer aus.  Von der Seite spürte sie den Blick des rothaarigen Jungen. Eins der Dinge, die sie sehr hasste, war es beobachtet zu werden. Es machte sie wahnsinnig, wenn man sie anstarrte. Meistens starrten die Leite sie an wegen ihren Narben und nichts auf der Welt hasste sie mehr als ihre Narben. Vielleicht Julia, aber nur an sehr schlechten Tagen.
„Mach ein Foto, das hält länger, Rotkopf." Emily drehte ihren Kopf zu den beiden Teenagern. Ertappt sah der Junge auf den Boden. Ohne einen weiteren Kommentar abzugeben, verließ Emily die Toilette der Mädchen. Sie guckte ein wenig zusammen, als Connor plötzlich vor ihr stand.
„Ich fahr dich nach Hause. Julia hat im Sekretariat deine Eltern angerufen und die Lehrer wissen auch Bescheid." Dass Julia das getan hatte löste in Emily ein seltsames Gefühl aus. Sie fühlte sich schuldig. Julia kümmerte sich trotzdem um Emily, obwohl diese Julia behandelte wie das Letzte. Aber so schnell wie das Gefühl kam, verschwand es auch wieder. Julia konnte nicht das gut machen, was sie getan hatte. Was sie gesagt hatte.
„Mir geht's gut. Ich brauch nicht nach Hause gefahren zu werden." Connor sah das Mädchen vor ihm ungläubig an. Sie war schon immer unbeschreiblich stur gewesen.
„Emily, du hattest einen Zusammenbruch. Du wirst von mir nach Hause gefahren." Die braunhaarige verdrehte die Augen und wollte eine Zigarette aus ihrer Tasche ziehen, doch Connor hielt ihr Handgelenk fest. Sein Griff wurde immer fester. Connor merkte, dass er ihr weh tat und lockerte seinen Griff. Mit einem tiefen seufzen ließ er Emily's Handgelenk los. Er war nicht wie Thomas oder Julia. Er war nicht ständig besorgt um Emily. Sie konnte auf sich selbst aufpassen. Schließlich war sie alt genug. Doch es störte ihn, wie egal Emily ihre Gesundheit war. Sie hatte eine Panikattacke gehabt und das Rauchen von Zigaretten würden ihr nicht dabei helfen wieder zu regenerieren. Mit dem Rauchen hatte Connor ein großes Problem. Seine Mutter war Raucherin und es machte sie kaputt. Dabei schadete sie nicht nur sich selbst, sondern auch seiner kleinen Schwester Charlotte. Er hasste es. Er sah keinen Sinn im Rauchen. Klar machte es ihn sauer, dass jemand, der ihm so nahe stand wie Emily, so etwas tat.
„Komm jetzt." brummte er und ging den Schulflur entlang zum Ausgang. Emily trottete hinter ihm her bis zum Parkplatz. Die gesamte Autofahrt über sagte niemand ein Wort. Es herrschte eine drückende Stille. Während Connor es unerträglich fand, war Emily ziemlich froh darüber. Sie wollte nicht mit ihm reden. Sie wollte gar nicht reden. Für sie war Stille beruhigend und half ihr, sich zu entspannen. Überraschenderweise wollte sie nach Hause und war froh, dass Connor sie dorthin fuhr. Ganz leise ertönte aus dem Radio Musik.
„Woher wussten Thomas und Julia wo ich war?" fragte Emily nach einer ganzen Weile an Stille. Der blonde Junge sah sie kurz an, widmete sich dann wieder der Straße.
„Nachdem du zehn Minuten im Mädchenklo warst, hab ich mir Sorgen gemacht. Aber ich habe mich nicht getraut reinzukommen. Ich meine, es ist das Mädchenklo. Julia und Thomas kamen zufällig vorbei und ich hab Julia gefragt, ob sie mal nach dir sehen kann. Tommy wurde ganz nervös, lief zu deinem Spint und dann sind beide ins Mädchenklo gestürmt. Danach hab ich mich auch getraut." Emily nickte stumm und sah wieder aus dem Autofenster. Es war nicht das erste Mal m, dass Emily so eine Panikattacke hatte in der Schule. Seit dem Unfall hatte sie sie immer wieder gehabt. Nach jeder hoffte sie, dass es die letzte gewesen wäre, aber da konnte sie lange drauf hoffen. Connor hielt vor ihrem Haus an.
„ Da wären wir." verkündete er mit einem Lächeln. Emily murmelte ein kurzes „Danke" und stieg aus Connor's schwarzen Ford Mustang. Connor nickte ihr nur zu und fuhr dann den Weg zurück zur Schule. Sie liebte seinen Wagen. Schon immer gehörten alte Autos zu Emily's Schwächen. Besonders Connor's alten Ford Mustang. Nur ließ er Emily nie damit fahren. Sein schwarz-weißes Auto behandelte Connor wie einen Schatz. Mit einem Gähnen ging Emily auf das große Familienhaus zu, das sie Zuhause nannte. Sie schaffte es nicht mal die Tür aufzuschließen, denn ihr älterer Bruder Charlie riss die Tür auf.
„Wie geht es dir?" rief er sofort. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Mit niemanden aus ihrer Familie hatte Emily so viel Ähnlichkeit wie mit Charlie. Die gleichen braunen Haare, die gleichen klaren grünen Augen.
„Lässt du mich wenigstens noch rein bevor du den großen Bruder raushängen lässt?" Emily spürte wie müde sie plötzlich wurde. Eine der Nebenwirkungen ihrer Tabletten. Charlie machte einen Schritt zur Seite und ließ seine kleine Schwester eintreten. Er sah wie müde sie doch war.
„Darf ich?" fragte er, mit ausgestreckten Armen um Emily zu stützen und sah sie dabei fürsorglich an. Dass er sie nicht anfassen durfte wusste er. Deshalb fragte er immer vorher nach. Seit dem Unfall reagierte Emily auf Berührungen, als wäre sie dagegen allergisch. Ihr Bruder war der einzige, der sie wirklich verstand. Schließlich war er damals dabei gewesen und hatte das gesehen, was sie gesehen hatte. Emily nickte stumm als Antwort auf seine Frage. Für Charlie war sie das wichtigste. Schon immer hattet er auf sie aufgepasst. Jedenfalls hatte er es versucht. Anstatt sie einfach zu stützen, drehte er sich um und ging in die Hocke. Verwirrt sah die 18-jährige ihren Bruder an.
„Was wird das?" Charlie lachte. Als Emily noch ein Kind war, wollte sie immer, dass Charlie sie auf seinem Rücken trug. Sie hatte dann immer so getan, als wäre sie ein Ritter und Charlie ihr Pferd. Hailey war immer der Drache gewesen, den Emily besiegen musste. Mit einem Lineal als Schwert, war sie dann auf Hailey gesprungen. Bei dem Gedanken an Hailey brach Charlie's Lachen. Sie fehlte ihm so sehr.
„Steig auf, ich trag dich nach oben." Emily war zu müde um zu widersprechen. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen stieg sie auf den Rücken ihres Bruders. Erinnerungen kamen in ihr hoch. Es fühlte sich gut an, mal wieder von Charlie getragen zu werden.
„Puh, du bist schwer geworden." Emily stieß ein „Pff" aus und legte ihren Kopf auf Charlie's Rücken.
„Jetzt geh schon, bevor ich auf deinem Rücken einschlafe." Charlie schüttelte den Kopf und ging die Treppe hoch bis in Emily's Zimmer. Ihr Zimmer war schlicht. Sie hatte ein Doppelbett auf dem ihr Laptop lag. Neben ihrem Bett stand ein Nachttisch mit nur einem Buch drauf. Gegenüber von ihrem Bett stand ihr schwarzer Schreibtisch, auf dem ihre Schreibmaschine stand. Emily liebte das Ding über alles. Es war ein Erbstück von ihrer Urgroßmutter gewesen. Auf der anderen Seite ihres Zimmers war neben ihrer Kleiderstange, an der ihre Pullover, T-Shirt und ihre Mütze hingen, ein großer Spiegel. Schräg gegenüber hatte sie sich den Plattenspieler hingestellt, mit einer Kiste an Vinylplatten, den sie zum 16ten Geburtstag von Charlie bekommen hatte. Schon immer hatte sie einen gewollt. Er musste den ganzen Sommer über bei Mountain Mike's Pizza jobben um ihn ihr zu schenken. Auf der Kiste mit Vinylplatten lag ihre alte Polaroidkamera, die sie auf dem Dachboden gefunden hatte vor 2 Jahren. Sonst hatte sie außer ein riesiges Bücherregal nichts weiter in ihrem Zimmer. Keine Poster, keine Bilder mit Freunden. Charlie legte seine kleine Schwester vorsichtig in ihr großes Bett.
„Charlie..." ging Emily an doch brach müde wieder ab. Der Braunhaarige zog ihr die blaue Jacke aus und dann die schwarzen Doc Marten Stiefel.
„Ja? Brauchst du irgendwas? Ist alles gut?" Emily nickte leicht.
„Du hast mich auf meinen Laptop gelegt. Es ist ziemlich unbequem." Sofort zog Charlie den Laptop unter Emily hervor. Während er ihren Laptop auf den Schreibtischstuhl legte, deckte Emily sich mit ihrer Decke zu. Sie war bereit einzuschlafen und für einen kurzen Moment hatte sie sogar ihren Bruder vergessen.
„Willst du Thomas oder Julia Bescheid sagen, dass es dir wieder gut geht?" fragte er. Emily rollte auch mit einem Stöhnen auf die rechte Seite.
„Erwähne bloß nicht diesen Namen. Charlie legte den Kopf schief.
„Welchen? Julia?"
„Ja." Er sah sie an ohne etwas zu sagen. Er wusste was zwischen ihr und Julia passiert war. Nur dachte er, dass die beiden Mädchen so langsam ihren Streit geklärt hätten.
„Du kannst nicht ewig sauer auf sie sein." Emily drehte sich um, um ihren Bruder anzusehen. Sie konnte nicht glauben, dass er ihr so etwas sagen würde. Keiner verstand wie enttäuscht Emily von Julia war. Und wie sie sie verletzt hatte. Julia war das perfekte Mädchen, natürlich würde niemand ihr was übel nehmen. Es war ja immer nur Emily's Fehler. Es war ja immer Emily, die falsch lag.
„Du weißt genau was sie getan hat." Alleine der Gedanke an diesen Tag machte Emily so sauer.
„Emily, Irren ist menschlich, Vergeben göttlich." Sie verdrehte die Augen. Immer kam ihr älterer Bruder mit solchen Sprichwörtern.
„Komm mir nicht so. Du weißt nicht mal wer Hieronymus ist."
„Bitte wer?" Emily verdrehte die Augen.
„Sophronius Eusebius Hieronymus war ein Gelehrter und Theologe der alten Kirchen und wird in verschiedenen christlichen Konfessionen als Heiliger und als Korchenvater verehrt. Von ihm stammt das Zitat, errare humanum est. Irren ist menschlich. Außerdem-" Charlie unterbrach seine Schwester bevor sie ihm einen Vortrag halten konnte. Wenn Emily einmal anfing etwas zu erklären, konnte sie nicht mehr aufhören. Ihr Allgemeinwissen war ausgeprägt, dass sie so gut wie alles wusste.
„Jetzt mach mal halblang, Einstein."
„Charlie, sie wusste genau was für ein Tag es war. Sie wusste wie schwer es für mich war. Doch hat es sie interessiert? Nein. Es war ihr egal. So wie jeden. Jedem ist es so egal." Charlie setzte sich auf ihre Bettkante. Es war ihm nicht egal, nur musste er auch irgendwann loslassen.
„Em,..."
„Nein. Mom und Dad tun auch so als wäre alles gut." Sie setzte sich auf. Langsam bildeten sich Tränen in ihren Augen. So gut sie konnte kämpfte sie dagegen an.
„Em, ich verstehe dich." Emily schüttelte den Kopf.
„Du verstehst nichts. Du tust genauso wie Mom und Dad so, als wäre nichts passiert." Ihr Blick war steinhart. Charlie stand von ihrem Bett auf. Er war ein sehr ruhiger Typ, doch diese Aussage machte ihn so sauer. Er war genauso verletzt wie sie.
„Ich habe sie nicht vergessen. Glaubst du ich leide nicht auch darunter? Aber sie ist tot. Wir können es nicht ändern." Sie ist tot. Ausgesprochen tat es noch mehr weh. Der braunhaarige Junge ging in Richtung Tür.
„Melde dich wenigstens bei Thomas." sagte er bevor er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. Emily stand auf und ging zu ihrem Plattenspieler. Sie durchsuchte ihre Kiste mit Vinylplatten nach einer bestimmten Platte. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie die Platte fand. Drauf stand „The Clash". Es war „Should I Stay Or Should I Go". Ihre Lieblingsplatte. Vorsichtig holte sie die Vinylscheibe aus der alten zerknickten Pappverpackung und legte sie auf den Plattenspieler. Als die Nadel die Scheibe berührte und der Gitarrensound ertönte, fing Emily an mit dem Kopf zu nicken. Sie liebte alte Musik. Mit neuartiger Musik konnte sie nichts anfangen.
„Should i stay or should i go." sang sie während sie sich auf ihr Bett schmiss und innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen.

Kinda friendsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt