Emily war gelangweilt. Gelangweilt vom Mathe Unterricht. Die Aufgaben waren ihr viel zu einfach. Es war keine Herausforderung, sondern immer nur das Gleiche. Das langweilte sie. Also malte sie kleine Tierchen in ihr Heft. Sie saß etwas weiter hinten, so dass der Lehrer sie nicht wirklich bemerkten. Jedenfalls dachte sie das.
„Kann einer mir sagen, was die Lösung für diese Formel ist? Keiner? Wie wäre es mal mit Emily." Das braunhaarige Mädchen sah kurz auf, um die Formel zu sehen und seufzte dann. Für sie war es eine einfache Formel: f(x)= 2x^2+4x-2.
„Acht." sagte sie. Jeder sah sie verblüfft an. Emily hatte einen hohen IQ. Sie brauchte nicht lange, um so eine Aufgabe im Kopf auszurechnen.
„Wie bitte?" Selbst der Lehrer sah sie verwundert an. Ich bin nur von Idioten umgeben, dachte sie. Sie sah auf. Mit ihren kalten, grünen Augen machte sie den Lehrer ein bisschen Angst. Ihr Blick war wie immer genervt und gelangweilt.
„Die Lösung. Es ist acht." Dann sah sie wieder in ihr Heft und malte ein kleines Alpaka aus. Ihr Mathelehrer sah in seine Unterlagen.
„Das ist richtig." stotterte er. Es war verblüffend, wie Emilys Kopf arbeitete. Sie konnte nicht nur solche Matheaufgaben innerhalb kürzester Zeit ausrechnen, sondern sich auch alles merken. Egal ob es wichtig oder unwichtig war. Sie konnte sich jedes mögliche Datum merken. Die Namen von jedem Menschen, den sie mindestens einmal gesehen hatte. Ob sie miteinander geredet hatten spielte keine Rolle. Am besten konnte sie sich aber klitzekleine Dinge merken, die eigentlich keine große Bedeutung hatten. So wusste sie immer noch was Julia zu ihrer Einschulung getragen hatte, was Thomas an dem Tag anhatte, als sie sich kennen gelernt hatten und welcher Connors Lieblingssong war, als er nach Oakdale zog. Es war nicht so, dass Emily sich solche Sachen merken wollte, weil sie vielleicht wichtig waren. Sie wusste es einfach. Genauso gut konnte sie sich auch Fakten merken, die einmal im Unterricht erwähnt wurden. Im Prinzip musste sie nicht großartig viel lernen. Dementsprechend waren auch ihre schriftlichen Noten immer im 1-2 Bereich. Das Problem war nur ihre mündliche Beteiligung. Die gab es, überhaupt nicht. Würden die Lehrer sie nicht einfach drannehmen, dann würde sie wahrscheinlich gar nichts sagen, weil sie einfach faul war. Wie oft Thomas ihr schon gesagt hatte, sie soll sich mehr beteiligen, kann sie schon gar nicht mehr zählen. Es war ihr nicht peinlich sich zu melden. Was sollten die anderen schon sagen? Emily war schlagfertig, sie brauchte keine Angst vor Kommentaren zu haben. Sie hatte einfach, nur keine Lust sich zu melden. Lieber malte sie in ihren Collegeblock.
„Sie ist so seltsam." flüsterte das Mädchen neben ihr, ihrer Freundin zu.
„Ich sitze neben dir, du kannst mir so etwas auch ins Gesicht sagen, Schätzchen." Ohne aufzusehen gab Emily diesen Kommentar ab. Das Mädchen neben ihr sah sie erschrocken an.
„Nenn mich nie wieder seltsam." Nun sah Emily auf.
„Hast du mich verstanden?" Ihre grünen Augen funkelten böse. Langsam nickte das Mädchen und schluckte nervös. Es klingelte, der Unterricht war vorbei. Emily war die Erste, die aus dem Klassenzimmer verschwand. Es war Mittagszeit. Alle Schüler waren in der Cafeteria und aßen zu Mittag. Nicht Emily. Sie wollte sich nur verziehen und ein Buch lesen. Ihr Lieblingsbuch, „Mord im Orient-Express" von Agatha Christie Sie hatte es bestimmt schon zehn Mal gelesen. Es war schon völlig zerzaust und kaputt. Emily wollte sich in der Abstellkammer des Hausmeisters verziehen, doch als sie die Tür öffnete erwischte sie zwei bekannte Gesichter beim Knutschen.
„Ich glaub es nicht..." Zwischen Mob und Besen küssten sich Will und Hanna. Hanna war ein Flittchen, das sich an jeden freien Jungen ranschmiss, den sie finden konnte. Während Emily ihr Verhalten ekelhaft fand, war Hanna stolz darauf, wie sie sich aufführte. Aber dass sich Hanna auch an einen vergebenen Jungen vergehen würde, das hätte Emily nicht erwartet.
„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da. Ist ja, lustig, dass ich euch hier finde." Erschrocken sah Will sie an. Hanna dagegen verdrehte die Augen und stöhnte genervt auf.
„Verschwinde Brown, wir sind beschäftigt."
„Ja, zieh Leine." Emily blinzelte überrascht. Von Hanna war sie es gewohnt, dass sie eine große Klappe hatte und sich einiges bei ihr erlaubte. Von Will jedoch, hätte sie das nicht erwartet. Wütend ballte sie die Fäuste. Sie war kurz davor Will zu verprügeln. Aber komischerweise war es nicht die Tatsache, dass Will ihr gegenüber frech wurde, sondern dass er Julia so hinterging. Er betrog seine Freundin so offensichtlich und hatte noch den Mut ihr zu sagen, dass sie verschwinden sollte, damit er mit seinem schamlosen Verhalten weitermachen konnte.
„Ist Einstein jetzt taub geworden? Hau endlich ab, Brown." sagte Hanna.
„Findest du das nicht ziemlich ekelhaft von dir, William? Ich meine, was interessiert es mich, aber fühlst du dich denn nicht irgendwie schlecht?" Emily versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Aber Will zuckte nur mit den Schultern.
„Du kannst nicht so dumm sein. Denkst du denn nicht, dass Julia vielleicht Gefühle hat, die du möglicherweise verletzt." Er lachte nur. Er lachte so laut, dass es durch den gesamten Schulflur hallte.
„Was interessieren mich ihre Gefühle. Ich will nur meinen Spaß haben. Ich bin noch jung." Emily massierte mit ihren rechten Daumen und Mittelfinger ihre Schläfen.
„Wie kann man so ein verdammt widerlicher Mensch sein." Will war weiterhin am Lachen. Inzwischen hatte es zur Pause geklingelt und der Schulflur füllte sich mit Schülern. Einige von ihnen bemerkten, dass Emily mit Will diskutierte. Plötzlich blieben ein paar stehen und beobachteten die Szenerie.
„Halt doch die Klappe. Julia ist eine Schlampe, wie du gesagt hast. In einer Woche hätte ich sie sowieso abserviert. Was soll's." Emily sah ihn überrascht an. Sie glaubte nicht das was sie hörte. Sie hatte niemals so etwas über Julia gesagt. Das würde sie sich niemals trauen. Zwar hasste sie Julia, aber es gab einen riesigen Unterschied, zwischen Hassen und Rufmord. Überraschenderweise bemerkte Emily einen Funken von Beschützerinstinkt, der sich schlagartig in ein riesiges Feuer entfachte, als Will seinen nächsten Satz aussprach.
„Julia ist nichts wert. Sie ist wie jedes andere Mädchen. Sie will nur einen Freund, um sich besser zu fühlen." Voller Zorn spannte Emily ihren Kiefer an und war komplett bereit Will krankenhausreif zu prügeln.
„Rede nicht so über sie. Sie ist...-"
„Ich rede über sie so wie ich will. Bist du nicht diejenige, die Julia von uns allen am meisten hasst? Also was interessiert es dich, wie ich über sie rede und wie ich mit ihr umgehe. Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram." Inzwischen hatten sich eine große Menge von Schülern um die drei gesammelt. Unter anderem auch Julia, Thomas und Connor. Und natürlich bekam sie auch mit was Will über sie zu sagen hatte. Es brach ihr das Herz, obwohl ihr klar war, dass das mit Will nicht allzu lange halten würde. Aber das was er über sie dachte so laut durch die Schule zu posaunen, verletzte sie unglaublich sehr. Er stellte sie bloß, vor so vielen Leuten. Aber das was Emily dann plötzlich tat überraschte nicht nur Julia, sondern auch Thomas und Connor.
„Du hörst mir jetzt mal zu, Junge. Es ist mir egal mit wem du rum machst oder ob du Julia betrügst oder was auch immer. Aber rede nicht so über sie. Wag es nicht so schlecht über sie zu reden. Sie ist zwar für mich eine totale Nervensäge und ich hasse sie, aber sie ist ein guter Mensch und sie verdient es nicht von jemanden wie dir so behandelt zu werden. Du bist ein dummer Idiot. Also halt dich von Julia fern und wehe du kommst nochmal in ihre Nähe. Ich schwöre dir, ich verprügle dich." Will hatte Angst, das konnte sie in seinen Augen sehen, aber er konnte es nicht lassen ihr gegenüber frech zu sein.
„Was kümmert es dich? Ich dachte, du hasst sie abgrundtief, weil sie dich hängen gelassen hat nach dem Unfall." Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Emily packte ihn am Kragen und schlug ihn gegen einen Spint. Der Aufprall krachte so laut, dass es durch den gesamten Flur zu hören war. Auf einmal war es toten still.
„Freundchen, ich breche dir deinen Kiefer, wenn du nicht aufhörst über Dinge zu reden, von denen du keine Ahnung hast. Verschwinde aus Julias Leben. Und wenn nicht, dann wirst du es bereuen." Will sah sie angeekelt an. Sie musste sich beherrschen.
„Du bist ein totaler Psycho." Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Emily schlug Will geradewegs ins Gesicht. Als ihre Faust seinen Kiefer traf, hörte man ein lautes Knacken. Sie packte ihn am Kragen und schlug immer wieder auf ihn ein. Hanna stand völlig geschockt daneben und bewegte sich nicht. Alle anderen Schüler holten ihre Handys aus ihren Taschen und filmten Emily, wie sie Will verprügelte. Will wusste nicht was er tun sollte, er konnte doch kein Mädchen schlagen. Da Emily, seitdem sie 13 Jahre alt war, boxte, hatte Will keine Chance. Sie wusste genau wie sie zuschlagen musste. In Emily brannte eine gewaltige Wut. Nicht nur weil Will sie Psycho genannt hat. Auch weil er Julia als Schlampe bezeichnet hatte. Sie war vielleicht vieles, aber keine Schlampe.
„Hör auf so über sie zu reden." brüllte sie ihn an. Sie konnte nicht aufhören auf ihn einzuschlagen. Erst als Julia Emily von Will wegzog, hörte sie auf. Hanna half Will wieder auf die Beine und wischte ihm das Blut aus dem Gesicht, das ihm aus seiner Nase lief. Die Menge an Menschen verschwand allmählich und bald schenkte kein einziger Schüler ihnen mehr Aufmerksamkeit. Währenddessen versuchte Julia Emily zu beruhigen.
„Hey, Em. Sieh mich an." Aber Emily konnte nicht. Sie wollte Will weiter verprügeln. Sie wollte weiter auf ihn einschlagen. Dass Tränen über ihre Wangen liefen bemerkte sie erst, als Julia ihr diese aus dem Gesicht wischte.
„Em, sieh mich an. Beruhige dich." Emily biss die Zähne zusammen. Sie konnte sich nicht beruhigen. Will hatte sie einen Psycho genannt. Etwas schlimmeres konnte man zu Emily nicht sagen.
„Emily verdammt sieh mich an." Julia schrie sich fast schon an.
„Fass mich verdammt nochmal nicht an." schrie die Brünette zurück. Endlich schenkte Emily ihr ihre Aufmerksamkeit und sah sie an. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Obwohl sie es nicht wollte, tat es Emily leid, dass sie sie angeschrien hatte. Will hatte sie verletzt. Nicht nur, dass er ihr fremdgegangen war. Er hatte sie auch als Schlampe bezeichnet vor der gesamten Schule. Julias Herz war in Scherben zerbrochen und trotzdem kümmerte sie sich eher um Emily als um sich selbst. Erinnerungen kamen in Emily hoch.
„Was ein Creep." zischte Hanna als sie mit Will zusammen an Julia und Emily vorbei ging. Emily rutschte auf den Boden, die Hände vors Gesicht gehalten. Sie konnte die Tränen nicht aufhalten. Ohne zu zögern umarmte Julia sie. Die Kälte in Emily verging langsam. Desto länger Julia sie festhielt, desto sicherer fühlte sie sich. Es war nicht das erste Mal, dass Emily einen Wutanfall bekam, weil jemand sie Psycho nannte. Julia hasste es Emily so zu sehen. Aber es erfreute sie, dass sie tief in ihrem Inneren immer noch einen Beschützerinstinkt für Julia empfand.
„Dieses Arschloch. Es tut mir so leid Julia." sagte Thomas und strich ihr über den Rücken. Wieder ging es um Julia, dachte Emily. Diese ließ Emily mit einem Mal los. Sie sah Thomas wütend an. Ihre Augen funkelten. Am liebsten hätte sie ihm an Ort und Stelle eine reingehauen.
„Es ist doch völlig egal, ob er mich verletzt hat. Emily ist deine beste Freundin und sie weint." Nun realisierte auch Thomas, dass Emily verheult auf dem Boden saß. Er fühlte sich schuldig. Wieder mal hatte er nur an Julia gedacht, war wieder auf ihrer Seite gewesen. Und Emily? Emily hatte er völlig vergessen. Obwohl sie es war, die Will geschlagen und Julia verteidigt hatte. Sie stand auf, wischte sich mit dem Ärmel ihrer schwarzen Jeansjacke die Tränen aus dem Gesicht und zwang sie ein winziges Lächeln auf.
„Dem habe ich...dem habe ich richtig den Hintern versohlt, oder?" Connor und Julia fingen an zu lachen. Emily macht es schon wieder, sagte Thomas zu sich selbst. Sie überspielt ihre Gefühle und tut als wäre nichts. Er hasste es, wenn sie das tat. Nur leider machte sie das immer und immer wieder. Connor legte seinen Arm um Emilys Schulter.
„Du hast gut gekämpft Champ. Jetzt hast du dir das Mittagessen wirklich verdient. Es gibt sogar heute Burger." Das Lächeln in Emilys Gesicht wurde größer. Es stört Thomas ein wenig. Er wusste natürlich, dass es nicht echt war. Nach all den Jahren der Freundschaft kannte er Emily so gut wie seine Hosentasche. Auf jeden Fall wollte er sie glücklich sehen, aber sie war es nicht. Sehr, sehr lange hatte er sie nicht mehr wirklich glücklich gesehen. Immer nur dieses Lächeln, das strahlend aussah. Aber ihre Augen waren kalt und leer. Ohne Freude, ohne Leben. Es waren die Augen einer Toten. Manchmal machten sie Thomas Angst. Wenn Emily ihn längere Zeit ansah oder direkt in die Augen blickt, läuft es ihm eiskalt den Rücken runter.
„Komm, an deinem Geburtstag wird nicht geweint." Connors Enthusiasmus ging Emily tierisch auf die Nerven. Sie schenkte ihm ihr typisches Augenverdrehen und ging dann, immer noch Arm in Arm, mit ihm in die Cafeteria. Auf dem Weg sang er so laut er konnte ‚Happy Birthday'. Weshalb viele andere Mitschüler ihn verwirrten ansahen. Thomas und Julia lachten bei den Gesichtsausdrücken der anderen Schüler. Schnell wurde Thomas wieder ernst.
„Es tut mir leid, ich dachte eben nur..." Ohne ihn anzusehen ging Julia an ihm vorbei. Sie war sauer. Sauer auf Will, sauer auf sich selbst, sauer auf Emily, sauer auf Thomas.
„Sag das nicht mir, sondern Emily." unterbrach sie ihn. Ihre Schuhe klackten während sie den Schulflur entlang ging. Hinter sich ließ sie einen Thomas, der wusste, dass er ein Idiot gewesen war.
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Kinda friends
Novela JuvenilEmily Brown und Julia Young waren beste Freunde solange sie denken konnten. Bis ein tragisches Ereignis alles ändert. Nun kann Emily nicht aufhören Julia zu hassen. Doch Emily's bester Freund Thomas kann das nicht hinnehmen und steckt die beiden in...