Ich war mit Watson aus, zum Dinner. Keine Veranstaltung, die für die Ärzteschaft gegeben worden war, sondern ein spontan organisiertes Treffen mit ihm und mir am Ende eines arbeitsamen Tages, an dem ich meinen Dank für seine Zuarbeit zollen wollte.
Die italienische Küche bot uns eine Auswahl vorzüglicher Speisen, es duftete nach Oliven. Die Weinkarte des Tages versprach erlesene Tropfen und ich war guten Mutes bei der Aussicht auf einen geselligen Abend mit einer umgänglichen Person meines Standes.
Mein Kollege jedoch hatte etwas von seinen zwanglos freundlichen Auftreten eingebüßt, wie mir neuerdings aufgefallen war und dieser wachsende Eindruck machte auch hier, in den neu getäfelten Räumen der gut besuchten Lokalität, keinen Halt vor mir. Meine Theorie bezüglich der Ursache lautete auf Diskrepanzen in seiner neu definierten Beziehung zu Mr. Holmes und beruhte auf der Annahme, die beiden hätten sich über ihre Befindlichkeiten ausgetauscht und mit dem Problem der Geheimhaltung auseinandergesetzt, welche mit Sicherheit auch vor meiner Person aufrechterhalten bleiben sollte.
Kämpfen sie zu Hause um die Dominanz, fragte ich mich im Stillen? Ist das die Ursache des Stimmungsübels auf der anderen Seite des Tisches? Ich traue beiden Männern die nötige Sensibilität zu, sich der Herausforderung zu stellen, dennoch brauche ich Watsons ganze Aufmerksamkeit und Konzentration auf mein Projekt.
Wie eine Fraktur, die sich durchzieht und immer wieder bemerkbar macht, schimmerte schon seit dem kürzlichen Anbeginn unserer gemeinsamen Arbeitsaufnahme etwas von seinem Unbehagen durch. So war ich versucht, unter Vorwand medizinischer Komponenten der Ursache seines ermatteten Erscheinungsbildes auf den Grund zu kommen, keiner sehr gewinnbringenden und ethisch vertretbaren Strategie. Niemand ist unfehlbar.
"Sie schrieben, Holmes' Rückfallerscheinungen würden weiter anhalten und ihn davon abhalten, sein früheres Pensum ermittlerischer Tätigkeit zu erreichen?"
Watson nahm einen großen Schluck Wasser und orderte neues, bevor er auf mich einging.
"Tja. Wenn er nicht arbeiten kann, kommt die Arbeit zu ihm. Er sieht Rätsel, wo keine sind."
"Da werden Sie wohl noch eine Weile alle Hände voll zu tun haben, sämtliche Strapazen auszuräumen." Meine Überlegungen galten Watsons Belastbarkeit. "Man muss Ihrem Einsatz wirklich Beifall zollen."
"Nicht doch", schüttelte er den Kopf. "Ich kann nur unterstützend tätig sein."
Während ich nach passenden Worten suchte, zog Zitronenduft in meine Nase und ich widmete mich kurz dem frisch servierten, zarten Filetstück, welches meinem Gaumen durchaus schmeichelte.
Hinter uns war ein Scheppern zu hören. Als ich meinen Kopf wendete und anschließend wieder zurückdrehte, wusste ich, wie ich das Gespräch fortsetzen würde.
"Als ich während Ihres Besuchs im Norden eines Abends durch meine Fensterstreben sah, zugegeben meinen schwer verdienten Feierabendbrandy hin und her schwenkend und unter schweren Lidern, habe ich beobachtet, wie Sie übers Gelände gestrichen sind.
Inmitten der aufziehenden Nebelschwaden einträchtig ins Gespräch versunken. So bewegt man sich nur, wenn man als Einheit denkt und handelt, darauf dürfen Sie stolz sein, Watson! Sie bagatellisieren Ihre Fähigkeiten. Klagt er denn? Gibt es noch Wundschmerzen? Erinnerungslücken?"
"Ich denke schon. So recht kann ich Holmes manchmal nicht glauben. Dafür kenne ich seine Palette an verharmlosenden Gebaren zu gut, die Amplitude an Rückfallerscheinungen und ihr Auswirken auf sein Erscheinungsbild."
"Haben Sie seit dem Aufenthalt im Cottage denn die Rezeptur beibehalten?"
"Nicht komplett. Schon auf der Rückreise hat nicht mehr jedes Mittel angeschlagen. Ich strebe einen Wechsel der Medikation an", erklärte mir mein Kollege und fuhr sich nachdenklich durchs Haar. "Was meinen Sie?"
DU LIEST GERADE
Verborgen in 221b (Fortsetzung)
FanfictionDiese epilogische Ergänzung schließt an "Verborgen in vier Himmelsrichtungen" an und lässt all diejenigen zu Wort kommen, die etwas hinsichtlich einer sich seitdem entwickelnden Zuneigungsbekundung beizutragen haben: Mrs. Hudson, Inspektor Lestrade...