Böse Zungen

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,,Endlich Freitag!", ruft Lea glücklich, als wir am nächsten Morgen an unsere Schule ankommen. Ich nicke freudig und versuche mit großer Mühe, mir mein schlechtes Gewissen nicht anmerken zu lassen. Meine beste Freundin weiß nichts von dem, was in meinem Leben gerade vorgeht und wahrscheinlich könnte ich es ihr sowieso nicht erklären.

Das alles fühlt sich an wie im Traum, nur dass es doch einfach zu real ist. Ich kann Energien kontrollieren. Anscheinend. Energetic - so nennt man das, was ich bin. Äh, ja. Eigentlich bin ich mit alldem aber sehr überfordert. Am liebsten würde ich mich gerade unter meiner Bettdecke verkriechen und alles und jeden ignorieren.

Wie soll ich alleine mit dem Ganzen leben, ohne mich Lea, Linus oder meinen Eltern anvertrauen zu können? Ich schaffe es jetzt schon kaum, Lea in die Augen zu sehen. Aus diesem Grund beschließe ich, noch einmal mit Quinn darüber zu sprechen. Dafür muss ich ihn nur erst einmal finden. Er hat selten Schwierigkeiten, einfach irgendwann bei mir aufzutauchen. Wo er sich aufhält, weiß ich meistens nicht. Ich weiß nur, dass er mit Linus im selben Jahrgang zu sein scheint.

,,Weißt du, in welchem Raum Quinn gleich Unterricht hat? Ich muss ihn etwas fragen.", frage ich ihn daher.
Damit ernte ich erst einmal zwei fragende Blicke, die ich gekonnt ignoriere.

,,Ähm, in Raum 25, oder so", antwortet Linus und sieht mich prüfend an.

,,Okay, dann bis später!", rufe ich ihm und Lea noch zu und setze mich schnell in Bewegung.
Zum Glück erkenne ich schnell einen großen, braunhaarigen Jungen, der in die selbe Richtung wie ich läuft.

Schnellen Schrittes laufe ich zu ihm und tippe ihm auf die Schulter. Quinn dreht sich überrascht um, schenkt mir dann aber ein fröhliches Lächeln. Meins aber erstirbt in genau diesem Moment. Geschockt sehe ich ihn an. In Quinns Gesicht zeichnen sich zwei rote Flecken ab. Brandflecken.

,,Keine Sorge, mir geht es gut. Es gab gestern nur ein paar kleine Zwischenfälle.", erklärt Quinn und fährt sich unsicher durch die Haare.

,,Was für Zwischenfälle?", frage ich mit scharfen Ton. Auf irgendwelche Ausreden von Quinn habe ich heute definitiv keine Lust. Aus diesem Grund sehe ich ihm direkt in die Augen und versuche einen möglichst strengen Blick aufzusetzen.

Anstatt diesen ernst zu nehmen, lacht Quinn allerdings nur und sieht mich belustigt an. Typisch.

,,Na gut, du erinnerst dich an den jungen Typen namens Simon, der dich mit zwei anderen Männern entführen wollte? Genau der ist mir gestern aufgelauert, als ich nach Hause gehen wollte. Ich nehme an, er wollte sich für letztens rächen. Da habe ich ihm aus Wut nämlich ebenfalls sehr heftige Brandwunden zugefügt.", erklärt Quinn mit gleichgültiger Miene.

Mir allerdings ziehen sich die Eingeweide bei dem Gedanken, dass Quinn und dieser Fremde sich gegenseitig Brandwunden zugefügt haben, zusammen. Damit hätte ich nicht gerechnet. Simon also. Eine Person, die ich versucht habe, aus meinem Gedächtnis zu verbannen.

Wenn sie sich Brandnarben zufügen können, wie weit würden sie bitte noch gehen?

,,Naja, ich müsste dann gehen, mein Unterricht beginnt gleich. Ich habe dich seit gestern auch sehr vermisst, keine Sorge.", fügt Quinn noch süffisant hinzu und schiebt sich an mir vorbei, nicht ohne mir noch einmal sanft auf die Schulter zu fassen. Aus unerfindlichem Grund tut er das ständig.

Da ich aber definitiv noch mit ihm reden muss, lasse ich ihn nicht so einfach gehen. Stattdessen nehme ich schleunigst seine Hand von meiner Schulter und halte sie fest, um ihn am Gehen zu hindern. Quinn sieht mich überrascht an und zieht eine Augenbraue hoch.

,,Nicht so schnell.", raune ich ihm zu.

,,Ich komme jetzt einfach zum Punkt: Niemals kann ich dieses ganze merkwürdige Geschehen der letzten Tage für mich behalten. Ich muss mit jemandem sprechen, sonst werde ich verrückt!"

Flehend sehe ich Quinn an. Auch wenn ich immer bemüht war, nach außen hin glücklich zu wirken, habe ich immer mehr das Verlangen, mich beispielsweise bei Lea auszuheulen.

Ich weiß nicht, ob ich diesen Freitagabend raus gehen kann, ohne in Gefahr zu sein. Ich weiß nicht, ob ich Lea gerade Unrecht tue, weil ich ihr so viele Dinge verschweige. Eigentlich weiß ich gerade überhaupt nichts.

Quinn sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten kann. Dann taucht neben uns eine kleine Mädchengruppe auf, die mich erstaunt ansieht. Eins der Mädchen zeigt sogar auf mich und setzt ein geschocktes Gesicht auf.

Verwirrt sehe ich von ihr zu Quinn und merke dann entsetzt, dass ich immer noch seine Hand festhalte.

,,Oh nein.", zische ich und lasse sie in Windeseile los. Doch zu spät, die Mädchen beginnen bereits angeregt zu tuscheln.

,,Lia, du hörst jetzt auf, irgendwelchen Lästerschwestern Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin froh, dass du mich angesprochen hast.  Das nächste Mal kannst du mich gerne irgendwo anbinden, damit ich dir auch wirklich zuhöre.", witzelt Quinn mit leiser Stimme und sieht mich an. Er möchte mich zum Lachen bringen, das merke ich.

,,Wir reden in der Mittagspause, okay?", fragt Quinn mich noch, und anstatt auf meine Antwort abzuwarten, umarmt er mich zum Abschied. Die Augen aller Mädchen in Blickweite weiten sich, das sehe ich genau, weil mit meinen das selbe passiert ist.

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